04.02.2022
ICE-Werk im Raum Nürnberg: Mobilitätswende oder Naturfrevel?
Ein Statusbericht von Heinz Wraneschitz
Je näher die Festlegung auf einen konkreten Standort für das geplante ICE-Werk Nürnberg rückt, umso verhärteter die Fronten. Im Sommer 2021 haben wir schon einmal über den schwierigen Ausgleich von Klimaschutz und Naturschutz berichtet, den das von der Bahn für die Verkehrswende vorangetriebene Projekt erfordert.
Wie berichtet, will Bayerns Bahn-Konzernbeauftragter Klaus Dieter Josel unbedingt ein ICE-Werk in oder um Nürnberg herum. Mit drei ausgewählten Geländeflächen werde die DB AG ins Raumordnungsverfahren durch die Regierung von Mittelfranken gehen, hatte Bahn-Projektleiter Carsten Burmeister Mitte Januar im Kreistag des mittelfränkischen Landkreises Roth bekräftigt. Doch diese „Top 3“ von der Deutschen Bahn ausgewählten potenziellen Standorte liegen im streng geschützten Bann- und Reichswald südlich der Frankenmetropole.
Das wollen Bürgerinitiativen zwar verhindern. Doch ficht dies die Bahnverantwortlichen nach eigener Aussage bislang nicht an. Selbst auf die „Bitte“ von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Bayerischen Staatsforsten sollten den landeseigenen Bannwaldbesitz an der Fläche „Südlich Muna Feucht“ nicht veräußern, reagieren sie mit dem Hinweis: „Es gibt ja Gerichte.“ Sprich: Sogar eine Enteignung von Staatswald steht für die Bahn im Bereich des Möglichen.
Söders Eintreten für die Fläche „Südlich Muna Feucht“ wiederum bringt die Bürgerinitiative (BI) „Kein ICE Werk bei Harrlach“ auf die Palme: „Es gibt noch zwei weitere, entsprechend dem von Ihnen angelegten Maßstab völlig ungeeignete Standorte mitten im Reichswald. Einer davon ist Allersberg/Pyrbaum/Roth-Harrlach. Die Sachlage ist völlig gleich gelagert wie bei den Standorten Muna Süd. Wir bitten Sie sehr eindringlich, sich ebenfalls schützend vor den Standort Roth-Harrlach zu stellen“, steht im Brandbrief an den Landeschef. Ob es Reaktion gab? Auf unsere Nachfrage antwortete die Staatskanzlei: „Zu internen Korrespondenzen geben wir grundsätzlich keine Auskunft.“
Ist der Reichswaldschutz nur Feigenblatt?
Ja der Reichswald rund um Nürnberg: Den sehen viele Bewohner als „die grüne Lunge der Noris“ an. Doch zu erheblichen Teilen liegt er außerhalb der Stadtgrenzen: So ist eben auch jenes ehemalige Munitionslager „Muna Feucht“ und der daran angrenzende Staatsforstbesitz Bannwald. Alle Flächen tragen den Schutzstatus „Natura 2000“, sind Flora-Fauna-Habitat- (FFH-) und Vogelschutz-Gebiet nach EU-Richtlinien. Doch augenscheinlich war dem Regierungschef nicht bewusst, wie weit über seine Heimatstadt hinaus die grüne Lunge reicht.
„900 Eingriffe in den Bannwald hat es in den letzten Jahren gegeben. Ein Eingriff wie für das ICE-Werk geht dem Reichswald an die Substanz“, lautet die Einschätzung des Bund-Naturschutz-Biologen Sebastian Haas. Der hatte sich im vergangenen Jahr mehrere Tage und Nächte auf dem Gelände des seit zig Jahren eingezäunten, ehemaligen Munitionslagers „Muna Feucht“ aufgehalten; „ein Vogelschutzgebiet europäischer Bedeutung“, wie er heraushebt. Betretungsverbot, keine Düngung, kein Mähen hätten dafür gesorgt. Wenn wegen des ICE-Werks gerodet würde, müsse ein Ausgleich laut Gesetz direkt anschließend an den Reichswald stattfinden – „das ist aber hier unmöglich“.
Doch die Mitglieder der BI kämpfen nicht nur um den Bannwald an sich, sondern auch um die Gefährdung der Trinkwasserversorgung durch massives Abholzen. Der Grund unter dem Rother Ortsteil Harrlach im Süden der Frankenmetropole ist auch für andere Orte wichtig. Zum Beispiel für die Stadt Fürth. Die „deckt 40 Prozent ihres Bedarfs aus diesem Einzugsgebiet. Bei Hochwasser in der Kleeblattstadt kommt das kostbare Nass sogar zu 100 Prozent aus diesem Bereich, denn dann müssen die Brunnen im Rednitzgrund abgeschaltet werden“, heißt es aus dem Rathaus von Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD). Der war dieser Tage in Harrlach zu Besuch und verkündete hinterher seine „Sorge“, dass bei einer Rodung von zig Hektar Wald für das ICE-Werk „die natürliche Speicherfunktion des Waldes verschwindet“.
Denn nach den trockenen Jahren in der jüngsten Vergangenheit sei der Grundwasserspiegel bereits um 1,50 Meter gesunken, so OB Jung. Mit ihm ist sich Hubert Weiger einig: Auch der Ehrenvorsitzende des Bund Naturschutz BN Bayern sorgt sich um die „besondere Qualität des in diesem Gebiet sich bildenden, nitratarmen Trinkwassers“.
Für Jung müsse „der Schutz des Fürther Trinkwasser bei allen Plänen und Erörterungen an erster Stelle stehen“. Einen möglichen ICE-Werk-Standort in Fürths nördlichem Stadtteil Burgfarrnbach hatte der OB dagegen aus einem anderen Grund schon zu Beginn der Diskussionen abgelehnt: „Die Bahn hatte nur Burgfarrnbach genannt, aber kein konkretes Grundstück“, erklärt Thomas Jung auf Nachfrage. 45 Hektar seien in diesem ländlich geprägten Ortsteil nicht verfügbar.
Eine Bahnsprecherin nennt jedoch einen ganz anderen Grund für das Ausscheiden von Burgfarrnbach aus dem zunächst neun mögliche Standorte umfassenden Canon: An der Bahnstrecke Nürnberg–Würzburg würden „aufgrund der enormen Auslastung dieses Streckenabschnittes nicht ausreichend Kapazitäten für die täglich bis zu 50 Zuführungsfahrten der ICE-Züge ins/vom Werk zur Verfügung stehen.“
Großer Flächenbedarf und zusätzlich 50 Zugfahrten: Beides könne vermieden werden, wenn das Werk auf einem Bahngelände direkt in Nürnberg gebaut werden würde, erklärt Klaus-Dieter Wenzel. Der engagiert sich in der BI „Ja zum Reichswald“ gegen das ICE-Werk auf und südlich des MUNA-Geländes. Der Architekt im Ruhestand hat aber auch eine aus seiner Sicht echte Alternative in Nürnberg selbst entwickelt.
N21 nennt er in Anlehnung an Stuttgart 21 seine Studie, die einerseits „100 bis 200 Mio. Euro weniger kosten und 22 statt 44 Hektar Fläche verbrauchen“ würde, so seine Berechnungen. Die Flächenhalbierung mache vor allem eine „Mega-Schiebebühne“ möglich. Dank des „Herzstücks“ brauche es wesentlich weniger Rangiergleise als im DB-Konzept. Und dann reiche das DB-Gelände zwischen Nürnberg Hbf und Galgenhof zur Verwirklichung des ICE-Werks aus. Für die heute dort abgestellten Züge nennt er ebenfalls verfügbare Bahnflächen. „Flächenrecycling im Bestand“, nennt Wenzel das.
Und außerdem hat der Ingenieur noch nachgerechnet, wie viel die von der Bahn als für die Verkehrswende notwendige Verdoppelung der ICE-Zugzahl tatsächlich bringt: Statt jetzt 150 sollen 2028 300 Mio. Passagiere jährlich im DB-Fernverkehr transportiert werden. „Das sind gerade mal ein Prozent der Passagiere im gesamten Bahnverkehr.“ Dafür die Nürnberger grüne Lunge zu opfern, das hält er für völlig daneben.
Auf seinen vor Wochen der Bahn übermittelten Alternativ-Vorschlag hat Wenzel übrigens bislang nur einen Eingangsbescheid bekommen. Dabei hatte Bayernbahnchef Klaus Dieter Josel im Rother Kreistag ausdrücklich um Ideen gebeten. Ansonsten kommt für Josel nur eine dieser drei Reichswald-Flächen in Frage: „Einen Plan B haben wir nicht in der Hinterhand.“ Auf Nachfrage erklärt eine Bahnsprecherin: „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir Herrn Wenzel im Lauf des Februars antworten können.“