12.02.2021
Fachkonferenz zur Atom-Endlagersuche: Selbstorganisation als Problem
Eine Reportage von Heinz Wraneschitz
Das StandAG, das Standort-Auswahlgesetz schreibt sie vor, die „Fachkonferenz Teilgebiete“: Vier Gruppen - Bürger, Kommunen, Vertreter gesellschaftlichen Organisationen sowie die Wissenschaft - sollen ein gewichtiges Wort mitsprechen können auf dem Weg zum Standort für das deutsche Atommüll-Endlager. Beim zweiten vierer Termine am vergangenen Wochenende war ich dabei - als „Beobachter“.
437 Bürger vertreten 83 Millionen...
Ja, die Bürger*innen: 437 von ihnen sind angemeldet. Sie repräsentieren also die gut 83 Millionen Menschen hierzulande. Wenn ich an die seit Jahrzehnten tobenden Diskussionen um den hiesigen Atommüll denke, hätte ich eher Tausende erwartet. Aber Hand aufs Herz: Wann genau habe ich selbst von der Möglichkeit erfahren, bei dieser Konferenz persönlich dabei zu sein? Wenige Tage zuvor. Und nicht einmal bei der Anmeldung hatte ich mich getraut, „Bürger“ zu sein: Ich bin als Beobachter registriert.
Dabei ist es bereits die zweite in der Fachkonferenz-Reihe; die „Auftaktveranstaltung“ lief schon im Oktober 2020. Mit gerade mal 136 angemeldeten Bürger*innen. Damals hatten sich 91 Kommunalvertreter*innen registriert; deren Zahl hat sich zur Zweit-Konferenz auf 533 fast versechsfacht. Und die Dominanz der Beamten und Bürgermeister wird sich beim kommenden Termin wohl noch einmal verstärken. Denn die dritte Runde soll nun von Donnerstag bis Samstag stattfinden: Nur Hardcore-Bürger*innen und Aktivist*innen oder Menschen ohne die Notwendigkeit, Geld zu verdienen dürften dafür zu gewinnen sein. Arbeitnehmer müssten zwei Urlaubstage dafür zu opfern.
Dass es dann für die Normal-Bevölkerung noch schwerer wird, am Atomlagerfinden mitzuwirken, hat aber nicht die Bundesregierung bestimmt oder BASE festgelegt, das Bundesamt für die Endlagersuche: Nein, im StandAG, dem Standort-Auswahl-Gesetz des Deutschen Bundestags wird die Selbstorganisation der Fachkonferenz ganz groß geschrieben. Deshalb stellt BASE den Teilnehmenden zwar den Rahmen zur Verfügung – diesmal ist es die Online-Plattform. Doch wann und wo die Konferenz tagt, welche Themen sie behandelt, was sie beschließt: Alles ist selbst organisiert.
Deshalb war bei der Auftaktveranstaltung im vergangenen Herbst eine 12-köpfige Arbeitsgruppe Vorbereitung (AG-V) gewählt worden, die die Veranstaltung an diesem Wochenende zu planen hatte. Eigentlich war vorgesehen, live in Kassel zu tagen. Doch Corona macht die Partizipation der vier Gruppen nur via Computer möglich. Online: Ein Unterfangen, das einige Aktive frustriert kommentieren: „Das ist keine echte Beteiligung, wie sie das Gesetz vorschreibt.“ Ganz im Gegensatz zu Christoph Hamann von BASE, der mit dem digitalen Format „die Ansprüche eine moderne Beteiligung durchaus erfüllt“ sieht.
Auf jeden Fall hat sich die AG-V sehr viel Mühe mit der Vorbereitung gemacht. Asta von Oppen, Grünen-Ratsmitglied aus Gartow im Kreis Lüchow-Danneberg, die als Kommunalvertreterin in der AG-V saß, fasst die Belastung so zusammen: „Für mich ist das ein Musterbeispiel an ehrenamtlicher Selbstausbeutung. So kann es nicht weitergehen.“ Weshalb sie und weitere sechs AG-Mitglieder denn auch am Ende des dritten Tages nicht zur Wiederwahl antreten. Ein Problem: Die AG-V-Arbeit wird bislang nicht vergütet; Ehrenamtliche erhalten noch nicht einmal Verdienstausfall. Dabei haben die Damen und Herren mehrdutzend vielstündige AG-Sitzungen absolviert, der langwierige Vorbereitungsaufwand kommt noch dazu.
Ob wenigstens die neugewählten AG-V-ler einen finanziellen Ausgleich für ihr Ehrenamt erhalten, ist noch offen. Zwar beschließt die Konferenz mit Vier-Fünftel-Mehrheit die Erstattung von Verdienstausfall. Doch trotz aller vorherigen Schwüre im „breiten politischen Konsens“ (BMU) auf die Selbstorganisation der Fachkonferenz: „Das BASE und die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) werden die nun zustande gekommenen Beschlüsse jetzt ernsthaft prüfen“, heißt es von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Sprich: Tatsächlich werden die Bundesbehörden bestimmen, ob und wie viel Geld an die AG-V-Mitglieder fließen wird. Ein eigenes Budget, beispielsweise um Beratung in Anspruch zu nehmen, fehlt bislang ebenso.
Der Inhalt: Viele Arbeitsgruppen - wenig Austausch
Und inhaltlich? Ja, eigentlich hätte da jede Menge passieren können. Wenn es nicht „die technischen Barrieren dieses Online-Formats“ gäbe, die Martin Donat ärgern. Er berichtet dem gesamten Plenum von den Beratungen in der Arbeitsgruppe (AG) D1 „Atommüll-Endlager – Konzepte“. Über eine Million Jahre soll bekanntlich der Müll aus 60 Jahren deutscher Atomenergienutzung sicher verstaut werden – aber in den ersten 500 Jahren soll die Rückholung möglich sein. „Die riesigen Mengen Rohstoff werden das Interesse künftiger Generationen wecken“, sieht er als Gefahr. Und er erkennt genauso wie im „straffen Zeitplan bis zur Festlegung auf einen Standort 2031 einen nicht auflösbaren Widerspruch“.
638 Teilnehmer hören und sehen am Sonntagvormittag zu, als Donat und weitere 23 Berichterstattende die Ergebnisse der zwei Dutzend Beratungs-AGs präsentieren. Jeweils fünf Minuten Zeit steht zur Verfügung – die AGs selber waren auf am Samstag auf je zwei Stunden terminiert. Prof. Armin Gronwald als Beobachter aus dem Nationalen Begleitgremium hatte deshalb gleich zu Beginn zugeben müssen: „Für die Selbstorganisation ist die Zeit sehr knapp.“ Dabei hätte Asta von Oppen lieber genau das: „Sorgfalt statt Eile.“ „Wir brauchen mehr Zeit“, fordert auch Olaf Bandt vom Umweltverband BUND.
Auf der anderen Seite müssen Menschen wie Ingrid Lohstöter schon mal zwei Monate auf Antworten vom BASE warten, wie sie unwidersprochen erklärt. Ihr Antrag auf ein Moratorium der Konferenz, bis in den Zwischenbericht die Geodaten der Länder eingeflossen sind, wird dennoch abgelehnt – wenn auch mit 135:169 Stimmen recht knapp.
Nicht so weit gehende Forderungen, den Zeitdruck zu nehmen, werden jedoch angenommen: Auch nach dem vierten Termin soll weiter beraten werden können. Es soll „öffentliche Online-Konferenzräume“ geben. Und der bereits für April terminierte dritte Termin soll erst im Juni stattfinden: Mehr Zeit für BASE zur Vorlage eines „echten Zwischenberichts“, wie es heißt.
Gegen Ende der Konferenz dankt der Grüne Rudi Amannsberger „allen Menschen in der Vorbereitungsgruppe für ihr großes Engagement und den Willen, die Beteiligung bestmöglich zu gestalten“. Das müssen nun sieben „Neue“ und fünf „Alte“ schaffen. Gewählt werden sie am Sonntagnachmittag von gerade weniger als 350 Abstimmenden. 1300 aus den vier Gruppen hatten sich angemeldet.