26.04.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anzulegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu laufenden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
Geschwindigkeiten anpassen
Wie fänden Sie es als Reisende, wenn Ihr Nachtzug statt um 8:30 Uhr schon um 3:30 Uhr in Wien einträfe und der Schaffner über Lautsprecher sagte: „Wir haben heute richtig Gas gegeben und sind daher schon am Zielbahnhof angekommen. Bitte steigen sie alle aus; der Zug wird noch von der Nachtschicht gereinigt!“ Ihre Begeisterung ob des schnellen Reisens würde sich vermutlich zu Recht in engen Grenzen halten.
Dabei lieben viele Menschen die Geschwindigkeit, wie olympische Laufwettbewerbe, Radrennen, Ruder- und Segelregatten sowie Autorennen zeigen. Aber selbst bei den wegen des hohen Benzinverbrauchs und der mangelnden, neuen fahrzeugtechnischen Erkenntnisse in Verruf geratenen Formel-1-Rennen wissen die Fahrer, dass es nicht sinnvoll ist, mit Höchstgeschwindigkeit in die Kurve zu gehen, weil man dann nicht als Erster wieder heraus kommt, sondern mit verbogenen Spoilern und gebrochenen Radaufhängungen im Sandbett landet.
Es geht also um angepasste Geschwindigkeiten. Doch die sind häufig schwer zu ermitteln, weil es ja auf der anderen Seite die Entschleunigungs-Ideologen gibt: den braven Bürger, dem das Verschwinden der guten alten Gasheizungen und die Verbreitung der neumodischen Wärmepumpen viel zu schnell geht; die frühpensionierte, ruhebedürftige Bürgerin, für die Autos über 90 km/h sowie zügig fahrende Liegeräder pure Raserei sind.
Weshalb nun sind die hohen und höchsten Geschwindigkeiten im Hinblick auf Energiesparsamkeit und Klimaschutz ein Problem?
Erstens: Hohe Geschwindigkeiten erhöhen den Energieverbrauch und damit – zumindest bei Fossil-Fahrzeugen – den CO2-Ausstoß erheblich. Auch wenn die Einschätzung, was eine hohe Geschwindigkeit ist, vom Verkehrsmittel abhängt, so müssen sich alle Fahrzeuge mit demselben physikalischen Widerstand herumschlagen: dem Luftwiderstand. Bei Luftfahrzeugen bleibt es im wesentlichen dabei; bei Landfahrzeugen kommen die nicht so sehr ins Gewicht fallenden Rollwiderstände dazu, und in der Schifffahrt der noch größere Wasserwiderstand.
Verdoppelt man aber die Geschwindigkeit, so vervierfacht sich der Luftwiderstand, da dieser im Quadrat der Geschwindigkeitszunahme wächst. Bei einer Senkung der Geschwindigkeit funktioniert das natürlich entsprechend.
Zweitens: Hohe Geschwindigkeiten erhöhen den Materialverbrauch des Fahrzeugs, da mit der Geschwindigkeit auch die Belastung der Struktur einher geht. Bei Landfahrzeugen betrifft das vor allem das Fahrwerk. Autos z.B. müssen bei den hohen Autobahngeschwindigkeiten auch noch Bodenwellen verkraften, ohne unkontrollierbar ins Schlingern zu geraten. Bei Fährschiffen geht es z.B. um die Stabilität der Bugklappen.
Drittens: Hohe Geschwindigkeiten erhöhen bisweilen den Materialverbrauch der benötigten Infrastruktur, so bei der Breite von Autobahnspuren in verschiedenen Ländern oder bei der Länge von Start- und Landebahnen – ein schlankes Überschall-Passagierflugzeug wie die Concorde mit ihren eng anliegenden Flügeln brauchte eine längere Startbahn als ein Airbus mit seinen weit ausladenden Schwingen.
Überschall braucht es nicht überall, wenn überhaupt
Bleiben wir gleich bei der Concorde: 1976 in Dienst gestellt, reduzierte sie die Flugzeit zwischen London oder Paris nach New York mit knapp über drei Stunden auf weniger als die Hälfte der üblichen Düsen-Passagierflugzeuge. Dazu flog sie mit doppelter Schallgeschwindigkeit in 18.000 Meter Gipfelhöhe – ein extrem viel Energie verbrauchendes und klimaschädliches Flugzeug. Neben den unvermeidlichen Stars etc. wurde sie vor allem von Geschäftsleuten genutzt, die morgens zu einem Meeting über den Atlantik flogen, und abends wieder zu Haus sein konnten. Heute wäre das Flugzeug zu langsam.
Denn heute kann man per Videokonferenz in Sekundenschnelle an Konferenzen rund um den Erdball teilnehmen. Und wenn man sich wirklich mal persönlich zu einem Meeting oder einer Konferenz trifft, bringt man meist mehr Zeit mit. Ein dringender Bedarf für solche Concorde-Geschwindigkeiten ist – abgesehen vom Militär – nicht mehr gegeben. Selbst unsere heutigen Verkehrsflugzeuge sind mit Geschwindigkeiten von 900+ km/h schon deutlich zu schnell. Mit der Rückkehr des Propellerantriebs durch die Emobilität werden sich solche Geschwindigkeiten eher halbieren. Deshalb wird sich allerdings die Flugzeit nicht unbedingt verdoppeln, denn wegen der geringeren Geschwindigkeit haben Propellermaschinen einen geringeren Luftwiderstand sowie weniger Energieverbrauch, und müssen so – anders als Düsenjets – für den Flug nicht klimaschädlich (Kondensstreifen) in größere Höhen ausweichen, wo die Luft dünner ist.
Doch, wie gesagt, geht es bei angepassten Geschwindigkeiten nicht um Entschleunigung. Denn in der Praxis ist bisweilen das langsamere Verkehrsmittel das schnellere. Kommunen mit großen, innerstädtischen Gewässern (Flüsse, Seen) setzen oft auf Fähren; diese sind zwar langsamer als Busse – und sollen das wegen des Wasserwiderstands auch bleiben –, können aber auf bestimmten Routen eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung herstellen, die schneller ist als der Umweg über Straßen.
Gleiches gilt natürlich auch für Meere: auf der Strecke Stockholm – Helsinki ist, abgesehen vom Flugverkehr und mit deutlichem Vorsprung vor Auto und Bahn, die Fähre das schnellste Verkehrsmittel.
Analoges gilt natürlich auch für andere Verkehrsmittel in anderen Zusammenhängen: in Berlin setzt der ADAC „Gelbe Engel“ auf E-Bikes mit Anhängern ein, um schnell und unbehindert von Staus zu den Pannenautos zu gelangen. Und ebenfalls in der Hauptstadt liefert der Logistiker DHL Pakete mit dem Solarschiff statt mit dem LKW aus. Dieses Prinzip der langsam-schnellen Transporte ließe sich auch in anderen Formen wiederholen, etwa wenn die nachts weniger frequentierten S- und U-Bahnen mittels gesonderter Waggons automatisiert Pakete an Paketstationen in Bahnhöfen liefern würden – eine besondere Form des Nachtzugs.
Noch eine weitere, spezielle Form der notwendigen Geschwindigkeitsanpassung sei hier angesprochen: die Drosselung der Geschwindigkeit der Wegwerf-Gesellschaft, insbesondere der Modeindustrie mit ihrer „Fast-Fashion“, die jedes Quartal eine neue Kollektion ausspuckt. Hier bedarf es einer deutlichen „Geschwindigkeitsbegrenzung“ durch den Gesetzgeber!
Fazit
Geschwindigkeiten müssen rational verantwortbar sein, insbesondere mit Blick auf den Energieverbrauch und die Klimakrise. Weder hilft es, aus Höchstgeschwindigkeiten einen Fetisch zu machen, noch jedes schnelle Vorankommen gleich als Raserei zu diffamieren. Denn Schnelligkeit kann bisweilen auch mit weniger Energieverbrauch und mehr Klimaschutz einher gehen, und dazu führen, dass man von einem schmutzigeren auf ein saubereres Verkehrsmittel umsteigt.
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken