03.12.2021
Besser weniger „sozial“
Ein Kommentar von Götz Warnke
In diesem Sommer gab es aus Kreisen der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg e.V. im Zuge des Ausbaus der Wärmenetze eine interessante These: Die Wärmeversorgung müsse künftig als Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge definiert werden, d.h. staatliche bzw. kommunale Stellen seien für die Wärmeversorgung der einzelnen Gebäude verantwortlich. Abgesehen davon, dass die scheinbar von Erneuerbaren Energien gespeisten Wärmenetze bei näherem Hinschauen oft gar nicht so erneuerbar sind, stellt sich hier die Frage, ob die entsprechenden Vertreter im Ländle schon einmal was vom Reboundeffekt gehört haben. Denn ist ein Bauherr sich der staatlichen Wärmeversorgung sicher, kann er ohne Rücksicht auf eigene Energiesparmaßnahmen oder Möglichkeiten der solaren Nutzung möglichst groß bauen. Die dann höheren Wärmekosten zahlen entweder die Mieter, oder sie können in manchen Eigenheimen bei entsprechender Nutzung (Homeoffice) auch von der Steuer abgesetzt werden. Künftig müssen aber Gebäude den größten Teil ihres Energiebedarfs selbst decken („Macht die Dächer voll“), soll die Energiewende erfolgreich sein.
Daher wird die Energiewende nur funktionieren, wenn sie von einer Hinwendung zur Suffizienz, zu einer gewissen materiellen Selbstbegrenzung flankiert wird. Dazu müssen für jeden die Folgen seines – im Weltmaßstab imperialen – Lebensstils spürbar werden; die Kosten seines Tuns inklusive der Vor- und Nachketten müssen auf den Verursacher zurückfallen. Denn wer immer andere die von ihm verursachten Kosten in der einen oder anderen Form bezahlen lassen kann, wird sich kaum zur Suffizienz durchringen. Die Vorteile zu privatisieren und die Folgekosten zu sozialisieren ist auf Dauer auf einem begrenzten Planeten verheerend.
So oder ähnlich geht es aber mit vielen „sozialen“ Wohltaten; denn „sozial“ kommt aus dem Lateinischen und meint eigentlich „gesellschaftlich“, auch wenn es heute mehr im Sinne von „karitativ“ gebraucht wird. Dieses Soziale, oft in Form einer Kostenloskultur, ist ein Ausdruck der Überflussgesellschaft des späten 20. Jahrhunderts, die möglichst niemanden die Konsequenzen seines Handelns spüren lässt. Und die sich in vielen Fällen beim Klimaschutz kontraproduktiv auswirkt. Wer z.B. einen kostenlosen ÖPNV propagiert, muss wissen, dass es nicht mehr Autofahrer in die – dann volleren – Busse und Bahnen lockt, sondern eher zeitreiche Rentner, Schüler und Hartz-IV-Empfänger, die das als zusätzliches Freizeitangebot begreifen.
Was die Sozialisierung von Kosten anbelangt, hat besonders die Wirtschaft „den Bogen raus“: Mengenrabatte beim Strom („Großkunden-Tarife“) machen die einzelne Kilowattstunde billig und bremsen so das Energiesparen, mit den kurzen gesetzlichen Gewährleistungsfristen (meist 2 Jahre) und ohne Recht auf Reparatur lässt sich jeder Schund in den Markt drücken (Obsoleszenz), laxe Recyclingvorschriften werden im Getränkebereich zum vermehrten Einsatz von Einwegsystemen genutzt – die Verpackungsindustrie lebt gut von dieser Konstellation. Und diese Kosten-Sozialisierung wird teilweise von massiver Lobbyarbeit begleitet.
Von der Vergesellschaftung der Kosten und der Privatisierung der Vorteile profitiert die Oberschicht, z.B. bei der ganzen subventionierten Kulturinfrastruktur. Da werden von der Gesellschaft Protzbauten wie die Hamburger Elbphilharmonie mit all’ der Grauen Energie und den absehbaren Folgekosten errichtet, die nur von einem kleinen Teil der Gesellschaft wirklich genutzt werden. Sicher, es gibt vergünstigte Tickets z.B. für Studierende, und auch einige Touristen werden angezogen, aber die Masse der Nutzer in solchen Kulturtempeln sind nicht Angestellte oder Arbeiter, die den Tag in der Fabrik oder auf der Baustelle verbracht haben. Müssten die nutzenden Oberschichten die Gesamtkosten für Bau und Unterhalt allein tragen, so bliebe uns viel graues CO2 erspart.
Doch auch wenn die Formen anders sind als bei der Oberschicht – die Unterschichten sind prinzipiell nicht besser. Während die einen über zu hohe Steuerlasten und ausufernde Bürokratie (zu Deutsch: „Ich kann nicht machen, was ich will.“) klagen, beschweren sich die anderen über „soziale Kälte“ und „zunehmende soziale Spaltung“. Dabei sind sowohl die Narrative der einen wie der anderen Gruppe auf Sand gebaut – z.B. ist Einkommensungleichheit während der Pandemie gesunken. Mögen für sich genommen diese Begriffe in manchen Fällen auch ihre Berechtigung haben, ihr stereotyper Gebrauch verweist doch darauf, dass es hier vor allem um eines geht: einer bestimmten Gruppe Sonderprofite und damit ein „Mehr“ an ökonomischen Wachstum zu sichern. Insofern sind solche Klagen oft nur ein weiterer Ausdruck unserer Wachstumsgesellschaft.
Nicht jeder, der arm ist, ist zudem auch bedürftig, wie sich selbst bei Hartz IV zeigt. Sicher, die Masse der Bezieher ist in einer schwierigen Lebenssituation – chronisch Kranke, alleinerziehende Mütter, vom Leben gebeutelte –, doch es gibt auch Menschen, die sich gut in Hartz IV eingerichtet haben, weil sie nicht arbeiten wollen, sondern ihre Zeit lieber anders verbringen. Die freie Entscheidung dieser „Zeitreichen“ ist an sich nicht zu kritisieren; nur sollten diese Personen dann auch die finanziellen Folgen ihrer Entscheidung nicht sozialisieren, sondern für sich selbst Verantwortung übernehmen, wie es viele Obdachlose ganz selbstverständlich tun.
Stattdessen kommt aus manchen politischen Richtungen wie z.B. von den Jusos die Forderung, diese arbeitslosen Einkommen zu erhöhen. Die generelle und undifferenzierte Erhöhung der Alimentierung von Nichtarbeitenden ist umso erstaunlicher, da sie von einer traditionsreichen Arbeiterpartei stammt, deren Wähler wie Angestellte und Facharbeiter solche „sozialen“ Wohltaten letztlich bezahlen müssen. Denn Steuer vermeidende Reiche werden das ebenso wenig tun wie Arbeit vermeidende Arme – die Rechnung darf wieder mal die Mittelschicht bezahlen. Auf Karl Marx können sich solche „linken“ Politiker jedenfalls nicht berufen; der Philosoph und Ökonom sprach bezüglich der Arbeitsunwilligen deutlich von „Lumpenproletariat“. Dabei sollte eigentlich klar sein: Wenn jemand solche Zeitreichen mit mehr Geld alimentiert, wird er mehr Konsum und damit mehr Klimakrise ernten. Suffizient ist das nicht.
Ein Bereich, in dem Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten die Kosten ihres Tuns sozialisieren, ist der Gesundheitsbereich. Während einerseits viele Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für den Normalbürger zurück gefahren worden sind – z.B. beim Zahnersatz – , nehmen andererseits die notwendigen Behandlungen von Risikolebensstilen und -Sportarten zu, vom Kettenrauchen über Fallschirmspringen, Skisport von „Flachlandtirolern“ bis zum Extrembergsteigen. Ein besonders kosten- und ressourcenintensiver Fall sind die immer noch freiwillig Ungeimpften, die nach einer Infektion auf die Intensivstation müssen. Intensivstationen sind Großverbraucher an Einmalplastik, Medikamenten für Infusionen – weit mehr als in der von den Leugnern abgelehnte Impfspritze – und von Energie. Und die gesellschaftlichen Kosten sind extrem: Bis zu 92.000 Euro reichen die Behandlungskosten pro Coronapatient, und da sind Transporte und Verlegungsflüge nicht einmal eingepreist.
Vor wenigen Tagen hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin „eine Kostenbeteiligung Ungeimpfter an Krankenhausleistungen“ gefordert, falls „diese mit einer Coronainfektion in eine Klinik eingeliefert bzw. auf einer Intensivstation behandelt werden müssen.“ Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nur ein halber. Warum nur eine „Kostenbeteiligung“ und nicht gleich die volle Kostenübernahme. Schließlich sind die Coronaimpfungen kostenfrei, und wer sie aus freier Entscheidung ablehnt, sollte auch ganz frei mit den Kosten seiner Entscheidung belastet werden. Die rechtliche Basis dafür muss geprüft werden; eine Rechtsgrundlage dafür könnte § 276 BGB liefern. Das sollte bedeuten, dass man bei freiwillig ungeimpften Intensivpatienten ggf. Zwangssicherungshypothek für ihr Grundstück ins Grundbuch eintragen lässt oder bei Hartz-IV-Empfängern die Bezüge kürzt. Das wäre auch deutlich wirkungsvoller und sachbezogener als eine allgemeine Impfpflicht, die auch für Eremiten und Höhlenforscher gelten würde.
Wir müssen uns als Gesellschaft darüber klar werden, dass wir der Klimakrise nicht Herr werden können, wenn wir nicht die allgemeine Sozialisierung von Kosten massiv eindämmen. Es ist nicht Aufgabe der Gesellschaft, den Unternehmen über offen gehaltene Gesetzesschlupflöcher ihre Profite zu finanzieren, den Reichen ihr Kulturangebot, den Armen ihre Faulheit und den Coronaleugnern das folgenreiche Ausleben ihres Spleens. Wer die Musik bestellt, bezahlt – anders geht es nicht mehr in unserer Postwachstums- und Postwohlstandsgesellschaft. Denn der Kampf gegen die Klimakrise bedeutet nicht, wir lassen nur mal öfter den Fossil-SUV stehen und nehmen das Fahrrad, sondern: die Party der Spaßgesellschaft ist vorbei!