07.06.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 9: Fußabdruck verschlanken
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anzulegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu laufenden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
Fußabdruck verschlanken
Den eigenen Fußabdruck zu vermindern, hat auch immer was mit dem Thema Suffizienz, Genügsamkeit zu tun. Doch das macht für viele Menschen die Reduzierung ihrer Ansprüche schwierig, und zwar aus zwei Gründen: Da ist zum einen die demonstrative, gutmenschliche Bescheidenheit, die versucht, die besondere Güte und Moralität der eigenen Person dadurch zu unterstreichen, dass man ja so bescheiden sei und so wenig benötige. „Ich bin klein, mein Herz ist rein“, könnten diese Personen formulieren. „Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt“, käme dann von der Gegenseite, denn die Absicht, sich selbst in ein gutes Licht zu stellen, ist bei vielen Zeitgenossen deutlich, worauf andere mit einer Abwehrhaltung reagieren.
Dabei geht es bei Suffizienz nicht um moralisches „Gutmenschenturnen“, sondern um Wissen, Rationalität, und Abwägung. Ethische Entscheidungen? Ja sicher, aber Moral ist hier eher hinderlich und bisweilen kontraproduktiv.
Der zweite Hindernisgrund besteht darin, dass der Mensch ein Mehr-Wesen ist. Schon die „Menschwerdung“ im Sinne des Erwachsenwerdens ist mit Wachstum verbunden. Zuwachs an Wissen und Erfahrung ist gesellschaftlich positiv konnotiert. Und Wirtschaftswachstum gehört in einem breiten Parteienspektrum zur vorherrschenden Ideologie. Insofern dürfte es weder im privaten noch im öffentlichen Raum auf breite Resonanz stoßen, wenn man im Stil mittelalterlicher Armutsbewegungen zum Verzicht aufruft.
Daher ist gerade in diesem Bereich die Wirkung der Wortwahl und der Betonung nicht zu unterschätzen: Wer z.B. die Höchstgeschwindigkeit bei Fahrzeugen herabsetzen, vermindern, beschränken will, hat es in der Argumentation schwerer als jemand, der die Reichweite bei gleichem Ladestand bzw. gleicher Tankfüllung erhöhen möchte, oder die Kunst des energiesparenden Fahrens verfeinern will. „Verschlanken“ klingt besser als „verringern“, „anpassen“ besser als „auf etwas verzichten“.
a) Gewichte anpassen: Manche Segmente sind in der Vergangenheit immer schwerer geworden, was zu Problemen führt. Ein Beispiel sind moderne Autos, deren Durchschnittsgewicht von 1.475 Kilo im Jahr 2013 auf 1.696 Kilo im Jahr 2023 stieg. Das liegt weniger am E-Auto, sondern vor allem an der BesSUVenheit der Autokäufer, aber auch an dem Wunsch nach einem Fahrzeug, das alle denkbaren Herausforderungen abdeckt: vom Pendeln zur Arbeit über die Repräsentation gegenüber Kollegen und Nachbarn, den Transporter für neue Waschmaschinen etc. und die Familienkutsche für die Urlaubsfahrt. Die Ansammlung von verschiedensten Anforderungen macht nicht nur Autos schwer, wie das Beispiel des Anfang der 1960er Jahre von der Bundesrepublik gekauften US-Jagdflugzeugs F 104 Starfighter zeigt, welcher in Deutschland so viele Zusatzaufgaben bekam, bis er reihenweise vom Himmel fiel. Heute führt in der Luftfahrt das Mitnehmen von einem zweiten oder dritten Gepäckstück als Bordgepäck in Passagierflugzeugen zu unnötigem Gewicht.
Zurück zum Auto: Die hohen Gewichte befeuern sich selbst, da ein schwerer Wagen auch stabiler gebaut werden muss, stärkere Radaufhängungen und Bremsen benötigt. Und natürlich im Fahrbetrieb mehr Energie verbraucht, sowie durch die breiteren Reifen mehr Feinstaub freisetzt. Dazu kommen noch die Folgen für die Infrastruktur z.B. bei kleinen Flussfähren oder der Leitplankendicke an Fahrstraßen.
Doch die Gewichtszunahme findet selbst bei banalen Produkten des Alltags statt: Getränkeflaschen für Alkoholika sind nicht nur deshalb so schwer, weil z.B. der Sekt wegen des Innendrucks der Kohlensäure eine stabile Flasche benötigt. Hochpreisige Alkoholika werden gern in besonders schweren Flaschen verkauft, um – ohne Rücksicht auf Klima und Energie – dem Käufer gleich beim ersten Zugriff zu suggerieren, er halte etwas ganz Wertvolles in der Hand. Vielleicht brauchen wir hier eine Flaschennorm.
b) Größen anpassen: Größe ist gesellschaftlich ebenfalls positiv konnotiert, da sie z.B. den Rahmen der körperlicher Einsatzfähigkeit einer Person meist ausweitet. Dieses Muster übertragen wir leider immer mehr auch auf andere Bereiche, wo es gar nicht mehr sinnvoll ist, sondern bei Produktion und Gebrauch einen unnötig großen Energie- und Klima-Fußabdruck hinterlässt. Zu denken ist hier u.a. an die wachsenden Wohnflächen pro Person, an die einen größeren Inhalt vortäuschenden Verpackungen und überdimensionierten Fahrzeuge wie Autos oder Sportboote, die zu groß für Parkplätze sind bzw. kleinere Sportboothäfen nicht mehr anlaufen können. Die Gegenbewegung zum unkontrollierten Größenwachstum gibt es bereits: Tiny-Häuser, Unverpackt-Läden, Leichtfahrzeuge. Künftig gilt es, Lösungen auch für diejenigen zu finden, die nicht minimalistisch leben können, aber auch „das menschliche Maß“ nicht überschreiten wollen. Doch der „Wahnsinn Wachstum“ beschränkt sich nicht auf den individuellen Bereich: Im internationalen Seecontainer-Verkehr hat die Schiffsgröße in den vergangenen Jahrzehnten so zugenommen, dass zunehmend öfter höchst energieaufwändig Brücken erhöht und Fahrrinnen ausgebaggert werden müssen – leider bestimmt immer noch die private Schifffahrt die öffentlichen Baukosten.
c) Anzahlen anpassen: Im Jahr 2022 hatte nach Ermittlungen von Greenpeace jeder erwachsene Deutsche durchschnittlich 87 Kleidungsstücke im Schrank – Frauen mehr, Männer weniger. Das sind zwar weniger als die durchschnittlich 95 Teile in 2015, aber deutlich mehr als die 33 Teile, die Modeexperten als notwendige Ausstattung erachten. Selbst wer ganz unbescheiden auf die doppelte Anzahl des Modeexperten-Vorschlags setzte, wäre von der heutigen Verschwendung ein gutes Stück entfernt. Das Zusatzproblem: Die meisten Kleidungsteile werden billig gekauft, nie getragen, und dann anschließend über den Altkleidercontainer entsorgt, um teilweise in der Verbrennung oder auf einer Müllhalde zu landen.
Neben den zeitgleichen großen Anzahlen gibt es auch die hohen Zahlen des schnellen Wechsels, z.B. bei der Einrichtung bzw. den Möbelstücken: stattete man sich früher beim Tischler oder zumindest Fachhändler möglichst lebenslänglich mit Qualität aus, so sind inzwischen auch Möbelstücke zu billigen, kurzlebigen Wegwerfprodukten verkommen. Man orientiert sich nicht mehr am realen Bedarf, sondern an den durch Werbung, Sonderangebote und Mengenrabatte geweckten Bedürfnissen. In dieser Haltung unterscheiden sich Arme und Reiche nicht: was dem einen seine xte billig abgekupferte Designer-Lampe ist, ist dem anderen seine xte Luxusyacht.
Dagegen hilft nur das vernünftige Maßhalten, das Tauschen, das Kaufen gebrauchter Gegenstände, und das Wissen um den Wert statt des Starrens auf den Preis.
Höhen und Tiefen anpassen: Die Anpassung von Höhen ist vorwiegend in zwei Bereichen relevant: in der Luftfahrt und im Bauwesen. In der Luftfahrt erzeugen Verbrenner-Antriebe in der kalten Luft ab ca. 8.000 m Höhe durch ausgestoßenen Wasserdampf und Rußpartikel Kondensstreifen. Diese wurden erstmals bei den hoch fliegenden Bombern des 2. Weltkriegs (Dienstgipfelhöhen 8.500 – 11.900 Meter) sichtbar, während sie bei den niedriger fliegenden Vorkriegs-Luftschiffen nicht auftraten. Heute wird in der Zivilluftfahrt der Mittel- und Langstreckenverkehr auf „Bomberflughöhe“ abgewickelt, und trägt mit seinen Kondensstreifen erheblich zur Klimawirkung des Luftverkehrs bei. Der Grund für die Flughöhe ist der dort geringere Luftwiderstand bei hohen Geschwindigkeiten. Die Elektromobilität mit den langsameren Propellerflugzeugen wird diese Flughöhen unnötig machen.
Im Bauwesen sind hohe Gebäude wegen der massiven Fundamente, der speziellen Fahrstühle, der druckfesten Wasserleitungen und der CO2-intensiven Baustoffe wie Beton und Stahl das Problem. Gleiches gilt für tiefe Gebäude wie U-Bahn(-Station)en, Tiefgaragen über mehrere Ebenen etc. So beträgt die Amortisationsdauer des beim Bau emittierten CO2 der Hamburger U-Bahn-Linie U5 mehrere Jahrzehnte. Das heißt: wirklich CO2 einsparen kann diese U-Bahn erst mitten im Klimachaos gegen Ende des 21. Jahrhunderts – vorher ist sie eine Belastung.
Fazit: Häufig, aber längst nicht immer sind es individuelle Anpassungsentscheidungen, die für eine erfolgreiche Energiewende zum Klimaschutz notwendig sind. Den größten Hebel haben jedoch gesellschaftliche Entscheidungen wie z.b. Änderungen in der Gesetzgebung und im Normenbereich. Änderungen beispielsweise bei der Verpackungsverordnung, beim Rabattgesetz oder bei der Kraftfahrzeug-Zulassung könnten Entwicklungen erheblich beschleunigen. Wie sehr, das hat man beim Einwegplastik-Verbot gesehen, das seine Wirkung schon längst entfaltet hatte, bevor das Gesetz im Juli 2021 in Kraft trat.
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken