03.09.2021
Wahlk(r)ampf 2021: Vom Sagen, Machen und Lassen
Ein Essay von Heinz Wraneschitz
Letzten Sonntagabend, Tatortzeit 20:15 Uhr. Auf RTL lief etwas, was es weder im Duden noch im Deutschen Fernsehen bisher gab: Das Triell.
Ich war nicht dabei. Genau wie etwa 78 Millionen andere in Deutschland lebende Menschen. Denn gerade mal 5,05 Millionen Zuschauer lockte die Stehtisch-Gesprächsrunde der drei ums Kanzleramt triellierenden Personen vor die Glotze. Doch wer am Abend auf die Webseiten aller Medien hierzulande schaute oder in die ach so sozialen Medien, konnte das Gefühl bekommen: Jede*r hat das Triell gesehen. Spiegel-Redakteur*innen auf jeden Fall – in großer Zahl. Und sie haben festgestellt: Auch über Klima wurde geredet, von allen. Aber gefragt, „was daraus politisch konkret folgt, unterschieden sich die Antworten deutlich. Laschet und Scholz lehnten es ab, für besseren Klimaschutz Verbote zu erlassen. Baerbock kritisierte dies als ineffizient und unehrlich.“ Das wiederum beruhigt mich. Denn damit wird klar: Ich habe nichts Neues verpasst durch meine Triell-Verweigerung. Das Gesagte war so auch schon vorher bekannt – und wird sich sicherlich auch nicht in den verbleibenden drei Wochen bis zur Wahl mehr ändern.
Gerade noch drei Wochen bis zur Wahl
Aber hoppla: Drei Wochen? Wenn ich mich zurück erinnere, dann dauerte in der Vergangenheit der Wahlk(r)ampf auf Plätzen und vor Einkaufszentren immer gefühlte drei Monate! Doch diesmal kommt es mir vor, als hätte Corona diesen Unsinn eingedampft aufs Nötigste. Denn wer unterhält sich schon ernsthaft mit den Kandidierenden, die sich meist unter Sonnenschirmen verbergen oder Streichholzschachteln verschenken wollen? Es sind fast nur deren Parteigänger*innen, entweder genau dafür engagiert, oder wirklich daran interessiert, ihr „Idol“ einmal nicht im Fernsehen, sondern live zu erleben. Informieren, über das, was die Parteien und ihre führenden Köpfe wirklich wollen, das geht eigentlich nur durch das Durchforsten der Partei- und Wahlprogramme. Das habe ich bei der CDU-CSU (CDSU) ja bereits ausführlich getan. Und festgestellt: Zukunftsorientiert ist das nicht.
Als kurz danach das Hochwasser viele Täler in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen überflutet und Häuser, Hab und Gut weggespült hatte, stellte der CDSU-Kanzlerkandidat Armin Laschet genau meine Einschätzung unter Beweis. Ganz schnellen Wiederaufbau will er, und viel Geld dafür investieren. Von einer Pflicht, bei den neuen Häusern energetische Maßstäbe zu setzen oder planerisch dafür zu sorgen, dass sich die künftig möglicherweise noch schwereren Fluten durch die Täler stürzen können, ohne Häuser mitzureißen: Kein Wort. Und in einer „Aktuellen Stunde“ des WDR zum Hochwasser, zur Braunkohlepolitik befragt, bekräftigte Laschet gar: „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“ Die Wirtschaft werde alles mit dem Klima und so richten, hört man von Laschet und Co allenthalben. Da muss es nicht verwundern, dass sich die FDP – die besteht nach außen ohnehin nur noch aus ihrem sichtlich älter werdenden Immer-Jung-Vorsitzendem Christian Lindner – schon frühzeitig das Koalitionsbett mit der Union zurechtgemacht hat: Auch C.L. kann die Wirtschaftsgläubigkeit nicht schöner verkünden. Doch nun sacken die Werte für CDSU massiv ab. Und Lindners große Steuersenkungsversprechungen (welche Steuern eigentlich?) scheinen ebenfalls wie die Häuser im Hochwasser den Bach hinunterzugehen. Zumal selbst „die Wirtschaft“, also hochbezahlte angestellte Vorstände vieler DAX-Konzerne, inzwischen selbst begriffen haben: Ohne eine echte Klimawende werden auch ihre Firmen nicht überleben. Und so werden sogar von dieser Seite Forderungen nach Erneuerbaren Energien immer lauter. Aber was tut Laschet? Er bremst neue Windräder aus. Wer es vergessen haben sollte: Er ist Regierungschef im Bundesland NRW. Das tut er teilweise noch stärker als sein im Kandidatenrennen unterlegener CSU-Kollege Markus Söder: Die Bayerische 10H-Abstandsregel schreibt für Windräder die mindestens 10fache Entfernung zur Wohnbebauung vor. Doch in NRW gilt selbst für 30 Meter hohe Kleinwindräder: Mindestens 1000 Meter Abstand.
15 Punkte in die Zukunft – 11 Punkte in die Vergangenheit
Und dann gibt es noch etwas ganz Schönes aus der CDU. Das „15-Punkte-Programm: Ein Turbo für die Erneuerbaren!“ Verkündet am 30. August 2021. Laut Laschet müssten vor allem auch Planungsverfahren schneller werden. Sechs Jahre für die Genehmigung eines Windrades seien zu lang: „Es muss sechs Monate dauern.“ Stellt sich nur die Frage: Für welche Windräder genau? Die auf See? Dann braucht es natürlich auch wieder jede Menge neue Stromleitungen in den Süden. Und dafür wiederum soll ja bekanntlich das Aarhus-Protokoll geschleift werden, wenn es nach CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, dem „Wirtschaftsrat der Union“ und deren 11-Punkte-Programm geht. Diesem Wirtschaftsrat nahe steht auch Friedrich Merz. Der soll – wenn es nach Laschet geht – nach dem erhofften CDSU-Wahlsieg eine „wichtige Rolle“ in einer neuen Regierung spielen. Wie es aus CDU-Kreisen heißt, haben die drei Verfasser*innen zur Vorbereitung ihres 15-Punkte-Energieturbo Energiedialoge veranstaltet. Ziemiak und Merz sollen oft mitgemacht haben. Am Wahlabend des 26. September jedenfalls werde ich – anders als beim Triell - vor der Glotze sitzen. Denn ich bin gespannt, welches der drei Kanzler*innen-Kandidatengesichter strahlen wird.
Hoffentlich aber darf dann Friedrich Merz seinen Spruch „da kann ich sicher etwas beitragen“ nicht ausbreiten. Denn in diesem Fall sehe ich schwarz. Nicht nur für die Erneuerbare Energiezukunft Deutschlands.