13.08.2021
Der Weltklimabericht zwischen wissenschaftlicher Analyse und politischer Wirklichkeit
Ein kommentierendes Kopfschütteln von Heinz Wraneschitz
Viele Menschen haben inzwischen begriffen: „Wir haben nur diese eine Erde.“ Doch offensichtlich ist diese Tatsache noch nicht zu allen verantwortlichen Politiker*innen durchgedrungen.
Kurz nachdem am Montag der erste Band des sechsten Weltklimaberichts vorgestellt worden war, bewegten sich auch zwei deutsche Bundes-Ministerinnen ins Licht der Öffentlichkeit: Svenja Schulze (SPD), verantwortlich für die Umwelt, und Anja Karliczek (CDU), zuständig für Bildung und Forschung. Ob sich die beiden an diesem kühlen Tag womöglich nur an den Klimaverheißungen (Hinweis: Wortspiel) der IPCC-Wissenschaftler*innen erwärmen wollten sei dahingestellt. Zuvor aber hatten zwei Mit-Verursachende des IPCC-Berichts die Fakten kurz und knapp präsentiert.
Prof. Veronika Eyring vom Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. beziehungsweise der Universität Bremen hatte erklärt: „In diesem Bericht wird eindeutig klargestellt, dass die Klimaerwärmung stattfindet und auf Menschen zurückzuführen ist.“ Die Erwärmung wiederum wirke sich auch auf ganz andere Bereiche aus, und das in allen Regionen der Welt.
Prof. Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie an der Uni Hamburg hatte ergänzt: „Wir haben nur eine Chance, die Pariser Ziele zu erreichen, also den Temperaturanstieg auf 1,5 oder 2 Grad zu begrenzen, wenn wir drastisch und schnell die Emissionen nachhaltig herunterfahren. Wenn wir die Emissionen nur halten oder gar erhöhen, haben wir keine Chance.“
Die ach so ahnungslose Politik
Dann war Umweltministerin Svenja Schulze an der Reihe und bekannte: „Ja, das ist alles sehr, sehr beunruhigend. Wenn die Menschen fragen, haben die Extreme etwas mit dem Klimawandel zu tun, dann bietet der 6. Bericht genau diese Wissensgrundlage. Er bestätigt eindrücklich den Zusammenhang auch zwischen Klimawandel und Wetterextremen.“ Und: „Jedes Gramm CO2 zählt.“
Dabei hätte die Regierung die Menschen spätestens seit der Veröffentlichung des Berichts der Bundestags-Enquete-Kommission „Schutz der Erde“, also anno 1990, auf den Klimawandel einstimmen können – oder besser müssen. Aber erst über 30 Jahre später, am 29. April 2021, hat das Bundesverfassungsgericht der aktuellen GroKo eine Klatsche verpasst mit seinem oft zitierten Klimaschutzurteil. Svenja Schulze dazu: „Was wir bisher getan haben, reicht nicht.“ Das daraufhin mit heißer Nadel gestrickte, überarbeitete Klimaschutzgesetz aber sieht die Ministerin wohl als ausreichend an: „Es geht um nichts weniger als eine neue industrielle Revolution.“
Anja Karliczek wiederum – auch sie hat bemerkt: „Die Ereignisse überschlagen sich, im Einklang mit dem IPCC-Bericht!“ – setzt zwar ebenfalls auf „den Umstieg hin zu Erneuerbaren Energien“. 30 Jahre nach besagtem Enquete-Bericht erklärt sie nun: „Wir werden ein Maßnahmenkonzept entwickeln.“ Doch sie sieht die Umsetzung „als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, offensichtlich also nicht als ihre politische. Und sie will Deutschland selbst eher zum Technologieexportland als zur Anwendungsnation machen: „Wir werden auch künftig 80% der Primärenergie importieren“, beantwortete sie bei besagter Pressekonferenz eine DGS-Nachfrage. So wie bisher Erdöl aus den Golfländern kommt, werde man künftig beispielsweise „Wasserstoff in Australien produzieren“ und hierher transportieren. Dabei hat die Aussi-Regierung klar bekannt, die von IPCC geforderten stärkeren Klimaziele abzulehnen. Und – noch einmal Anja Karliczek (CDU): „Wir setzen auf die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre“, also auf eine in ferner Zukunft verfügbare Technologie, die zudem viel Energie verbraucht.
Das konnte augenscheinlich nicht einmal ihre SPD-Ministerin-Kollegin Schulze so stehen lassen: „Wir können nicht alles importieren, ein großer Teil der Energie muss in Deutschland produziert werden. Die Bundesländer müssen dafür die Flächen zur Verfügung stellen. Sachsen, Bayern, NRW: das funktioniert so nicht“, nannte sie von CDU und CSU regierte Länder, die vor allem den Windkraftausbau beschränken. „Die Flächen sind vorhanden“, erklärte sie und erwähnte: „In Brandenburg ist das inzwischen ein Industriefaktor – das müsste ein starkes Signal auch für andere sein.“ Doch was Schulze nicht sagt: Auch ihre eigene Partei SPD will in NRW lediglich 200 neue Windräder pro Jahr zulassen.
Droht EU-Ärger?
Aber vielleicht hilft der (künftigen) Regierung ein Tritt in den Hintern durch die EU-Kommission auf die Sprünge. Den erhofft sich eine Allianz verschiedenster gesellschaftlicher Organisationen auf Grund ihrer „Beschwerde gegen Deutschland wegen der Untätigkeit der Bundesregierung zulasten der Bürgerenergie“.
Einer dieser Verbände ist der Bund Naturschutz. Dessen Bayerischer Landesvorsitzender Richard Mergner hat am Montag – ebenfalls in Anlehnung an den aktuellen IPCC-Bericht – erklärt: „Es ist bereits eher Viertel nach Zwölf. Das Parisziel würde krachend verfehlt, wenn nicht rigoros gehandelt wird.“
Ich aber komme seit Montag aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus: Zumindest diese aktuelle GroKo-Regierung hat nicht einmal dem Knall gehört, den der 6. IPCC-Bericht bei den meisten normalen Menschen verursacht hat. Aber heute werden solche Veröffentlichungen ja leider elektronisch zugestellt und nicht mehr auf den Tisch der Verantwortlichen geknallt.
Hier geht's zum Bericht über die IPCC-Veröffentlichung