03.06.2022
Die politisch Toten
Ein Kommentar von Götz Warnke
Eine Wende, und sei sie noch so gut und notwendig, führt immer auch zu Verlusten – z.B. beim Segeln, wo man in der Wende Geschwindigkeit verliert. Dieses Verlustprinzip gilt selbstverständlich auch für Zeitenwenden. Da erweist sich bei über Jahrzehnte gepflegten Ideologien deren geringe „Halbwertzeit“, da geraten sorgsam konzipierte und formulierte politische Strategien schnell ins geschredderte Altpapier, und einst fast allmächtige Entscheidungsträger sind plötzlich politisch tot. Die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine induzierte und vom Bundeskanzler propagierte jüngste Zeitenwende macht da keine Ausnahme. Und so dreht sich durch unser Blickfeld ein bunter Reigen von Politikern, die nicht nur ihre besten Jahre hinter sich haben, sondern die sich mit ihrem Tun und Lassen in der Vergangenheit schlicht desavouiert haben für eine Zukunft als politisch gewichtiger Entscheidungsträger.
Der wohl bekannteste Fall ist unsere Alt-Kanzlerin, deren Politik plötzlich sehr alt aussieht. Noch bei der Bundespräsidentenwahl Mitte Februar war Merkel ein Star, viele machten ihr die Aufwartung: „Alle reißen sich um Merkel“ titelte sogar eine Zeitung. Und wer es in der Vergangenheit wie der Schreiber dieser Zeilen wagte, den baldigen Abgang der Ewigkeitskanzlerin – so musste sie zumindest der FFF-Generation erschienen sein – freudig zu begrüßen, hatte ein Abo auf böse Briefe der Merkel-Fans abgeschlossen. Weder das eine noch das andere dürfte sich so wiederholen. Denn inzwischen erweist sich die Politik der einst „mächtigsten Frau der Welt“ zunehmend als ein einziges Desaster: In der Russland-Politik ließ man sich vom Krimbesetzer Putin einlullen, und weiter günstig mit klimaschädlichem Gas beliefern. Nicht besser lief es mit dem Wirtschafts-„Partnerland“ China, wobei Menschenrechte immer eine eher untergeordnete Rolle spielten. Viel zu spät und völlig ungenügend reagierte man im Kanzleramt auf den imperialistischen Anspruch des „Reichs der Mitte“, viel zu spät stoppte man den Ausverkauf deutscher Technologie dorthin. Nicht besser lief es in der Klimapolitik, wo schließlich das Bundesverfassungsgericht die Kanzlerin zur Ordnung rufen musste. And last, but worst ihre Energiepolitik, die die deutsche PV-Industrie den Bach hinunter gehen ließ, um die Wirtschaftsverbindungen zu China nicht zu trüben, die auf russisches Gas, Öl und Uran statt auf deutsche Sonne setzte, und so letztlich den Grundstein für die heutigen Energieprobleme legte.
Viele beschweren sich heute, Merkel würde ihre Politik nicht erklären. Abgesehen davon, dass sie das auch in der Vergangenheit praktisch nie getan hat, müsste sie dazu ja eine erklärbare Politstrategie haben. Merkel war aber nie Strategin, sondern stets Taktikerin – das „Herummerkeln“ war ihr Markenzeichen. Und auf das können wir künftig gut verzichten.
Peter Altmaier ist ein weiterer Kandidat auf dieser Liste. Der Adlatus der Kanzlerin, der dann vom Frühjahr 2018 bis zum Dezember 2021 Bundesminister für Wirtschaft und Energie war, trägt einen Gutteil der Mitverantwortung für das Ausbremsen der Energiewende. Schon früh propagierte er die „Strompreisbremse“, die sehr zu Lasten der Erneuerbaren Energien ging. Dagegen wurden die Fossilenergien von ihm weiterhin in verschiedenster Form gefördert. Dass Peter Altmaier ein hervorragender Koch sei, mag man gern glauben; dass er als Energieminister wirklich „von gestern“ ist, hat er selbst bewiesen.
Auch auf Julia Klöckner, Landwirtschaftsministerin unter Merkel und Ex-Weinkönigin, dürfte bundespolitisch kaum eine Auferstehung warten. Nicht nur manche Waldbesitzer fühlten sich nach den verheerenden Stürmen und der Trockenheit allein gelassen – hatten doch einige die Hoffnung gehabt, zwischen Sturmverwüstungen zumindest ein paar Windräder errichten zu können, um wenigstens etwas Ertrag aus ihren nun horizontalen Wäldern zu erzielen. Auch das Höfesterben, das besonders kleine Betriebe betrifft, ging unter Klöckners Ägide durch flächengebundene Agrarsubventionen und die Industrialisierung der Landwirtschaft munter weiter. Warum das so fatal ist merken wir erst jetzt durch den Ukrainekrieg und die weltweit drohende Lebensmittelknappheit: Deutschland produziert selbst nicht genug Lebensmittel, um sich zu ernähren. Gerade einmal 19% des Obstes und 35% des Gemüses stammen aus dem Inland – auch dies ein Problem energetischer Abhängigkeit. Dazu muss man weiter wissen: kleine bis mittlere Betriebe erzielen pro Hektar höhere Erträge als große Betriebe, und haben durch den geringeren Einsatz von z.B. von Pestiziden weniger Auswirkungen auf die Umwelt. Mag Frau Klöckner künftig auch noch einige Weinfeste eröffnen – politisch gesehen ist das Glas für sie leer.
Über den Merkelianer Armin Laschet können wir hier schweigen, zumal die letzte Bundestagswahl ein wahrnehmbares Wort über seine Politik gesprochen hat. Mehr Aufmerksamkeit verdient Laschets Parteifreund und Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der nörgelnde Sachse, dem es vor dem Ukrainekrieg mit der Aufhebung der Sanktionen gegen das die Krim besetzende Russland nicht schnell genug gehen konnte, und dem es dagegen beim Kohleausstieg zu schnell geht, zeigt stets, dass er die großen politischen Themen wie europäische Friedensordnung und weltweite Klimakrise nicht begriffen hat. Damit Kretschmer noch mal außerhalb Sachsens politisch groß tätig werden kann, müssten wohl Putins Panzer schon am Rhein stehen.
Doch dies soll kein CDU-Bashing werden, zumal auch die SPD genügend „Leichen im Keller“ hat. Das betrifft nicht nur – analog zum „Professor aus Heidelberg“ – den Rechtsanwalt aus Hannover, der wohl in den letzten Jahren zu sehr aufs Geld geschaut hat – andernfalls ist es nur schwer erklärbar, dass ihm der wahre Charakter seines Männerfreundes Putin so sehr entgangen ist. Ein schönes Beispiel ist ebenso die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, von ihren Spöttern „die Großherzogin“ oder „Manipuela“ genannt – letzteres wegen ihrer trickreichen „Klimastiftung“, die Firmen helfen sollte, die US-Sanktionen gegen die Russland-Pipeline „Nordstream 2“ zu umgehen. Die Frau mit der Liebe zum Gas – sie hat sich erst kürzlich im Bundesrat für 2 LNG-Terminals in ihrem Bundesland stark gemacht –, und deutlich weniger Liebe zur Sektorenkoppelung und den Erneuerbaren Energien – Mecklenburg-Vorpommern gehört hier nicht gerade zu Spitzenreitern – galt mal als große Polithoffnung der SPD. Damit dürfte es vorbei sein, auch wenn Schwesig noch eine Weile Ministerpräsidentin im Nordosten bleiben sollte. Nicht besser steht es um ihren Amtsvorgänger und politischen Ziehvater Erwin Sellering, der aus Sprockhövel, der Wiege des Ruhrkohlenbergbaus stammt. Unter Sellerings Ägide wurden 2015 nicht nur die noch in DDR-Zeiten angelegten Bohrungen für eine künftige Geothermie-Nutzung zubetoniert, der Vorstand der umstrittenen Klimastiftung hielt auch viel zu lange an dieser fest.
Wie auch immer – der politische Totentanz wird auch künftig weiter gehen. Augenblicklich laufen sich gerade einige Politiker:innen der Regierungskoalition dafür warm. Man wird sehen … Eines ist in jedem Fall auffällig: alle diese politisch Toten hatte in der einen oder anderen Form und Intensität mit dem Thema Energie zu tun – und hier sind sie gescheitert. Das zeigt einmal mehr, wie zentral dieses Thema für unser heutiges (Über-)Leben ist.