17.07.2020
Atomkraftwerk Fessenheim: Abschied mit Abwrackprämie
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
In der Nacht auf den 30. Juni 2020 hat Électricité de France (EDF) den zweiten Reaktorblock des Atomkraftwerks (AKW) Fessenheim vom Netz genommen. Block 1, ebenfalls ein Druckwasserreaktor mit einer Nettoleistung von 880 MW, wurde im Februar heruntergefahren (die DGS-News berichteten). Nach Angaben des Energiekonzerns wird der Abbau des Kraftwerks zwei Jahrzehnte dauern.
„Endlich wird Fessenheim abgeschaltet. Dafür haben wir lange gekämpft, vor allem die Zivilgesellschaft“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter in einer Stellungnahme zur Stilllegung. Das betriebsälteste AKW Frankreichs befindet sich im Département Haut-Rhin in unmittelbarer Nähe zur französisch-deutschen Grenze. Jahrzehntelang wurde über die Abschaltung des maroden Meilers gestritten, da es grenzüberschreitend von Kritikern als Sicherheitsrisiko eingeschätzt wurde. Mehr als 200 meldepflichtige Vorfälle haben sich dort ereignet, wie die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) auf ihrer Internetseite berichtet. Neben gravierender Störfälle zählt die Friedensorganisation weitere Risiken auf: Überflutungsrisiko aufgrund der Lage sicherheitstechnischer Systeme unterhalb des Niveaus der Rheinseitenkanals, mangelnde Erdbebensicherheit trotz seismischer Risiken am Oberrhein, minimale Kapazität der Notstrombatterien von lediglich einer Stunde.
2016 berichteten der WDR und die Süddeutsche Zeitung, dass es Anfang April 2014 in Fessenheim zu einem schweren Zwischenfall kam, als etwa 3.000 Liter Wasser in Schaltschränke geflossen sind, in denen die Steuerung der Sicherheitstechnik untergebracht war. Dadurch waren die Steuerstäbe zeitweise nicht manövrierfähig und eines der beiden Systeme zur Reaktorschnellabschaltung fiel durch den Wassereinbruch aus. Schließlich konnte der Anlagenbetreiber den Reaktor durch eine Notborierung – die Einleitung von Bor ins Kühlwasser – herunterfahren. Als Konsequenz auf diesen Vorfall, den die französische Atomaufsicht vertuscht hatte, forderte die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks aus Sicherheitsbedenken die Stilllegung des elsässischen AKW. Frankreich lenkte ein: "Fessenheim sera bien fermée cette année" bekräftigte damals die Ministerin Emmanuelle Cosse ein geplantes Aus für Fessenheim im Jahr 2016. Bereits im Wahlkampfjahr 2012 versprach François Hollande die zeitnahe Abschaltung der Anlage. Er wurde zum Präsidenten gewählt und war bis 2017 im Amt, doch das Wahlversprechen setzte er nicht um.
Im September 2019 beantragte EDF bei der Regierung und der Atomaufsicht die Aufhebung der Betriebserlaubnis für das umstrittene AKW. In einer Pressemeldung veröffentlichte das Unternehmen das Datum für die Abschaltung von Block 1 (22. Februar) und von Block 2 (30. Juni). Die mit der Stilllegung verbundenen Entschädigungszahlungen belaufen sich laut EDF auf fast 400 Mio. Euro in einem Zeitraum von vier Jahren. Zusätzlich hat die französische Regierung vereinbart, dass die Betreibergesellschaft Geld für entgangene Gewinne erhalten soll, unter Annahme eines Betriebs bis zum Jahr 2041 und auf Basis der jeweiligen Strommarktpreise.
Im April 1971, im Jahr nach Baubeginn des AKW Fessenheim, protestierten 1.500 Menschen gegen die Atomanlage. Die Anti-Atom-Bewegung hatte dort keinen Erfolg, das Kraftwerk wurde bis 1977 fertiggestellt, am 1. Januar 1978 begann die kommerzielle Nutzung. Während auf der anderen Rheinseite Proteste aus der Zivilgesellschaft 1977 den Bau des geplanten AKW Wyhl gestoppt haben, gab es in Frankreich erst in den 80er Jahren erneut einen breiten gesellschaftlichen Widerspruch gegen die Atomenergie. Vor allem gegen das AKW Creys-Malville, auch als Superphenix bekannt, das 1997 stillgelegt wurde. Fessenheim wird nun abgebaut. Nach Angaben von EDF sind für vorbereitende Arbeiten der Demontage fünf Jahre vorgesehen. Der eigentliche Rückbau des Kraftwerks soll 15 Jahre dauern.
Dem IPPNW zufolge stellen die Brennelemente auch nach der Abschaltung des Kraftwerks eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Sie müssen zunächst in Abklingbecken gekühlt und gegen externe Einflüsse wie Anschläge, Naturkatastrophen oder Hackerangriffe geschützt werden. Während der Zeit können technische Defekte – wie der Verlust von Kühlflüssigkeit oder ein Stromausfall – zu einer unkontrollierbaren Situation mit starker Hitzeentwicklungen, Explosions- und Brandgefahr und dem Austreten großer Mengen Radioaktivität führen. Die stark strahlenden Brennelemente müssen noch mindestens drei Jahre vor Ort ständig gekühlt werden. Dementsprechend ist der Abtransport der Brennelemente aus dem Abklingbecken bis Ende 2023 geplant. Auch die mittel- und schwachradioaktiven Stoffe müssen aufwändig aus dem Kraftwerk entfernt und gesondert in Zwischenlager gesichert werden, bevor sie in ein unterirdisches Lager überführt werden können.
Alex Rosen, Vorsitzender des IPPNW, kritisiert, dass das Risiko eines Super-GAU bestehen bleibe solange in Europa Atomkraftwerke betrieben werden. Daher sei es wichtig, dass Deutschland neben den Reaktoren auch die Urananreicherung in Gronau und die Brennstäbefertigung in Lingen einstelle. „Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland Atomkraftwerke abschalten und gleichzeitig an belgische oder französische Pannenmeiler weiter Brennstäbe liefern und somit helfen, deren Laufzeiten noch zu verlängern.“, so der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Schwarzelühr-Sutter, die als Bundestagsabgeordnete den grenznahen Wahlkreis Waldshut vertritt, fordert eine baldige Abschaltung der AKW in Grenznähe in der Schweiz. Die AKW Beznau 1 und Leibstadt sind bereits seit 1969 und 1984 in Betrieb, und liegen an der Grenze zu Baden-Württemberg.