05.03.2021
ENsource – ein „Universal-Werkzeugkasten“ der urbanen Energie- und Ressourcenwende
Ein Bericht von Götz Warnke
Städte spielen bekanntermaßen in der Klimakrise eine entscheidende Rolle, zumal bereits heute rund die Hälfte der Menschheit in urbanen Regionen lebt, und sich dieser Anteil wohl bis 2030 auf fast zwei Drittel der Erdbevölkerung steigern wird. Wo die Probleme der urbanen Regionen liegen, ist bekannt: hoher Energieverbrauch, viele Staus, Wärmeinseln, hoher Wasserverbrauch, Müll etc. Ebenso bekannt ist, wo wir hin müssen: von allem etwas weniger, aber mehr Erneuerbare Energien, mehr innerstädtisches Grün, mehr fossilfreie Mobilität. Doch der Bereich dazwischen, nämlich wie der Übergang von A nach B, von der Gegenwart in die Zukunft effektiv zu organisieren ist, bleibt vielfach unklar.
Um diese Transformation zu beschleunigen und zu optimieren, haben sich unter der Leitung der Hochschule für Technik/Stuttgart 10 Hochschulen/Universitäten sowie zwei Forschungsinstitutionen (Fraunhofer ISE, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung/ZSW) aus Baden-Württemberg zusammen getan, und in den letzten fünf Jahren im Projekt ENsource Lösungswerkzeuge entwickelt. Dieser „Universal-Werkzeugkasten“ mit seinen in Zielrichtung und Umfang divergierenden Einzelwerkzeugen richtet sich an ein breites Spektrum von Adressaten wie Architekten, Anlagenhersteller und -betreiber, Energieversorger und Stadtwerke, Ingenieur- und Planungsbüros, Kommunen, Netzbetreiber, Quartiersplaner, sowie Wissenschaftler.
Er besteht aus Software-Tools, die sich je nach Transformationsgebiet und Fragestellung modular mit einander kombinieren lassen. Und selbst wenn mancher Baden-Württemberger glaubt, dass im Ländle grundsätzlich „die Uhren anders gehen“ – die Tools lassen sich auch gut außerhalb des deutschen Südwestens einsetzen. Hier einige in Auswahl:
Das Modul SimStadt der HFT Stuttgart ist ein Simulationsprogramm für Quartiere und Gebäude, das auf einer grafischen Benutzeroberfläche die Objekte in fünf verschiedenen Detaillierungsgraden darstellen kann. Seine bauphysikalische Bibliothek basiert auf der Gebäude-Typologie des deutschen Instituts Wohnen und Umwelt. Weiterhin gibt es eine Normenbibliothek ("Nutzungsbibliothek") deutscher Standards und Vorschriften. Mit SimStadt lassen sich u.a. PV-Potentiale von Gebäuden samt ihrer möglichen Stromerträge, jährliche Trinkwasserbedarfe oder die Dimensionierung neuer Nah- und Fernwärmenetze ermitteln.
KomMod vom Fraunhofer ISE ist eine Modellierung für kommunale, integrierte Energiesysteme, die bereits neue Power-to-X-Technologien mit einbezieht. Das Modul kann auch den Ressourcenaufwand für die Komponenten der Energiesysteme berechnen und Energie-Erzeugung sowie -Verbrauch für jede der 8.760 Stunden eines Jahres abbilden. Dabei entwirft dieses Modell anhand eines konkreten geographischen Raumes nicht die Transformationspfade vom gegenwärtigen zum künftigen Energiesystem, sondern zeigt, wie das anvisierte System strukturiert sein muss, "um im Zieljahr z.B. die Klimaneutralität am kostengünstigsten zu ermöglichen." Doch es lassen sich durchaus andere Zielvorgaben als die Kostenoptimierung einspeisen, wie z.B. die Autarkie des Gebietes oder dessen jahresbilanzielle Selbstversorgung.
Die dynamische Energieversorgungsanalyse der Uni Stuttgart modelliert - im Gegensatz zum vorhergehenden KomMod - keine Städte/Regionen, sondern zeitlich hoch aufgelöst, die Energie-, Massen- und Wärmeströme von Gebäuden und Anlagen, inklusive von Lüftungskonzepten und Tageslicht-Simulationen. Dabei wird die kommerzielle Software TRNSYS (TRaNsient SYstem Simulation) eingesetzt.
Das Bioabfall-Energieertrag-Prognosemodell (BEP) der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) fokussiert sich - obgleich forst- und landwirtschaftliche Reststoffe die größten Biomasse-Potenziale haben - auf biogene Siedlungsabfälle in Form von Biotonnen-Abfällen. Das Aufkommen letzterer hat in Deutschland ein Volumen von rund 5 Millionen Tonnen pro Jahr, lässt sich aber nach Ansicht der Autoren auf 10 Mio. t/a ausdehnen. Als Verwertungsoptionen der Biotonnen-Inhalte kommen etablierte Verfahren (Vergärung, Kompostierung) und innovative Konzepte (hydrothermale oder biotechnologische Verfahren) in Betracht. Den vorausgehen müssen Laboranalysen der Bioabfälle in der jeweiligen Region, zumal die Abfallzusammensetzung entscheidend für die erwartbaren Energieerträge ist. Letztere lassen sich dann mit dem BEP rechnen.
Den Abschluss der Projekt-Ergebnisdokumentation bilden Fallstudien zu den sehr unterschiedlichen Orten bzw. Lokalitäten Rainau, Mainau, Schwieberdingen, Mannheim, Stuttgart. Diese Unterschiedlichkeit macht deutlich, dass sich die hier präsentierten "Werkzeuge" nicht an Objekten bestimmter Größe orientieren. Anschließend folgt noch die quasi obligatorische Zusammenfassung sowie die verschiedenen Verzeichnisse.
Die Vielzahl der Software-Tools ermöglicht den Anwendern spezielle Fragestellungen und Untersuchungen. Wie sich die einzelnen Werkzeuge dann in der Praxis bewähren, ob einzelne verbessert und angepasst oder gar das „Paket“ durch weitere Tools ergänzt werden müssen, wird die Zukunft zeigen. Für die mit dem Umbau des Energiesystems befassten Akteure ist allein das Vorhandensein dieses wissenschaftsbasierten „Universal-Werkzeugkasten“ zweifellos eine große Hilfe.