18.04.2019
Regionalstrom - ein neues Stromprodukt entsteht
Der Kunde hat beim Strom seit Jahren die Wahl: Bleibt er im Grundversorgertarif, bucht er günstigen Strom bei einem anderen Anbieter oder wechselt er zu einem Ökostromtarif seines Stadtwerks oder eines reinen Ökostromanbieters. Seit 1. Januar können ihm die Stromanbieter noch ein weiteres Angebot unterbreiten: den „Regionalstrom“. Mit diesem Angebot wird der grundlegende Entwicklung Rechnung getragen, dass viele Kunden zurück zur Regionalität streben. Im Supermarkt bei Obst und Gemüse wird das am sichtbarsten: Nicht mehr nur die Ananas aus Südafrika, sondern die Äpfel vom Bodensee oder der Grünkohl aus Niedersachsen sind gefragt und werden gerne gekauft.
Dieses Regionalprinzip soll nun auch beim Strom Einzug halten. Seit zum 1. Januar 2019 gelten die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen: An der „Verordnung zur Errichtung des Regionalnachweisregisters und zur Fortentwicklung des Herkunftsnachweisregisters“ und der dazugehörigen Durchführungsverordnung wurde seit 2017 gearbeitet. Der Titel deutet es schon an: Analog zum Herkunftsnachweis kann von einem Stromversorger nun auch ein Regionalnachweis für Strom erlangt werden, um den Strom dann zertifiziert an die Kunden zu verkaufen. Für regionalen Grünstrom gestaltet sich der Zertifizierungsprozess für den Anbieter zweistufig: der Strom muss zuerst mit einem Herkunftsnachweis als Ökostrom, dann zusätzlich mit einem zweiten Nachweis als Regionalstrom versehen werden.
Komplexes Verfahren als Grundlage
Doch das ist nur ein Teil der Komplexität der Verfahrens: Während landläufig davon die Rede ist, dass die Anlagen in einem Radius von 50 km stehen müssen, um für den Verbraucher “regional“ zu sein, gestaltet sich die Berechnung im Detail als wirklich komplex: Betrachtet wird der Standort des Verbrauchers, dann dessen Postleitzahlengebiet, das ja schon eine gewisse Ausdehnung haben kann, und von denen es rund 8.200 in Deutschland gibt. Von jedem Eckpunkt dieses PLZ-Gebietes wird nun ein 50 km-Radius gezogen und alle Postleitzahlengebiete bestimmt, die diese Radien berühren, durchschneiden oder innenliegen. Zuletzt werden nun alle Erzeugungsanlagen betrachtet, die in diesen PLZ-Gebieten liegen, denn diese dürfen für eine Regionalstrom-Lieferung genutzt werden (Bild 1).
Damit ist wohl klar: Das Verfahren ist typisch deutsch kompliziert und nicht einfach erfassbar. Das Umweltbundesamt (UBA) hat zu diesem Zweck extra eine Web-Oberfläche und eine Zuordnungstabelle programmiert, die diese Aufgabe lösen kann. Jedoch: Änderungen der PLZ-Gebiete durch die Post und neue Gemeindezuschnitte machen es sogar nötig, diese Zuordnungen jährlich zu überprüfen, die Zuordnungstabelle ist daher nur jeweils für ein Jahr gültig. Nebenbei bemerkt muss diese Berechnung dann (bei einem Stromanbieter, der ein größeres Versorgungsgebiet bedient) auch für jeden Kunden einzeln durchgeführt werden. Schon allein damit ist der Regionalstrom als Nischenprodukt angelegt, nicht für die breite Kundenmasse. Für den Kunden selbst ist dieses Verfahren im Hintergrund jedoch glücklicherweise nicht sichtbar: Er soll sich einfach per Tarifwechsel bei seinem Versorger den Regionalstrombezug sichern, der Versorger bestätigt das auf der Stromrechnung und muss Berechnung und Zertifizierung auf eigene Kosten durchführen.
Ein Wunsch vieler Kunden bleibt dabei auch verwehrt: Der Strom wird zwar als regional zertifiziert, d.h. auch die Mengen werden über Wirtschaftsprüfer überwacht, aber ein direkter Handel zwischen Erzeuger und Verbraucher ist dabei nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Auch kann der Kunde nicht den Strom einzelner Anlagen für sich auswählen, sondern nur das Gesamtprodukt „Regionalstrom“.
Eine Chance für große Altanlagen
Der Regionalstrom stellt aber – lässt man die bürokratischen Aspekte beiseite – auch eine Chance dar, Strom aus regionalen Wind-, Wasser- oder Solaranlagen zu vermarkten. Dabei können auch Anlagen einbezogen werden, die im EEG sind, aber keine Vergütung mehr beziehen – eine Chance also auch für den Betrieb von größeren PV-Anlagen nach 2021. Aufgrund des Aufwands und der Gebühren für die Zertifizierung und Registerverwaltung scheidet das für kleine Anlagen eher aus. Doch Stadtwerke könnten die Chance nutzen, sowohl den Betreibern eine Weiterbetriebs-Möglichkeit zu bieten als auch manchem Kunden seinen Wunsch nach regionalem Strombezug zu ermöglichen. Das Stadtwerke-Netzwerk ASEW bietet für die Umsetzung eines Regionalstrom-Konzeptes Unterstützung an und deutet an, dass in den nächsten Monaten einige Stadtwerke mit solchen Angeboten starten werden. Pionier beim Regionalstrom sind die Stadtwerke Kassel, die seit Ende Februar den Strom eines regionalen Windparks als Regionalstrom vermarkten. Der Windpark Stiftswald liegt in Sichtweite der Stadt und produziert jährlich rund 74 GWh grünen Strom. „Wenn das Regionalstromprodukt von den Kunden gut angenommen wird, können wir problemlos weitere erneuerbare Erzeugungsanlagen der Region mit in unser Regionalstromprodukt aufnehmen“, so Dr. Olaf Hornfeck, Vorstand der Städtischen Werke zu den Zukunftsperspektiven. Dabei wurde jedoch auf einen eigenen Tarif verzichtet, der Strom kann einfach als Tarifoption (für 3 Euro Aufpreis pro Monat) zum normalen Tarif hinzugebucht werden. Und der Kunde, der nicht in der Nähe von Kassel wohnt? Er kann nur warten, ob sein regionaler Stromversorger ein solches Angebot auflegt. Doch wenn genug Kunden diesbezüglich Ihr Interesse beim Kundenservice hinterlassen, steigen die Chancen dafür vielleicht.
Wichtig ist für interessierte Kunden noch, dass seit Jahreswechsel der Begriff des „Regionalstroms“ sich auch nur auf Strom beziehen darf, der in oben beschriebener Weise zertifiziert ist. Schon vorher in einigen Gegenden angebotene Regionalstrom-Angebote müssen daher nun überarbeitet werden.
Weitere Informationen zum Regionalstrom sind beim UBA erhältlich.