17.09.2021
Alles anders: die IAA mobility
Ein Messebesuch von Jörg Sutter
Am Namen wurde „mobility“ angehängt, das Konzept von Automesse zu Mobilitätsmesse aufgebohrt und die Messe auch teilweise in die Stadt verlagert - die erste Veranstaltung ist zumindest laut den Ausrichtern erfolgreich verlaufen. Die Rede ist von der IAA mobility, die in der vergangenen Woche erstmals in München abgehalten wurde. Im Folgenden eine subjektive Auflistung der Trends der Messe, die mit 400.000 Besuchern zwar deutlich unter dem vorvergangenen Jahr zurückgeblieben ist (2019: 560.000 Besucher). Doch unter Berücksichtigung von Corona, dem Standortwechsel nach München und einer auf sechs Tagen verkürzten Messezeit sind diese Zahlen nicht direkt vergleichbar.
Trend 1: Fahrräder
Zwei Hallen, jedoch nur sehr großzügig belegt mit Messeständen von Radherstellern und -zubehör. Es ist durchaus plausibel, dass sich die Fahrradhersteller ausgerechnet haben, auf der neuen IAA mobility Messebesucher zu erreichen, die eine reine Fahrradmesse wie die, die bisher in Friedrichshafen stattgefunden hat, nicht besuchen. Gezeigt wurden meist höherpreisige Neuentwicklungen, viele mit Elektromotor und auch viele funktionale Lasten- und Transporträder, die nun fast jeder Hersteller ins Produktprogramm genommen hat. In der Stadt wurden Probefahrten angeboten – ideal zum erstmaligen Ausprobieren und Kennenlernen der aktuellen Fahrradtechnik. Auch modernes Zubehör von Beleuchtungsanlagen bis zu einem Airbag-Rucksack für Radfahrer wurden gezeigt.
Trend 2: Elektromobilität
Nahezu alle Autohersteller vor Ort waren in diesem Jahr mit elektrischen oder zumindest hybriden Antrieben vertreten. Doch ob der neu präsentierte ID.5 von VW oder andere Neuentwicklungen: Stadt-SUVs mit enormen Außendimensionen scheinen noch immer das Ziel der Entwickler zu sein. Das grüne Mäntelchen bekommen sie dann durch Verwendung von Recyclingmaterialien und einen Hybrid- oder Elektroantrieb verpasst. Doch es gibt keinen Zweifel: Der Elektroantrieb ist die Zukunft im Bereich der PKW und Klein-Fahrzeuge.
Trend 3: Neue Player
Die Ausstellerliste und die Messestände vor Ort zeigen: Die Gewichte in der Branche verschieben sich weiter. Dem Messestand von Mercedes-Benz stand in München der Aussteller Wey genau gegenüber. Wer den Namen nicht kennt und nun an ein kleines Startup denkt, der sei darauf hingewiesen, dass Wey zum chinesischen Great-Wall-Konzern gehört, der seit 16 Jahren der größte SUV-Bauer in China ist. Und mit Wey greift der Konzern nun auch Europa an.
Viele Analogien begleiten ja seit Jahren die beiden deutschen Marken Mercedes und BMW. Es war daher lustig zu sehen, dass auch BMW einen Great-Wall-Ableger mit einem riesigen Stand direkt vor die Präsentationsfläche bekam: Genau gegenüber des BMW-Standes präsentierte sich ORA, eine Great-Wall-Tochter mit mehr Lifestyle-Bezug (im Vergleich zu Wey).
Trend 4: Keine benzinfressenden Sportwagen
Auf der letzten IAA 2019 war eine Halle rein den Sportwagen vorbehalten: Von Ferrari über Lamborghini, von Lotus bis Aston Martin: Nichts unter 500 PS, alle mit Straßenzulassung und je lauter desto besser. Doch damit ist Schluss: Nur vereinzelt waren in diesem Jahr „reinrassige“ Sportwagen zu sehen, auch die lauten und modelreichen Shows auf den Bühnen der Messestände gab es nur vereinzelt. Heutzutage kommt die ganze Autobranche zurückhaltender und weniger selbstbewusst wie in früheren Jahren um die Ecke, gleichzeitig ruhiger, elektrischer und schlichtweg vernünftiger. Selbst der Mercedes-Haustuner AMG hat in diesem Jahr einen Wagen mit Hybridantrieb aufgeboten, das spricht Bände.
Trend 5: Kein Wasserstoff
Auch wenn es sich einige Zulieferer noch immer wünschen: Es gibt keinen Wettlauf der Technologien Elektro und Wasserstoff beim PKW. Nur vereinzelt war im Messebereich das Thema Wasserstoff überhaupt zu sehen. Auch andere Antriebsarten wie z.B. CNG waren nur ganz vereinzelt sichtbar und spielten praktisch keine Rolle.
Trend 6: Klein- und Mikromobilität
Kleine Stadtfahrzeuge waren an vielen Messeständen zu sehen: Dort, wo früher die rassigen Sportwagen platziert wurden, stehen heute flippige Zweisitzer für die Stadt, zugeschnitten auf ein junges Publikum. „Konnektivität“ ist wichtig, die Anbindung von Handy und Internet, außerdem auffällige Farben und witzige Technik-Gimmicks. Zu dieser Kategorie gehört der von VW präsentierte ID.Life genauso wie der zweisitzige Microlino, der nun bald in Serie gehen soll und das Comeback der legendären BMW Isetta mit Fronteinstieg verkörpert.
Trend 7: intelligentes Fahren
Egal, ob automatisches Fahrzeugparken in ein Parkhaus, an dem der Fahrer seinen Wagen an der Zufahrt einfach abgibt oder gleich vollautonome Taxidienste, wie es sie in einigen amerikanischen Städten – so seit neustem auch in Teilen von San Francisco – gibt: Der Computer bekommt weiter immer mehr Gewicht bei den neuen Fahrzeugen. Es verwundert daher nicht, dass Größen wie Intel und IBM als Aussteller auf der Messe ihre Dienste anbieten. Und dass der Zulieferer Mobileye, weltweit führender Experte für Erkennungssysteme, Kameras und so weiter eine Zusammenarbeit mit Sixt angekündigt hat: Schon im kommenden Jahr soll im Großraum München ein autonomer Shuttledienst starten. Auf der Messe wurde das anhand eines chinesischen NIO gezeigt, der mit den automatisierten Komponenten ausgestattet wurde. Warum sich hier kein deutscher Fahrzeughersteller gefunden hat, der für die Kooperation eine Plattform zur Verfügung stellt, lässt mich jedoch rätseln.
Auch ein koreanischer Hyundai, der gemeinsam mit dem Zulieferer Aptiv entwickelt wurde, wurde gezeigt: Er ist mit über 30 Sensoren ausgestattet und beherrscht vollautomatisiertes Fahren (Level 4 der bis Level 5 reichenden Skala zum automatisierten Fahren).
Und: Die Autohersteller spüren auch gerade die Kehrseite der Digitalisierung: Die Abhängigkeit von Chips, die derzeit nicht geliefert werden können, zieht die Produktionszahlen nach unten und verhindert Verkäufe. Doch das hat sich die Branche sicherlich teilweise auch selbst zuzuschreiben. Das just-in-time ohne Lagerhaltung nicht immer die wirtschaftlichste Lösung ist, haben schon vor Jahren LKW-Streiks in Frankreich und Spanien gezeigt. Jetzt ist nur die Ursache eine andere: die hohe Nachfrage und Engpässe durch Corona.
Trend 8: Ausprobieren
Erstmals wurden viele Fahrzeuge nicht nur auf den Messeständen, sondern auch in weiteren Ausstellungsbereichen in der Innenstadt gezeigt. Viele Besucher kamen daher nicht in die Messehallen, sondern schauten sich die Fahrzeuge in der Stadt an. Und: Eine „Blue Line“ verband die Messe mit der Innenstadt, auf dieser Strecke konnten Fahrzeuge - Autos wie Fahrräder und anderes - auch (nach Voranmeldung) ausprobiert werden. Auch ein autonomes Kleinbus-Shuttle konnte der Autor auf der Strecke sichten. Dieser Probier-Trend kam beim Publikum gut an: Mit 10.000 Probefahrten war dieses Angebot vollständig ausgebucht.