14.06.2019
Ist der E-Auto-Dokumentarfilm noch zu retten?
Nach dem ZDF, das sich in einer Folge der Serie „planet e“[1] bereits sehr tendenziös mit der Elektromobilität und Ihren Folgen auseinander gesetzt hatte, ist nun die ARD am Zuge: mit dem 45minütigen Beitrag „Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten?“[2] von Florian Schneider und Valentin Thurn, der zuerst am Montag, dem 03.06. abends ausgestrahlt wurde, widmet man sich dem gleichen Thema, aber in anderer Aufmachung. Und dennoch gibt es eine Vielzahl von Parallelen, so dass es dem Zuschauer bisweilen wie ein Déjà-vu vorkommt. Aber erst einmal der Reihe nach:
Der Film beginnt mit einer kurzen Problemskizze zur Notwendigkeit einer Verkehrswende, und dem Setzen auf E-Mobilität, auch von Seiten der Politik. Bei Minute 1:15 erfolgt plötzlich die Einspielung eines Lamahirten, der in der Übersetzung sagt: „Wir können doch nicht von einer sauberen Energie für Länder wie Deutschland reden, wenn man andernorts die Lebensgrundlage von Menschen zerstört.“ Die Aussage ist per se sicher richtig, nur woher der Indio weiß, welche Energie nach Deutschland gelangt, bleibt im Dunkeln. Im Raum steht erst mal die Frage: wie sauber ist Elektromobilität wirklich?
In der Folge werden zuerst deutsche E-Auto-„Fans“ gezeigt, die mit Ihren Autos etwas Gutes für die Umwelt tun wollen. Es folgen Infos zum E-Auto, und dass für seine Batterie Lithium unausweichlich ist. Anschließend wird die Frage gestellt: „Wo kommt es her?“ Dann blendet der Film sogleich zur argentinischen Provinz Jujuy über (04:27). Hier befinden sich nach Aussagen des Films im Dreiländereck Argentinien, Bolivien, Chile 60% der weltweiten Lithium-Vorkommen. Das Lithium wird dort in einer sonst extrem trockenen Gegend (Wüste) aus großen unterirdischen Salzseen an die Oberfläche gepumpt, um in großen Becken die Salzlake in der Sonne verdunsten zu lassen. Das habe „zerstörerische Konsequenzen für die einzigartigen Salzseen der Anden“ (08:10) und auch für die wenige Wasserquellen der Region. Während der Film letzteres zumindest mit dem Nachfließen von Süßwasser in das teilweise abgepumpte Salzwasserreservoir zu begründen sucht, bleibt völlig offen, was an unterirdischen Salzwüsten erhaltenswert ist. Es folgen Klagen der Bauern über Wassermangel und das Erblinden der Lamas durch den Staub der Lithiumproduktion. Dann folgt ein Schlenker über Tesla und den Ausbau der E-Mobilität weltweit, insbesondere auch bei deutschen Autofirmen. „E-Autos um jeden Preis.“ (13:49). Wichtig sei das Thema Reichweite der Fahrzeuge (14:55). Und dann werden jede Menge E-SUVs bzw. entsprechende Projekte gezeigt; der Film erweckt den Eindruck, als müssten es für hohe Reichweiten unbedingt SUVs sein (15:25). In diesem Zusammenhang wird im Film z.B. sowohl die seit 2009 gebaute Limousine Tesla S mit heute rund 500 km Reichweite unterschlagen, als auch dass SUV gebaut werden, weil die Hersteller durch sie am meisten verdienen. Die meisten E-Autos in Deutschland haben einen kleineren Akku als der Nissan Leaf Zero e+ mit seiner 62-kWh-Batterie, und die liefert immerhin schon eine Reichweite von 385 Kilometer.
Bei Minute 17:20 ist man zurück in den Argentinischen Anden und beim Kampf der Indios gegen die Bergbauunternehmen. Einzelne Probebohrungen konnten gestoppt werden (18:54). Es bleibt die Frage, weshalb angeblich die Grundwasserspiegel schon so sehr sinken, wenn es doch in der Region vielfach noch nur Probebohrungen sind. Ob es sich hierbei tatsächlich um eine Folge des Lithiumabbaus oder eine des Klimawandels handelt, bleibt wie üblich in solchen Filmen ungeklärt [Siehe auch „Die Lithium-Revolution“ von Heinz Wraneschitz in diesen DGS-News].
In Minute 22:58 erfolgt der Auftritt von Professor Harald Lesch als besorgter Wissenschaftler. Lesch hatte sich schon Ende vergangenen Jahres an der TU Ilmenau vor Studierenden eher polemisch denn kenntnisreich mit dem Thema E-Mobilität auseinander gesetzt [3]. Wie schon im ZDF planet-e taucht hier die Frage nach der Herkunft des Lithiums auf. Die Frage an sich ist berechtigt, nur fällt auf, dass sie stets bei Lithium und sonst häufig nicht gestellt wird – man könnte ja mal fragen, woher das Rohöl für die Kameragehäuse der Filmemacher stammt.
Bei Minute 26:30, also nach mehr als der Hälfte des Films, kommt „die Katze endlich aus dem Sack“: in Argentinien ist die Regionalregierung von Jujuy am dort größten Bergbau-Unternehmen beteiligt! Damit hat sich das von den Filmemachern inszenierte argentinische Lithium-Drama erledigt: denn was im Film als Folge der bösen E-Mobilität ausgegeben wird, ist eine typische Bergbaugeschichte aus der „3. Welt“, wie sie sich so überall dort wiederholt: interessierte Regierungen/Beamte und Konzerne setzten sich über die Rechte der indigenen Bevölkerung hinweg, ignorieren dabei einfachste Umweltstandards, und das alles, um den eigenen Profit zu maximieren. Ob Bauxit, Erdöl, Kupfer, Lithium, Palladium etc. – die Namen der abgebauten Rohstoffe ändern sich, die Methoden bleiben ohne funktionierende Zivilgesellschaft und unabhängige Justiz brutal. Nur hat das so gar nichts mit dem Elektro-Auto an sich zu tun. Denn dass man das Lithium aus den Salzseen auch mit viel weniger Schäden abbauen kann, zeigt das Beispiel Bolivien [4]. Doch das verschweigen die Filmemacher ebenso wie die weltweit riesigen Lithiumvorkommen in Hartgestein wie z.B. in Westaustralien, wo überhaupt kein Wasser abgepumpt werden muss [5].
Der Film folgt weiter unbeeindruckt seiner Propaganda-Agenda. Als nächstes wird Bezug genommen auf die Studie „Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit. Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende“, die von den Vereinen Brot für die Welt, Misereor und Powershift gemeinsam 2018 herausgegeben wurde [6]. Zu Wort kommt die Studienautorin Merle Groneweg, die die Ansicht vertritt, alle Autohersteller – d.h. nicht nur die E-Auto-Hersteller, wie der Film uns weiß machen will (26:49) – würden zu wenig bei der Rückverfolgung ihrer Rohstoffe tun. Nach einem kurzen Auftritt von Harald Lesch fasst der Film zusammen (27:20): „Kollateralschäden im Ausland, könnte man sagen, für bessere Luft in Deutschland.“ Obwohl nochmals Bundesumweltministerin Svenja Schultze auf die Vorteile der E-Mobilität verweist, verfolgen die Autoren ihre ideologische Agenda mit dem simplen Satz „Doch die Rechnung geht so nicht auf“ weiter. Dabei hatte schon die o.a. Studie der Autorin Groneweg in der Zusammenfassung S. 6 nüchtern festgestellt: „Die zügige Abkehr vom Verbrennungsmotor ist aus Gründen der Umwelt- und Klimagerechtigkeit deshalb dringend geboten. Elektroautos mit Akkuspeicher sind die derzeit beste Option, um Verbrennungsmotoren zu ersetzen. Zum einen sind sie schon heute weniger klimaschädlich als Autos mit konventionellen Antrieben. ...“
Nach dem durchaus richtigen Hinweis auf die Batteriezellen-Produktion in asiatischen Ländern mit einem hohen Anteil an Kohlestrom holt der Film nun die Studie des Swedish Environmental Research Institute (IVL) von 2015 hervor (28:07), um die hohen CO2-Emissionen in der Batteriezellenfertigung und damit durch das E-Auto zu belegen. Das Szenario der Studie wurde inzwischen mehrfach widerlegt [7]; dennoch geistert die Studie weiter durch die Medien [8] und wird gerade von E-Auto-Gegnern immer noch gern verwendet.
Nächste Runde: Seltene Erden für E-Autos (29:07), die in China schmutzig abgebaut werden. Dass diese Seltenen Erden (die gar nicht so selten sind) auch in anderen Produkten wie Handys, Bildschirmen und Filmkameras (!) stecken, wird ebenso wenig thematisiert wie die Tatsache, dass man Bergbau auch weniger umweltschädlich betreiben kann, und dass an Alternativen zu den Seltenen Erden längst gearbeitet wird [9]. Als Zeuge für den hohen Ressourcenverbrauch des E-Autos dient Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut. Fischedick spricht aber nur vom doppelt so hohen Materialaufwand für E-Autos, nicht von der Lebenszyklus-Bilanz.
Der Film zeigt nun ein Schaubild (29:56), und beschreibt die problematischen Stoffe bei der Herstellung der E-Autos, während bei Fossil-Fahrzeugen überwiegend unproblematischer Stahl zum Einsatz komme. Dass die Fossil-Fahrzeuge mit Palladium für Katalysatoren und Öl für die Schmierstoffe ebenfalls massiv die Umwelt versauen, fällt hier schlicht unter den Tisch [10].
Doch plötzlich folgt auf das E-Auto-Bashing ein ganz neuer Ton: „Für eine ökologisch sinnvolle Verkehrswende braucht es neue Denkweisen“ (30:49). Elektrobusse und E-Taxis sollen es künftig richten. Und man mag im ersten Moment seinen Augen nicht trauen: gezeigt wird ein weißer Tesla S als Taxi – ja, eines dieser schlimmen, großen E-Autos, die es auch als eines der wenigen Fahrzeuge mit der 100-kWh-Batterie gibt. Also der GAU der E-Mobilität schlechthin, wie ihn die Dokumentarfilmer noch bei Minute 28:20 beschrieben haben. Es folgt eine Hymne auf kleine Autos wie den eGo life und das Recycling von Batterierohstoffen wie die Pilotanlage von Umicore in Antwerpen/Belgien (33:20) – alles soweit richtig. Bei 35:14 schwenkt der Film auf die brennenden Müllkippen in Ghana oder Nigeria, wo teilweise auch unser Elektroschrott entsorgt wird; das hat allerdings nichts mit E-Autos und ihren Akkus zu tun, denn die wertvollen Batterien drehen nach ihrem Autoleben möglichst eine „zweite Runde“ als stationäre Speicher [11].
Ab Minute 36:15 darf nochmals Fernseh-Weltenerklärer Harald Lesch seine übliche Ablehnung der Elektromobilität zum Besten geben. Dann heißt es: „Warum fördert die Bundesregierung eine Mobilität, die mit ihrem Trend zu großen Batterien nachweislich die Umwelt stärker belastet als unsere jetzigen Autos?“ (36:40) Besser hätte man fragen können, warum die Regierung den Diesel fördert, der großen, überschweren SUVs den Weg bereitet. Aber das hätte natürlich nicht ins E-Auto-Bashing gepasst. Bei 38:00 ist man dann wieder bei alternativen Verkehrskonzepten: weg vom eigenen Auto, hin zum Fahrrad oder zur Mobilitäts-App, wie jetzt in Vilnius oder künftig in Berlin. Und weniger Autos (43:27). Und kleinere Autos. Das ist ja alles richtig, aber hätte man dazu vorher in über 30 Film-Minuten den Unsinn über das umweltgefährliche E-Auto auswalzen müssen?
Fazit
Die Dokumentation ist zu rund zwei Dritteln ein Sammelsurium von Halbwahrheiten, Ungenauigkeiten, Verdrehungen und Desinformation. Selbst eine einfache Recherche im Internet hätte ausgereicht, die meisten Fehler zu erkennen und zu beheben. Warum die beiden „Dokumentarfilmer“ das nicht getan haben, und welche Interessen dahinter stehen, bleibt unklar. Immerhin dürfte der Film mit den Bildern aus Argentinien etc. nicht ganz billig gewesen sein.
Fake-News sind heute leider ein weit verbreitetes Phänomen in den Medien. Wäre dieser Dokumentarfilm nur ein auf Youtube eingestelltes Video – niemand würde sich wirklich wundern. Doch dieser Film wurde im Abendprogramm der ARD gesendet, die sich als Qualitätsmedium begreift und prominent einen ARD-Faktenfinder gegen Fake-News betreibt. Hier erwartet der Gebühren zahlende Zuschauer, dass Ihm in dem öffentlich-rechtlichen Sender neutrale, auf wissenschaftlichen Fakten beruhende Informationen geboten werden, zumal in Dokumentarfilmen. Dass nach dem Versagen des ZDF bei der „planet e“-Folge, die den ARD-Verantwortlichen durchaus hätte eine Warnung sein können, nun auch der eigene Sender bei der Propaganda gegen E-Autos einsteigt, ist um so ärgerlicher.
Götz Warnke
Anmerkungen:
[1] https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-der-wahre-preis-der-elektroautos-100.html
[2] http://mediathek.daserste.de/Reportage-Dokumentation/Kann-das-Elektro-Auto-die-Umwelt-retten/Video?bcastId=799280&documentId=63541548
[3] https://www.youtube.com/watch?v=6wLlWWp8Vcg (dort ab Min. 33:24) , https://www.dgs.de/news/en-detail/110119-leschs-lithium-litanei-oder-ein-astronomieprofessor-auf-abwegen/
[4] https://www.welt.de/wirtschaft/article185438322/Schluesselrohstoff-Lithium-Deutschland-greift-nach-dem-weissen-Gold-in-Boliviens-Salzsee.html, https://edison.handelsblatt.com/erklaeren/lithium-aus-lateinamerika-umweltfreundlicher-als-gedacht/24022826.html
[5] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/rohstoffpreise-lithium-valley-in-australien/23166486.html
[6] https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Studie-Weniger-Autos-mehr-globale-Gerechtigkeit.pdf
[7] https://pubs.acs.org/doi/pdf/10.1021/acs.est.6b00177, https://www.deutschlandfunk.de/elektroauto-versus-diesel-klimabilanz-des-elektrofahrzeugs.697.de.html?dram:article_id=395764
[8] https://edison.handelsblatt.com/erklaeren/elektroauto-akkus-so-entstand-der-mythos-von-17-tonnen-co2/23828936.html
[9] https://edison.handelsblatt.com/erklaeren/e-motoren-alternativen-zu-seltenen-erden/23735910.html
[10] https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse75-de-v10-Web.pdf, https://www.deutschlandfunk.de/oelunfall-im-golf-von-mexiko-die-vergessene-katastrophe.724.de.html?dram:article_id=317478
[11] https://www.dgs.de/news/en-detail/200718-was-machen-audi-hybrid-autobatterien-im-zweiten-leben/, https://edison.handelsblatt.com/ertraeumen/die-drei-leben-einer-elektroauto-batterie/20701254.html