17.12.2021
(M)ein energetisch-klimatischer Jahresrückblick 2021
Eine persönliche Zusammenstellung von Heinz Wraneschitz
„Profiteure der hohen Strompreise sind Stromerzeuger, die von den Preisen der fossilen Rohstoffe und der CO2-Zertifikate nicht betroffen sind und ihren Strom nicht auf Basis des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zu einem Fixpreis einspeisen. Dazu gehören Betreiber von alten Wind- oder Photovoltaikanlagen. Sie hatten lange damit gerechnet, ihre Kleinkraftwerke nach Ablauf der 20-jährigen EEG-Förderung stilllegen zu müssen. Nun verschafft das hohe Strompreisniveau manchem schon tot geglaubten Projekt weiterhin eine wirtschaftliche Basis am Markt – und trägt so zur Energiewende bei.“ In seinem aktuellen TAZ-Beitrag „Strom wird immer teurer“ fasst mein geschätzter Kollege Bernward Janzing das trefflich zusammen.
An dem grundsätzlich positiven Strompreisanstieg trägt aber auch Frankreich eine Mitschuld: Dort lagen im November die fast fantastischen Börsenstrompreise in der maßgeblichen Day-ahead-Notierung bei 21,7 Cent je Kilowattstunde – in Deutschland lediglich bei 17,7 ct/kWh. Denn im Nachbarland waren zu der Zeit zwölf der ach so tollen Atommeiler außer Betrieb – und wir lieferten deshalb viel überschüssigen Windstrom dorthin. Das wenigstens ist ein gutes Zeichen.
Deshalb bin ich sicher: Die Erneuerbaren Energien werden sich fast von alleine durchsetzen! Doch das „fast“ habe ich bewusst gewählt. Denn eine kleine Einschränkung gibt es sehr wohl: Ohne politisches Wollen, ein klares Bekenntnis der Regierung zu einer echten Energiewende bei Strom, Wärme, Industrie und Verkehr kann es nichts werden mit einer schnellen 100-prozentig regenerativen Energiewirtschaft.
Die Klimawahl, die keine war
Was haben wir alle vor der Bundestagswahl an die Sprüche von Grün und Rot geglaubt, sie würden nach der Wahl genau diese Wende herbeiführen. Sogar von einem „Klimawahlkampf“ war die Rede.
Doch daran zweifelte nicht nur ich, auch der ebenfalls geschätzte TAZ-Kollege Bernhard Pötter hatte im Sommer bereits „Viele leere Versprechen“ erkannt. In den Medien fand dieser Klimawahlkampf ohnehin gar nicht statt. Und nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen sah ich mich bestätigt in meinen Vorahnungen: „Das Geschreibsel von SPD, Grüne und FDP in ihrem „Ergebnis der Sondierungen“: ist politisch-allerweltlich, schlagwortlich, unverbindlich.“ Oder wie es Christiane Averbeck, die Geschäftsführerin der Klima-Allianz, konkretisierte: „Wir sind besonders enttäuscht, dass die Parteien keine Strategie haben, wie Deutschland auf das 1,5-Grad-Ziel kommen kann.“ Doch ich möchte nicht nur auf das Jahresende schauen: Was war sonst noch los in den vergangenen fast zwölf Monaten? Wasserstoff: Ja, das Wort war in aller Munde – vor allem von Politiker*innen und Wirtschaftsbossen (männlich). Überall wurde von „Leitprojekten für Grünen Wasserstoff“ (H2) geredet. Doch woher der kommen soll? Aus unserem eigenen Lande jedenfalls nicht. Denn bislang hinkt der dafür notwendige Ausbau der Erneuerbaren massiv hinterher. Von Überschuss-Sonnen- oder Windstrom kann deshalb schon gar keine Rede sein. Dennoch soll genau dieser Überschuss in „Grün-H2“ elektrolysiert werden, erklären Politik und Wirtschaft immer und fast überall. “
Aber weil es Grün-H2 nicht gibt, wird an Gasimporten festgehalten, selbst von der neuen Regierung. Vielleicht auch deshalb, weil der Neu-Kanzler jener Alt-Finanzminister ist, der sogar das US-Fracking mitfinanzieren wollte und will? So jedenfalls waren im Frühjahr und sind auch jetzt die Pariser 1,5-Grad-Klimaziele nicht erreichbar. Denn dazu bräuchte es eine ECHTE NEUE Energiegesetzgebung. Aber es wird politisch nur weiter daran herumgeschustert – hierzulande fast und überall auf der Welt.
Menschgemachter Klimawandel – menschgemachtes Ende der Menschheit
Doch wenn es so weiter geht, kommt es „zum Ende der Menschheit, wie wir sie kennen“ – das sieht jedenfalls DGS-News-Redakteur Götz Warnke so voraus. Zudem tobt weltweit eine „Propagandaschlacht ums Klima“, wie DGS-Chefredakteur Matthias Hüttmann den Titel des US-Klimaforschers Michael Mann treffend übersetzt hat. Die Klimapolitik der Groko-Altregierung jedenfalls hat bis zum Ende ihrer acht erschreckenden Jahre sogar „Zivilisation und Menschenrechte bedroht“, wie Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie Expert*innen und Aktivist*innen aus der Klimaschutzbewegung im Herbst klar festgestellt haben.
Noch nicht einmal das ganz klare, eindeutige Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2021 hatte daran wirklich etwas geändert. Und bis der „Fit For 55“-Rahmen der EU in Deutschland wirklich greift, dürfte es noch Jahre dauern. Außer, der bislang als Europaparlamentarier massiv mit Klimafragen befasste Grüne Sven Giegold schafft es, als beamteter Staatssekretär das Wirtschafts- und Klimaministerium aufzumischen. Erdgas jedenfalls kann keine Brücke zur 100-Prozent-Erneuerbaren Energiewirtschaft sein, wie unser DGS-Kollege Christfried Lenz klargestellt hat.
Aber steht am (Jahres-)Ende die Ampel doch für mehr Dezentralität und Eigenerzeugung von Strom und Wasserstoff in Deutschland, als es die Vorgängerregierung und ihr Energieminister Peter Altmeier vorhatten? Jan Rispens von Renewable Energy Hamburg jedenfalls will das aus dem Koalitionsvertrag herausgelesen haben: „Überrascht war ich im Bereich Wasserstoff – das neue Ausbauziel für zehn Gigawatt heimischer Elektrolysekapazität bis 2030 verrät eine deutliche Verschiebung der Prioritäten: weg vom starken Importfokus auf die Vor-Ort-Produktion.“ Vielleicht bin ich ja wirklich einfach zu kritisch, zu pessimistisch. Zumal auch die 100 Bewährungstage der „Neuen“ noch nicht vorbei sind.
Doch ich glaube erst an etwas, wenn ich es selbst sehe. Und bis dahin – also zumindest bis Ende Februar 2022 – bleibe ich dabei: Die hiesige Politik hat energetisch-klimatisch nicht viel nach vorne gebracht in diesem Jahr. Dabei brennt die Erde immer heißer vor sich hin…