12.06.2020
Solarpflicht ist nicht Solarpflicht
Hamburg und Baden-Württemberg haben es beschlossen, in einigen Kommunen wurde sie schon seit Jahren erfolgreich praktiziert: Eine Solar(strom)pflicht soll den Ausbau der Photovoltaik voranbringen und vor allem hohe Zubauzahlen auf einfache Art sichern. Kommunen haben positive Erfahrung gemacht, nun wagt sich auch ein erstes Bundesland an das Thema.
Historisch: Wirtschaftlichkeit bringt PV voran
Die Erfolgsgeschichte der Solarstromerzeugung beginnt dynamisch mit dem EEG, das in diesem Jahr 20 Jahre alt wurde. Es hat den Investoren einen zuverlässigen Rahmen gegeben, um eine Investition zu tätigen und genau kalkulieren zu können, welcher wirtschaftlicher Erfolg bei guter Funktion der Anlage und gutem Wetter, zu erwarten ist. Diese Sicherheit hat die Technik und die Ausbauzahlen vorangebracht. Das Prinzip gilt heute verschärft für die PV-Großanlagen, die sich einer Ausschreibung unterziehen müssen und dabei rein dem wirtschaftlichen Kalkül unterliegen.
Doch gerade im kleinen und mittleren Anlagensegment hat ein weiterer Faktor in den vergangenen Jahren Einzug gehalten, welcher Hausbesitzer und Gewerbetreibende immer mehr von der Anschaffung einer PV-Anlage abhält, selbst wenn sie wirtschaftlich machbar wäre: Die zunehmende Bürokratie und das komplexe EEG, das für etwas umfangreichere Projekte fast nicht mehr durchschaubar ist, machen den PV-Einsatz oft immer weniger lukrativ.
Solarpflicht als Lösung
Es liegt daher nahe, auch darüber nachzudenken, den Einbau einer Solaranlage einfach vorzuschreiben, um eine große Zahl von neuen Anlagen zu erreichen.
Zum ersten sei darauf hingewiesen, wer mit Solarpflichten schon länger agiert bzw. sie jetzt beschlossen hat: Es sind Bundesländer und Kommunen. Es ist nicht der Bund, obwohl es für den Klimaschutz herzlich egal ist, ob eine PV-Anlage in Stuttgart, Berlin oder Hannover steht. Der Bund müsste das Thema – auch zugunsten einer einheitlichen Regelung und der Gleichbehandlung aller Bürger - vorantreiben. Das tut er aber nicht. Im Gegenteil: Dort wurde das EEG immer weiter verkompliziert und es wird bis heute an Ausbauzielen festgehalten, die nicht mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel sind.
Zuerst waren es Kommunen, die eine Solarpflicht eingeführt haben, allen voran die Städte Waiblingen (schon im Jahr 2006!) und Tübingen im Jahr 2018. Die Intension: Wenn der Ausbau nicht bundesweit vorangetrieben wird, dann wollen wir wenigstens in unserer Kommune vorwärtskommen. Waiblingen hat heute 55.000 Einwohner und liegt im Rems-Murr-Kreis nahe Stuttgart in Baden-Württemberg. Dort ist seit 2006 der Einsatz von Solarenergie vorgeschrieben: In städtebaulichen Verträgen und Kaufverträgen von Grundstücken. Um möglichen juristischen Problemen aus dem Weg zu gehen, kauft die Stadt bei einer Planung eines neuen Wohn- oder Gewerbegebietes zuerst alle privaten Grundstücke des Areals auf. Dann wird entwickelt und die Grundstücke werden neu aufgeteilt und einzeln an die zukünftigen Hausbesitzer verkauft. In diesen Kaufverträgen kann die Stadt, da es ja privatwirtschaftliche Verträge sind, mehr oder weniger beliebige Vorgaben machen, ohne juristisches Risiko befürchten zu müssen. Und der Erfolg gibt der Stadt recht: Seit 2006 wurden 20 neue Baugebiete ausgewiesen, 11 davon Wohngebiete. Rund 550 neue PV-Anlagen wurden bis heute errichtet und damit rund 1.800 Tonnen CO2 gespart. Die Solarpflicht wurde dabei – genau wie viele andere verbindliche bauliche Vorgaben – einfach von den Investoren akzeptiert und umgesetzt.
Nach einigen Diskussionen hat sich auch die Stadt Tübingen (ebenfalls in Baden-Württemberg) im Jahr 2018 im Gemeinderat darauf verständigt, eine Solarpflicht einzuführen. Schon 2008 hat der Bürgermeister Boris Palmer dort das städtische Klimaschutzprogramm „Tübingen macht blau“ ins Leben gerufen. Das große Ziel: Die Universitätsstadt mit rund 100.000 Einwohnern soll bis 2030 klimaneutral sein.
Die Solarpflicht wurde dort zuvor in einem Neubaugebiet getestet und von allen Investoren akzeptiert, danach wurde es zur kommunalen Pflicht ausgerufen. Umgesetzt wird es dort entweder ebenfalls über Regelungen im Verkaufsvertrag von Grundstücken und über Vorgaben von Bebauungsplänen. Hierzu sei noch erwähnt, dass die dortige Regelung nicht „mit dem Kopf durch die Wand“ geht, sondern sinnvolle Ausnahmen bereithält: Ein Dach, das komplett im Schatten liegt, muss nicht belegt werden. Die Erfüllung kann auch ohne PV durch einen >15%-Anteil an Wärme und Kälte durch eine Solarthermieanlage bereitgestellt werden.
Hier wurde dazu auch das Argument abgefangen, dass dabei ja dann Zusatzkosten durch die Investition in die PV-Anlage anfallen: Die Stadtwerke Tübingen bieten nämlich ein PV-Pachtmodell an, mit dem die Solarpflicht erfüllt und dabei der Geldbeutel geschont werden kann, weitere Infos gibt es hier.
Solarpflicht der Länder
Nun kommt die Solarpflicht auch in Hamburg, Berlin und Baden-Württemberg:
In Hamburg ab 2023
Im Dezember 2019 hat der Hamburger Senat einen Klimaschutzplan und ein neues Klimaschutzgesetz beschlossen, die Bürgerschaft hat das bereits bestätigt. Die Hansestadt schreibt damit ab dem Jahr 2023 Photovoltaik für alle Neubauten und 2025 auch für Sanierungen der Dachhaut vor. Auch in Hamburg gilt eine vorhandene Solarthermie als Ersatzmaßnahme. Im Februar hat die Hamburger Solaroffensive gemeinsam mit einem Immobilienverband darauf aufmerksam gemacht, dass die Solarpflicht ein zahnloser Tiger werden kann: Wird der 52GW-Deckel nicht abgeschafft und auch das Problem der Gewerbesteuerpflicht bei Stromverkauf für Immobilienunternehmen nicht gelöst, so wäre eine breite Umsetzung nicht realistisch. Auch ist die genaue Ausgestaltung der Regelungen noch offen: Hier soll der Senat bis Ende 2020 eine Rechtsverordnung erlassen und damit z.B. festlegen, wann ein Aufbau „wirtschaftlich vertretbar“ ist. Noch einen Schritt weiter ist der Hamburger Bezirk Eimsbüttel: Dort soll schon jetzt bei der Aufstellung neuer Bebauungspläne der Aufbau von Modulen oder Kollektoren verpflichtend sein.
In Baden-Württemberg ab 2022
Im Ländle soll noch vor der Sommerpause eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes verabschiedet werden. Dort ist eine 42% -Treibhausgas-Reduktion bis 2030 (gegenüber 1990) als Ziel festgeschrieben, auch werden große Kommunen verpflichtet, zukünftig eine Wärmeplanung vorzulegen. In diesem Rahmen haben sich die regierenden Parteien Grüne und CDU auch auf eine Solarpflicht ab dem Jahr 2022 als Kompromiss geeinigt, die im ersten Schritt allerdings nur für Nicht-Wohngebäude gelten soll. Wohngebäude sollen später folgen. Von verschiedenen Seiten wird kritisiert, dass dort eigentlich eine PV-Pflicht und keine Solarpflicht verankert wird, denn die Solarthermie ist nicht gleichgestellt, sondern kann nur als Ersatzmaßnahme eingesetzt werden. Andererseits dreht es sich im ersten Schritt vor allem um Lagerhallen und Parkhäuser, bei denen der Einsatz der Solarthermie sowieso nur begrenzt möglich wäre, siehe dazu ein Pro & Contra im Medienspiegel.
In Berlin ab 2022
Die Grünen und die Linken treiben das Thema Solarpflicht auch in Berlin politisch voran. „Solarpflicht für Neubauten ist der richtige Weg, damit wir nicht über jedes Gebäude neu diskutieren müssen“, so die Berliner Senatorin für Wirtschaft und Energie, Ramona Pop von den Grünen, schon im August vergangenen Jahres. Die Möglichkeiten hat der Senat analysiert: Dachflächen mit zusammen 2.400 Hektar sind verfügbar, davon sind bislang nur 2,4 % belegt. Auch der „Masterplan Solar City“ empfiehlt die Einführung der Solarpflicht, listet aber eine Reihe von Fragen auf, die zuvor geklärt werden müssen. Dabei geht es um Begründungen und die juristische Rechtssicherheit, um die Frage des Aufwands und nicht zuletzt um eine möglichst einfache und günstige Überwachung der Einhaltung einer solchen Regelung.
Spannend wird nun, ob weitere Kommunen und Bundesländer beim Thema Solarpflicht nachziehen. In Bremen und Niedersachsen gibt es ebenfalls Bestrebungen dazu. Es ist definitiv ein wichtiger Baustein, um eine konsequente Belegung von Dachflächen im Sinne des Klimaschutzes zu erreichen. Und die Erfahrung zeigt, dass eine Solarpflicht konfliktfrei und erfolgreich umgesetzt werden kann.
Jörg Sutter
Anmerkung der Redaktion: Dass unter dem Begriff Solarpflicht vor allem eine Solarstrompflicht verstanden wird, ist ein wenig irreführend, siehe dazu auch die erste Meldung im Medienspiegel in diesen News.