16.12.2022
Energiewirtschaft fordert Speicher
Über einen Sinneswandel berichtet Heinz Wraneschitz
„Energiespeicherung kann wie Erzeugung, wie Verbrauch oder wie ein Netzelement wirken. … Das macht Energiespeicher zu einem wertvollen Tool für die Energiewende und zur Unterstützung
der Ziele des energiewirtschaftlichen Dreiecks.“ Diese Sätze könnten aus dem Werbeprospekt eines Herstellers von Batteriespeichern stammen. Tatsächlich aber stehen sie im vor wenigen Tagen veröffentlichten „Positionspapier >Energiewende ermöglichen – drei Schritte, um das Potential von Stromspeichern zu heben<“ des als oft als Kraftwerks-Lobbyverein bezeichneten Energie- und Wasser-Bundesverbands BDEW e.V.
Schon einen Tag, nachdem der BDEW sein mit sechs Seiten sehr kurzes, aber prägnantes Speicher-Positionspapier öffentlich gemacht hatte, hielt der Hauptgeschäftsführer seines bayerischen Pendants VBEW e.V. ein leidenschaftliches Plädoyer pro Stromspeicher. „Wir brauchen den Strom rund um die Uhr. Stellt Speicher auf!“, konstatierte Detlef Fischer auf einem Regional-Netzwerktreffen des so genannten „Bürgerdialog Stromnetz“ in Nürnberg.
Vom Atom-Saulus zum Speicher-Paulus?
Detlef Fischer war bisher eher als kämpferischer Vertreter der Atomkraft-Verlängerungsfraktion bekannt. Jetzt aber stellte er klipp und klar fest: Für ihn werde Deutschlands Atomkraft ab April 2023 Geschichte sein. Und weil wir uns „nicht nochmal so einseitig abhängig machen dürfen, weil wir alle (Energie-; d.Red.) Probleme ausgelagert haben nach Russland“, müsse nun endlich Ernst gemacht werden mit der Stromproduktion im Inland. Auf Bayern bezogen, „werden wir am 28. April 2023 eine Studie veröffentlichen. Darin werden wir darlegen, was in jedem Landkreis getan werden muss.“
Ganz konkret zählte Fischer auf: „Wir brauchen im Freistaat 3.800 MW Photovoltaik pro Jahr – aber installieren nur ein Drittel davon. Wir brauchen 530 MW neue Windkraft pro Jahr, das sind zwei Maschinen pro Woche. Geschafft haben wir zuletzt 25 MW. Wir brauchen 55 neue Umspannwerke pro Jahr – gebaut wurden drei. All das haben wir noch nicht im Ansatz realisiert.“ Die versammelten Bürgermeister:innen, Beamt:innen, Planer:innen, Anlagen- und Netz-Betreiber:innen waren ziemlich baff.
Zwar war lediglich ein Beamter des Bayerischen Wirtschafts- und Energieministeriums im Raum. Doch der VBEW-Boss will die tatsächlich politisch verantwortlichen Landespolitiker:innen mit Hilfe ihrer eigenen Gesetzgebung zwingen, sich des massiven Ausbaus Erneuerbarer Stromerzeugung anzunehmen: „Bayern hat ab 13. Dezember ein neues gesellschaftliches Staatsziel, kein irgendwie dahergelabertes mehr. Es heißt >Klimaneutrales Bayern 2040< und steht im neuen Klimaschutzgesetz 2.0.“ Dieses Staatsziel werde er der Staatsregierung immer wieder vorhalten, kündigte Detlef Fischer an. So gehe es dabei nicht an, Bayerns Emissionen schönzureden, indem beispielsweise „nicht eingerechnet wird, dass in der Lausitz Kohlekraftwerke laufen“.
Massiver Speicherausbau ist überall notwendig
Aber um sicherzustellen, dass sommers wie winters erneuerbare Quellen die künftig auf Strom basierende Energieversorgung sicherstellen könne, braucht es einen massiven Speicherausbau. Damit müssen Tagsolarstrom in die Nacht und Sommerüberschüsse in den Winter verschoben, Windüberproduktion für wochenlange Dunkelflauten gerettet, statt abgeregelt werden. Hierüber sind sich Fachleute seit Jahren einig. Nun reiht sich also auch der BDEW mit ein.
In drei Schritten will der Versorger-Bundesverband das Speicherpotenzial heben. Der erste: „Das Potenzial von Stromspeicher erkennen – Energiewende besser ermöglichen.“ Stromspeicher können bereits jetzt wirtschaftlich effizient eingesetzt werden, indem z.B. Industrie- und Großverbraucher „Leistungsspitzen und damit teure Netznutzung und gleichzeitig Netzausbaukosten vermeiden („Peak-Shaving“) oder eine bessere Eigenversorgung mit Erneuerbaren Energien als wirtschaftliche Alternative im Wettbewerb ermöglichen“, heißt es im Positionspapier. Ebenfalls heute schon trügen „Speicher aller Größenordnungen im Strommarkt zu einem stabilen und sicheren Netzbetrieb bei, indem sie z. B. Systemdienstleistungen wie Regelleistung, Spannungshaltung, Blindleistungskompensation oder Schwarzstartfähigkeit bereitstellen“.
Speicher sind weder Verbraucher noch Erzeuger
Doch die Ist-Situation reiche bei weitem nicht aus. Der zweite Schritt müsse „eine kohärente und eigenständige Rolle von Energiespeichern im Versorgungssystem etablieren“. Denn aktuell seien Stromspeicher in Energiestatistiken oft als Erzeuger oder als Verbraucher eingestuft. Dadurch werde gespeicherter Grünstrom plötzlich zu Graustrom. Das müsse sich durch eine „separate Ausweisung der ein- und der ausgespeicherten Strommengen“ ändern, fordert der BDEW.
Als dritten Schritt erwartet der Verband von der Bundespolitik: „Stellschrauben im Rechtsrahmen nachjustieren und den Markthochlauf von Stromspeichern beschleunigen.“ Denn Speicher müssten künftig eine „eigenständige Rolle“ im Stromversorgungssystem bekommen, also wegkommen vom Image des Verbrauchers. Dafür müssten Netzentgelte entfallen, und zwar für alle Speichersysteme, nicht nur für Pumpspeicher. Wer große Speicher baut, zum Beispiel in Verbindung mit PV-Kraftwerken, müsse von den noch verpflichtenden Baukostenzuschüssen befreit werden: „Speicheranlagen stärken die Leistungsfähigkeit des Netzes und entlasten das Netz damit. Die Bereitstellung systemdienlicher Leistung sollte nicht durch hohe Baukostenzuschüsse behindert werden“, ist eine zentrale Forderung im Positionspapier. Doch für eine „nachhaltige Regulierungspolitik“ sei „die Umsetzung von Energiewendezielen als Aufgabe der Bundesnetzagentur BNetzA zu definieren“ – also deren Unabhängigkeit sicherzustellen.
Nicht zuletzt stellt laut BDEW das „Ausschließlichkeitsprinzip des § 3 Nr. 1, 2. Alt., EEG“ ein Problem dar: zwischengespeicherte Strommengen erlitten dadurch „ungerechtfertigte Nachteile hinsichtlich der EEG-Förderung. Das erschwert eine multivalente Speichernutzung und steht einer effektiven Speichernutzung entgegen.“
Dabei werden „in einem Energieversorgungssystem, das zunehmend auf dargebotsabhängige Erneuerbare Energien (EE) aufbaut, Flexibilitätsoptionen zum Ausgleich von Erzeugungs-, Last- und Strompreisschwankungen und zur Stabilisierung des Gesamtsystems immer wichtiger“. So beginnt das Plädoyer des Positionspapier-Autors Gunnar Wrede vom BDEW pro Stromspeicher.
Aber was sagt das für Strom, EEG, Speicher, Energiewirtschaft, Klima und mehr zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zum Speicherpapier des BDEW? „Wir kommentieren grundsätzlich keine externen Studien und Papiere“, schreibt uns das Pressereferat des BMWK auf Anfrage.