16.09.2022
Eine Initiative zur Beschleunigung des ökosozialen Wandels
Ein kommentierender Situationsbericht von Tatiana Abarzua
„Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“: Vor zwei Jahren starteten Klimabewegte in New York diese Initiative zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und zur Unterstützung einer gerechten gesellschaftlichen Transformation. Konkret fordern die Campaigner einen Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe, so die deutsche Übersetzung. Doch reicht so eine Forderung aus, um eine echte Energiewende hinzubekommen?
Die Idee für das geforderte internationale „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ ist angelehnt an erfolgreiche internationale Verträge, wie den Atomwaffensperrvertrag oder das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen.
Großes Netzwerk an Befürwortern
Für ihren Aufruf an die Regierungsverantwortlichen weltweit, den Ausbau fossiler Brennstoffe zu stoppen, haben die Campaigner bereits viele prominente und für ihr soziales und umweltschutzorientiertes Engagement bekannte Menschen gewonnen. So unterstützen der Dalai Lama, Rigoberta Menchú und weitere etwa hundert Nobelpreisträger:innen die Initiative.
Nach Angaben der Initiator:innen haben sie über 3.000 Einzelpersonen als Mitunterzeichnende gewonnen, dazu über 1.500 zivilgesellschaftliche Organisationen. Selbst die WHO und weitere Gesundheitsorganisationen zählen zu den Unterzeichnenden. In ihrem offenen Brief vergleichen sie das geforderte Übereinkommen mit dem Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, das „Framework Convention on Tobacco Control“, das 2003 verabschiedet wurde.
Nicht zu vergessen: Auch Städte unterstützen die Initiative, wie Barcelona, London, Lima oder Kolkata.
Was soll mit dem geplanten Vertrag erreicht werden?
Als erstes zielt die Initiative auf die Beendigung der bestehenden Öl-, Gas- und Kohleförderung. Der Abbau soll schrittweise soweit reduziert werden, dass das Klimaschutzziel des Übereinkommens von Paris eingehalten wird. Letztendlich fordern die Klimaschützer:innen eine Ergänzung des Pariser Abkommens „durch einen Vertrag, der sich auf fossile Brennstoffe konzentriert“.
Außerdem haben sie weitere - recht vage – Forderungen: Nach einer Gewährleistung eines globalen Zugangs zu Erneuerbaren Energien. Und nach einer Unterstützung von Arbeitnehmern, Gemeinden und Ländern, die derzeit von fossilen Brennstoffen abhängig sind, durch einen globalen, gerechten Transformationsprozess, so dass gesunde Lebensgrundlagen geschaffen werden und mehr Wohlstand.
Was fehlt?
In den Forderungen findet sich keine Aussage zur Atomenergie oder zum bestehenden und weiter entstehenden Atommüll. Die Lagerung des Atommülls ist bekanntlich bisher nicht nur in Deutschland nicht gelöst. Neben Finnland hat bisher, wie verschiedene Medien kürzlich berichtet haben, nur die Schweiz konkrete Pläne für eine Lagerung radioaktiver Abfälle – in diesem Fall, nahe der deutschen Grenze.
Außerdem ist es wichtig und dringend, nicht nur Kampagnen zu starten, mit einer Präambel, mit schönen Worten und Zielen. Denn währenddessen bleiben multilaterale rechtsverbindliche Abkommen, wie der Vertrag über die Energiecharta (ECT), seit Jahrzehnten unverändert in Kraft (DGS News berichtete). Das betrifft auch die „Nachwirkungsklausel“, laut der bestehende Investitionen bis zu 20 Jahre nach dem Austritt eines Staates noch unter Schutz gestellt sind. Die Regelungen der ECT verschaffen den Energiekonzernen gute Verhandlungspositionen. Stichwort ISDS: Ausländische Investoren können sich auf die Investitionsschutzklausel berufen und Staaten vor eigens geschaffenen Schiedsgerichten verklagen und millionenschwere Schadensersatzzahlungen verlangen (DGS News berichtete); die privaten Schlichtungsverfahren heißen „Investor-State Dispute Settlement“ (ISDS). Eine solche Investor-Staat-Streitbeilegung führte schon mehrfach zu Vergleichen zwischen dem klagenden Investor und der verklagten Regierung. Und zu abgeschwächten Umweltstandards oder sehr hohen Entschädigungszahlungen.
Dazu kommt eine neuere Entwicklung: Inzwischen scheinen trotz Klimakrise selbst alte Konzepte wie Fracking wieder durchführbar, haben viele einflussreiche Freunde. Und das, obwohl, wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gegenüber der Frankfurter Rundschau sagte: „Kein Frackingprojekt könnte vor Ablauf von fünf Jahren tatsächlich Gas fördern, zur Lösung unserer aktuellen Probleme trägt das null bei. Und zum Übergang in die CO2-Neutralität auch nicht.“
Zeichen der Zeit: Konsequenter Umweltschutz nötiger denn je
Angesichts der Herausforderungen der aktuellen Zeit ist die Initiative pro „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ ein Projekt mit dem Potential, den ökosozialen Wandel zu beschleunigen. Ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung, denn die Kampagne verschafft wichtigen Anliegen eine breite, globale Öffentlichkeit.
Vor diesem Hintergrund ist es spannend, dass die Campaigner das Thema auf die öffentliche Agenda gesetzt haben. Nächste Woche ist eine Veranstaltung im Rahmen der „New York Climate Action Week“ geplant, im Oktober eine in London. Wenige Wochen später, im November startet der nächste Klimagipfel, die COP 27 in Ägypten. Wie mehrheitsfähig wird dort der Vorschlag für einen Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe sein? Es bleibt zu hoffen, dass die Zeichen der Zeit erkannt werden, und konsequente und verbindliche Umweltpolitik umgesetzt wird.