17.04.2020
Die Bedeutung der Coronakrise für die Klimakrise
Das Coronavirus ändert vieles: sinkende Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Werte in den Ballungszentren, ein klarer Sternenhimmel bei Nacht und ein kondensstreifenfreier Himmel am Tag, sowie deutlich weniger CO2-Emissionen, die es selbst Deutschland noch erlauben könnten, seine Klimaziele für 2020 zu erreichen – trotz der Bundeskanzlerin! Aber bleibt das vielleicht alles nur eine kurze Episode, die schnell hinfort gewischt wird durch einen großen Nachholbedarf und einen gesteigerten Lebenshunger nach dem Ende der Pandemie? Ganz so einfach lässt sich die Frage nicht beantworten, aber es gibt Hinweise:
Wirtschaft
Der größte Krisen-Verlierer ist die Globalisierung und das Märchen von den wohltuenden Weltmärkten. Zum 2. Mal nach 2007 hat dieses Markt-System versagt und so gezeigt, dass es nur für „Schönwetter-Situationen“ brauchbar ist: Ausfuhrstopps, fehlende Medikamente, zusammenbrechende Lieferketten etc. machen mehr als deutlich, dass das System weder krisenfest noch zuverlässig ist – in der Krise wird auch in Wirtschaftskreisen die Mär vom Markt durch den Ruf nach Staat abgelöst. Wenn aber in der Coronakrise nach dem Staat gerufen wird, dann ist es höchst unplausibel, in der Klimakrise auf die Kräfte des Marktes, auf „Technologieoffenheit“, Emissionshandel etc. zu vertrauen. Dann sollte man auch hier auf einen starken Staat setzen, der z.B. Ölheizungen, Verbrennungsmotoren in Kfz, und Einwegflaschen verbietet.
Die Coronakrise verstärkt dabei bereits laufende Wirtschafts-Entwicklungen: Rückholung von Produktionskapazitäten aus Übersee, Aufwertung des EU-Binnenmarktes, Regionalisierung beim Lebensmitteleinkauf und sonstigen Gütern – alles Dinge, die mit weniger intensiven Transporten verbunden sind als bisher. Transkontinentale Großprojekte wie die „Neue Seidenstraße“ wirken da zunehmend wie aus der Zeit gefallen und werden mehr Widerstand hervorrufen.
Insgesamt steht die Wirtschaft vor einer tiefgreifenden Rezession, die zwar alle Bereiche betreffen wird, einige aber besonders:
Da ist zum einen die Immobilienwirtschaft: Die hier seit langem steigenden Preise werden einen erheblichen Dämpfer erhalten. Der Grund dafür ist schlicht, dass sich viele Menschen künftig nicht mehr größere oder besser gelegene Immobilien werden leisten können. Mit dem Immobilienboom findet aber auch der Bauboom sein Ende, was wegen der hohen CO2-Lasten des Bauens begrüßenswert ist und uns Zeit gibt, über weniger das Klima belastende Baumaterialien nachzudenken. Ein besonderes Segment sind die Ferienimmobilien, wo insbesondere die Regierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein „ganze Arbeit geleistet haben“: wer einerseits Zweitwohnungssteuer kassiert, die Eigentümer aber dann nicht dort wohnen lässt, muss sich nicht wundern, wenn die Immobilien seines Landes an Interesse und Nachfrage verlieren. Enttäuschte Urlauber könnten sich langfristig vermehrt Fernreisen zuwenden.
Ein weiterer Verlierer ist die Autoindustrie. Viele Bürger werden angesichts der Unsicherheiten (Arbeitsplätze, evtl. 2. Corona-Welle) und der hohen Kosten hier Kaufentscheidungen zurückstellen, und lieber das alte Auto noch etwas länger fahren. Diese persönliche Suffizienz-Entscheidung mit Autoabwrackprämien aushebeln zu wollen, ist angesichts des unabsehbaren Fortgangs der Pandemie anmaßend, und wäre allenfalls durch einen Umstieg auf klimafreundliche Elektromobilität zu rechtfertigen. Mancher Hersteller vollzieht bereits den Schwenk zur E-Mobilität auf ersten Märkten. Nur die deutsche Autoindustrie tut sich da schwer.
Auch in der Energiewirtschaft kommt es zu Umbrüchen, allerdings zu zwiespältigen: sinkende Öl- und Gaspreise drängen einerseits die kostenintensive Fracking-Industrie aus dem Markt und erschweren die Verbreitung des energieaufwändigen LNG – gut für das Klima. Andererseits dürfte nach der Corona-Krise auf vielen institutionellen, aber auch privaten Ebenen das Geld für Investitionen in Erneuerbare Energien fehlen.
Neben der Tourismusbranche, die unter den Reisebeschränkungen und der noch unbestimmten Zeitdauer der Pandemie besonders leidet, trifft es auch eine Branche, um die es wirklich nicht schade ist: die Modeindustrie. Diese kleine, aber ebenso profitable wie in vielfachem Sinn schmutzige Industrie (immenser Pestizid- und Wasserverbrauch, Ausbeutung der Näherinnen etc.), die stets aller Welt erzählen will, dass man die Kleidung aussortieren müsse, weil neue „Styles“ und Farben „angesagt“ seien, erlebt nun mit der Kaufzurückhaltung der Kunden die eigene Bedeutungslosigkeit, die zumindest während der Pandemie andauern wird.
Verkehr
Gewinner der Coronakrise ist eindeutig der Individualverkehr: Fahrrad, Motorroller und Auto funktionieren zuverlässig und frei von viralen Ansteckungsgefahren. Dies wäre auch nicht weiter problematisch, wenn nicht die Mehrheit der Motorroller und PKWs einen Verbrennungsmotor hätte, also im doppelten Sinne zu den Fossil-Fahrzeugen gehörte. Dieser fossilgetriebene Individualverkehr – das häufig verwendete „motorisierter Individualverkehr/MIV“ ist schlicht Unfug, weil z.B. auch ein Pedelec einen Motor, nämlich einen Elektromotor hat, in der Regel aber damit nicht gemeint ist – treibt nicht nur die Feinstaub- und Stickoxid-Belastung in den Städten in die Höhe, sondern mittels des CO2 auch die Klimaerhitzung. Hier könnte sich die Coronakrise, die die Autoproduktions- und die Autoverkaufs-Zahlen niederdrückt, als Vorteil erweisen. Denn in diesem Jahr sollen viele neue E-Fahrzeuge auf den Markt kommen – VW z.B. arbeitet fieberhaft an der Fertigstellung seines ID.3. Mancher heute noch beabsichtigte Kauf eines Verbrenners könnte morgen als E-Auto-Kauf realisiert werden, insbesondere wenn man an die künftig wieder steigenden Spritpreise denkt. Zudem kommt auch in der Krise die Errichtung neuer Ladesäulen und damit die Verbesserung der emobilen Infrastruktur voran.
Verlierer sind hingegen viele der modernen „Nicht-Lösungen“ der Verkehrswende wie die Elektro-Tretroller oder das Ridesharing. Hier führt die Coronakrise zu einer überfälligen Marktbereinigung.
Neben dem Individualverkehr ist es vor allem die sonst viel gescholtene Deutsche Bahn, die in der Coronakrise Strecken und Taktungen möglichst aufrechterhält, und so einen guten Job macht. Während Flugverkehr und Fernbusse weitgehend ausfallen, und der ÖPNV (Busse und Bahnen) wegen Überfüllung und Ausdünnung der Taktung vielfach eine Zumutung ist, erlauben die Züge der DB mit ihrer geringeren Sitzplatz-Auslastung ein Corona-gemäßes Abstandhalten und zeigen die gesellschaftliche Bedeutung des Schienenverkehrs.
Ein Gewinner der Krise ist auch der Datenverkehr: Audio- und Video-Konferenzsysteme sind in vielen Betrieben und Lehreinrichtungen in der Krise mittlerweile Alltag. Das ersetzt persönliche Begegnungen – und damit klimabelastende Fahrten und Flüge –, wenngleich der Internettraffic mittlerweile auch selbst eine Klimabelastung ist, die allerdings weniger problematisch wirkt als das Fliegen. Nach Corona werden viele Unternehmen kritischer seien, Mitarbeiter zu irgendwelchen Meetings fliegen zu lassen. Diese Tendenz ließe sich staatlicherseits unterstützen, etwa wenn man öffentliche Fördermittel für die Weiterentwicklung von Open-Source-Videokonferenzprogrammen einsetzte.
Der Luftverkehr ist einer der großen Verlierer der Pandemie: die meisten Flugzeuge weltweit bleiben am Boden, die Fluggesellschaften rufen nach Staatshilfen. Nach der Krise könnte sich zumindest das erstere wieder ändern. Doch es bleibt fraglich, ob die Konkurrenz von Bahn und Videokonferenzen eine Rückkehr zu alter Größe zulassen. Immerhin wäre nun die Gelegenheit, die subventionierten Regionalflughäfen zu schließen, zumal die EU der „Subventionitis“ von Regionalflughäfen ab 2024 eh‘ einen Riegel vorgeschoben hat. Übrigens: das Fliegen ist einer der Gründe, warum sich das Virus so verheerend schnell um die Welt verbreitet hat.
Der nächste große Verlierer ist die Seeschifffahrt: So wird z.B. im Hamburger Hafen die Ladungskapazität in den kommenden zwei Monaten um 50 % zurück gehen. Grund ist der jetzt zurück gehende Welthandel, insbesondere auch in Richtung China und USA. Da die Erholung des Handels sich wegen der Kaufkraftverluste durch die Krise länger hinziehen wird, werden auch die klimaschädlichen Emissionen in diesem Bereich nicht so schnell wieder ansteigen. Ob dieser Wirtschaftszweig überhaupt noch mal seine alte Größe erreicht wie vor der Weltfinanzkrise ab 2007, bleibt fraglich. Deshalb werden Überlegungen lauter, ob ein Ausbau der Häfen für immer größere Schiffe wirklich notwendig ist – immerhin verursachen auch verlängerte Kaianlagen, Fahrrinnen-Vertiefungen und höhere Brücken erhebliche Klimalasten. Zudem sind Ansätze zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs längst überfällig.
Gefahren
Während die Coronakrise in unserer nicht nachhaltigen Gesellschaft durchaus positive Effekte haben kann, entstehen daneben auch einige Gefahren:
Erstens melden sich jetzt verschiedene „Experten“ und Lobbygruppen zu Wort, die mit Verweis auf ihre durch die Krise ach so gebeutelten Wirtschaftszweige Beihilfen einstreichen oder Umwelt- bzw. Klima-Auflagen aufweichen wollen. Dabei haben viele, die jetzt in Schwierigkeiten sind, vorher „ihre Hausarbeiten nicht gemacht“ – wie u.a. die deutsche Autoindustrie. Und jetzt manchen dieser Unternehmen staatlicherseits generös entgegen zu kommen hieße auch, Arroganz und Bequemlichkeit von „Nieten in Nadelstreifen“ zu belohnen, was das falsche Signal wäre.
Zweitens besteht die Gefahr, dass in der Coronakrise andere wichtige Themen wie die Klimakrise in den Hintergrund gedrängt werden. Die Klimakrise aber wird noch da sein, wenn die Coronakrise längst wieder verschwunden ist. Nur, so viel Zeit, um darauf zu warten, haben wir beim Klima nicht mehr, wenn wir ein verheerendes Klimachaos vermeiden wollen. Und: die Coronakrise kann die wesentlichen Probleme der Klimakrise nicht lösen!
Drittens kann und wird die Coronakrise nach allen Erfahrungen mit dieser Bundesregierung dazu verwendet werden, bestimmte „Pflöcke“ bei der Wirtschafts- und Energiepolitik still und leise einzuschlagen, ohne dass es dabei allzu große öffentliche Aufmerksamkeit und Widerstand gibt. Die Verzögerungen beim Kohleausstieg, bei den Windkraftabständen, bei der Aufhebung des 52-GW-Deckels etc. gehören ebenso dazu wie die Wasserstoff-Strategie mit ihrem schädlichen „blauen“ Wasserstoff oder die zum Hype aufgeblasene „Digitalisierung der Energiewende“.
Daraus ergibt sich als Fazit: Die Coronakrise bietet durchaus Ansätze zum Umsteuern in Richtung auf eine nachhaltige, CO2freie Wirtschaft. Doch das ist kein „Selbstläufer“ – die Gegenseite schläft nicht. Alle Engagierten, denen eine Energiewende am Herzen liegt, werden in den kommenden Monaten sehr aufmerksam sein müssen.
Götz Warnke