05.04.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 2: Ein EE-System installieren
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Das hängt natürlich von Gewässern ab, ihren Untiefen und Strömungen, aber auch vom Vorhandensein geschützter Buchten und sicherer Häfen. Und es hängt vom Unwetter, seiner Schwere, dem Wellengang, der Windstärke, der vielleicht wechselnden Windrichtung und der verbleibenden Zeit bis zum Eintreffen ab. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist hier die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anzulegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu steuernden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
Ein Erneuerbare-Energien-System installieren
Ein Energiesystem ohne vorherrschende Verbrennungsprozesse kann nur ein System mit Erneuerbaren Energien (EE) sein. Und ein solches System hat seine eigenen Facetten.
Zuerst stellt sich die Frage, welche Energien überhaupt zur Verfügung stehen. Da sind zum einen die fluktuierenden Erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und auch die Wellenenergie, sich an Meeresschutzbauten, aber auch an Offshore-Windparks errichten lässt. Zum anderen sind da die permanenten, grundlastfähigen EE wie Geothermie, Gezeitenkraft und Wasserkraft; gerade diese drei Energien werden in Deutschland bisher nur unzureichend genutzt.
Dazu kommen drei weitere Energieformen, die ungünstiger Weise Verbrennungsprozesse nutzen und aus verschiedenen Gründen problematisch sind:
- Die Müllverbrennung ist zwar aus hygienischen und räumlichen (Endlagerplätze) Gründen unvermeidlich. Allerdings müssen die Mengen künftig deutlich reduziert werden, zumal wir noch viel zu viele Einmalprodukte verwenden und zu viele Wertstoffe wie rostige Nägel, klein geschnittene Kreditkarten und vieles mehr im Müll landen.
- Biomasse in Form von Scheitholz, Hackschnitzel oder Pellets zu verbrennen, ist aus verschiedenen Gründen unsinnig: zum einen werden Holz und seine Bestandteile als Bau-, Werk- und Chemie-Stoff künftig verstärkt benötigt. Zum anderen unterliegt auch die Holzverbrennung dem Temperatur-Unsinn (siehe Teil 1), und es entstehen auch Luftschadstoffe sowie Klimaschäden.
- Biogas fällt zwar in manchen Bereichen wie Kläranlagen und Mülldeponien unweigerlich an (Eh-da-Gase), aber die heutige überwiegende Nutzung von Energiepflanzen mit ihren erdölbasierten Anbauformen (Erntemaschinen, Kunstdünger, Pestizide) wird künftig so nicht mehr möglich sein, weshalb hier von einem Rückgang auszugehen ist.
Wie die fossilen Energieerzeuger nicht ohne Speicher wie Öltanks, Gasnetze und Kohlebunker auskommen, so benötigen auch die EE ihre Speicher. Diese können umso kleiner ausfallen, je mehr grundlastfähige EE-Erzeuger es gibt. Allerdings ist der Umfang der benötigten Speicher immer noch gewaltig: Da sind die direkten Wärmespeicher wie die Warnwasser-Erdspeicher der großen Solarthermie-Freiflächenanlagen, die Latentwärmespeicher wie Eisspeicher, oder die thermochemischen bzw. Sorptions-Speicher. Und da gibt es die Stromspeicher in Form von Pump-, Druckluft-, Schwungrad-, und H2-Speichern, sowie große Akku-Farmen, auch mit Redox-Flow-Speichern, wobei Strom natürlich auch zur Wärmeerzeugung verwendet werden kann.
Dazu kommt auf der Verbrauchsseite die gezielte Zu- oder Abschaltung von energieintensiven Prozessen zur Netzstabilisierung (Lastmanagement/Demand Side Management).
Erneuerbare Besonderheiten
Generell hat ein Erneuerbare-Energien-System einige zu beachtende Besonderheiten:
Auch wenn die EE auf der vertikalen Zeitachse unbegrenzt, also nach Menschheits-Maßstäben ewig vorhanden sind, so bleiben sie doch auf der horizontalen Achse der gegenwärtigen Welt immer nur begrenzt verfügbar. Der Grund ist, dass es sich bei den EE um Flächenenergien, d.h. Energien aus der Fläche handelt, und die Oberfläche der Erde ist nun mal begrenzt. Eine opulente Energieverschwendung wie beim fossilen System, in dem die über Jahrtausende von der Sonne erzeugte und als fossile Brennstoffe gespeicherte Energie in kurzen Zeiträumen verbraucht wurde, wird es künftig nicht mehr geben.
Zudem sind die EE nicht überall gleichmäßig und in all’ ihren Arten verfügbar.
Die begrenzte Energie der Flächen hat vor allem zwei Folgen:
Erstens müssen wir die EE dort nutzen, wo es ein entsprechendes Angebot gibt; die „Not-in-my-backyard“-Haltung selbsternannter Landschafts-Ästheten und Naturschützer darf kein Hinderungsgrund mehr sein.
Zweitens müssen wir vorhandene Flächen nach dem Prinzip der Permakultur mehrfach nutzen, nicht nur als PV-Dächer zur Terrassenüberdachung oder in E-Auto-Ladeparks zur Energieerzeugung sowie zum Hagel-und Hitzeschutz für die Autos, sondern auch im Energiesystem selbst: schwimmende PV-Anlagen auf Stauseen oder flexibel-organische PV-Module als Segel.
Auch wenn sich der größte Teil der Energieversorgung vor Ort bewerkstelligen lässt – bei großen Industrieanlagen wie der BASF in Ludwigshafen oder der Kupferhütte Arubis in Hamburg wird das nicht vollständig funktionieren. Daher ist ein zügiger Ausbau der Stromnetze notwendig, bei dem die verbreitete „Not-in-my-backyard“-Haltung der Trassengegner ebenfalls keinen Einfluss haben darf.
Prinzip der Vielen - Demokratisierung der Energieversorgung
Ein weiterer Punkt gehört unabdingbar zur Energiewende dazu: die Partizipation der Vielen. Die Erneuerbaren sind als dezentrale Flächenenergien für viele Menschen erreichbar und nutzbar. Die Nutzbarkeit kann in finanziellen Beteiligungen bestehen, z.B. über Genossenschaften, in politischen Forderungen nach (z.B. Kohle-)Alternativen für eine saubere Umwelt, oder in der Eigen-Energie-Erzeugung mittels Balkonkraftwerk, Kleinwindanlage etc. Tatsächlich ist die Nutzung Erneuerbarer Energien, vor allem bei Sonne und Wind, inzwischen eine Massenbewegung geworden. Insbesondere die EU-Richtlinie „zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“ von 2018 hat die Verbreitung der „Eigenversorger“ stark gefördert. Sollte heute eine schwarze oder blau-braune Regierung auf die Idee kommen, das „Rad“ hinter die EU-Richtlinie zurückzudrehen, die Eigenversorgung zu verbieten und zum zentralistischen Energiesystem zurückzukehren, kann sich diese Regierung schon mal „warm anziehen“. Insofern ist die Partizipation der Vielen für die EE sehr wichtig. Was passiert, wenn eine solche Partizipation weitgehend fehlt, hat man vor zwei Jahren bei der kleinen Wasserkraft gesehen, die fast den Lobbygruppen der Angler und Naturschützer zum Opfer gefallen wäre.
Ohne eine schnelle und umfassende Wende zu 100 Prozent Erneuerbare Energien wird die Klimakrise nicht zu stoppen sein; andere Ansätze wie Suffizienz mögen das allenfalls flankieren, können aber eine Energiewende nicht ersetzen. Allerdings gibt es weitere wichtige „Stellschrauben“.