07.02.2020
Von der Energiewende zur Ressourcenwende, Teil 4: Alte und neue Materialien
Im ersten Teil dieser Serie (Grundlagen) haben wir ja bereits einen Blick auf die verschiedenen, mit dem fossilen Zeitalter besonders eng verwobenen Industrien geworfen: Die Branchen Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisen-Metalle, Papier und Stahl, kurz, die energieintensiven Industrien stehen vor besonderen, je nach Branche speziellen Umwälzungen, und zwar längst nicht nur in Hinsicht auf ihre Energieversorgung. Was in der einen Branche Einsparungen und/oder differenzierteres Recycling bei den Grundstoffen bedeuten kann, betrifft in einer anderen Branche das teilweise oder gänzliche Wegbrechen der bisherigen Rohstoffbasis.
Zu den vom Wegbrechen der bisherigen Rohstoffbasis Betroffenen zählt die Bauindustrie. Während sie gerade damit begonnen hat, klimaneutralen/„CO2-neutralen“ Beton auf den Markt zu bringen, was auch nur so lange funktionieren wird, bis alle erreichbaren Moore wieder vernässt sind, droht bereits weiteres Ungemach: wegen des weltweiten Bauwahns gibt es international eine Sandknappheit, wobei man hier auch noch in Rohstoff-Konkurrenz zur Elektronik- und Glasindustrie steht. Denn wegen der sinkenden Kohleverstromung entfällt zunehmend der Leichtbaustoff Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen, die immerhin 55% der benötigten Gipsmengen erbrachten, was sich durch verstärktes Gipsrecycling und die – aus ökologischen Gründen zu begrenzende – Neuerschließung von Naturgipsvorkommen nur schwer ausgleichen lässt. Weitere Problemfelder sind die Mineralwolle als Dämmmaterial, die wegen der hohen Herstellungstemperaturen von 1.200 bis 1.600°C ebenso wenig zukunftsfähig ist wie Dachziegel aus gebranntem Ton oder Dachsteine aus Beton, sowie die ganzen Baustähle mit ihren CO2-Lasten.
Und zum Schluss: mit Klima- oder CO2-Neutralität, d.h. mit Ausgleichsmaßnahmen, werden wir bei den riesigen CO2-Mengen unserer Industrien nicht weit kommen. Spätestens 2050, aber wahrscheinlich schon 2040 müssen alle industriellen Prozesse CO2-frei (!) sein.
Was im ersten Moment als schier unlösbare, völlig entmutige Aufgabe erscheint, entpuppt sich bei genauerer Hinsicht als einstmals vielleicht nie gelöste, aber doch prinzipiell zu lösende Riesenaufgabe. Ein banales, kleines Beispiel kann hier Mut machen. Diese Entwicklung ist sicherlich nicht repräsentativ für die Lösung der bei den Industrien anstehenden Herausforderungen, aber sie zeigt, wie ein einfaches Verbot klima- und umweltfeindlicher Stoffe eine Welle von Kreativität auslöst, die alte Materialien reaktiviert und neue erfinden lässt. Die Rede ist hier von Trinkhalmen, nach ihrem ursprünglichen Material meist Strohhalme genannt. Kaum hatte die EU 2019 mit den Wegwerfprodukten aus Plastik auch die Plastik-Trinkhalme ab 2021 verboten, tauchten eine Vielzahl von Alternativen auf: neben echten Strohhalmen und solchen aus CO2-lastigem Glas, Mehrwegplastik oder Stahl finden sich nun Trinkhalme aus Reet, Bambus, Papier und sogar essbare aus Apfel-Trester. Wie gesagt, das Verbot gilt erst ab 2021!
Und wie so häufig stehen bei den Alternativlösungen alte und neue Materialien nebeneinander.
Für die Bauindustrie sehen die Material-Alternativen etwa so aus: Natursteine, Lehm, Holz und Schindeln als alte, aber nachhaltige Materialien, sowie neue Materialien, als da sind: Strohballen, Pilz-Myzel, Bambus (auch für Baugerüst), oder Schweinegülle, die sich zu Asphalt raffinieren lässt und so Erdölderivate ersetzen kann. Diese Aufzählung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Gerade pflanzliche und tierische Materialien bieten, eine CO2-arme Erzeugung vorausgesetzt, bei Umformung in dauerhafte Produkte die Chance, auch als CO2-Senke zu fungieren. Ein solches Material ist z.B. Holz. Ehemals der Universalwerkstoff der vorindustriellen Zeit („Das hölzerne Zeitalter“),der in Schwierigkeiten kam, weil er zugleich Universalbrennstoff war, erfährt Holz heute z.T. eine Renaissance: Im Bauwesen, wo sich aus ihm Häuser errichten lassen, die man ggf. wieder leicht demontieren und dislozieren oder recyceln kann. Als Möbelstück kann Holz die (Un-)Kultur der nicht nachhaltigen Designer-Möbel aus Plastik und Stahl in unseren Häusern beenden und z.B. ein Wohnzimmer zur CO2-Senke machen. Selbst im Verkehrswesen zeigt Holz sein Potential: Der britische Autohersteller Morgan baute bis zu diesem Jahr seine Autos auf einem Leiterrahmen aus Eschenholz. Und die Horten H IX, ein fast 1.000 km/h schneller Nurflügel-Stealthjäger zum Ende des Dritten Reiches, hatte Flügel ausschließlich aus Sperrholz und als Rumpf ein Stahlrohrgerüst mit Sperrholzbeplankung. Einige Holzarten lassen sich unter Wasserdampf biegen – ein sehr materialsparender Prozess. Und unter dem Stichwort Baubotanik finden sich Brücken-Konstruktionen aus lebenden Pflanzen. Sogar ein Faden, fester als Stahl und Spinnenseide, lässt sich aus Holz herstellen, wie Forscher am Hamburger DESY herausgefunden haben. Hier wird das alte Material Holz zu einem neuen Material.
Ein anderes interessantes Material ist Papier, das durch die Reduzierung des Verpackungsmülls in größerem Umfang für andere Aufgaben bereitstehen könnte. Flaschen aus Papier könnten z.B. entsprechende Produkte aus Plastik oder Aluminium ersetzen, Chipkarten aus Papier die plastoide Konkurrenz, Pappschachteln für Ofengerichte die entsprechenden Alu-Schachteln, ja sogar kleine Papierorgeln sind möglich. Diese wenigen Beispiele mögen an dieser Stelle genügen; sie sind natürlich nur ein winziger Ausschnitt der heute schon verfügbaren Material-Potentiale.
Fazit
Wie die Energiewende ist auch die Ressourcenwende notwendig, wenn wir das Klima auf diesem Planeten in einem erträglichen Rahmen halten wollen. Und wie Energiewende ist die Ressourcenwende ein lang dauernder Prozess voller Konfliktpotential und kein Selbstläufer – wir werden nicht eines Morgens aufwachen, und alle Probleme sind gelöst. Deshalb ist es wichtig, das Thema systematisch anzugehen, die vorhandenen nachhaltigen Materialien und Prozesse für jede Branche aufzulisten, Forschungsbedarf zu ermitteln, und mögliche Adaptionen von Materialien und Prozessen aus anderen Branchen zu sondieren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte der Göttinger Staatswissenschaftler Johann Beckmann mit dem Entwurf zu einer Allgemeinen Technologie begonnen. So etwas brauchen wir heute für die nachhaltige Ressourcenwende.
Teile der Serie Von der Energiewende zur Ressourcenwende
Teil 1 Grundlagen
Teil 2 Einsparen+Effizienz
Teil 3 Recyclen+Reparieren
Teil 4 Alte und neue Materialien