01.05.2020
Prosumermodell mit Aggregatoren – wer füllt diese Lücke?
Seit Ende Februar 2020 ist er auf der Homepage der Bundesnetzagentur verfügbar: der Vorschlag der BNetzA zur Änderung der EEG-Regelungen für sogenannte Prosumer, also PV-Anlagenbetreiber <30 kWp mit Eigenverbrauch. Diesem hoffnungsvollen Geschäftsfeld der Energiewende versucht die Bundesregierung in Gestalt der BNetzA mit einem ausgeklügelten Modell von Tarifen und Optionen das Wasser abzugraben. Politik gegen die Energiewende, nicht mit harten Gesetzen, sondern mit den Mitteln der wirtschaftlichen Strangulation. Diesen Weg hatte bereits Mitte des Jahres 2019 ein Papier des Bundes der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit einem 3-Säulen-Modell gewiesen, das offenbar für die BNetzA Pate gestanden hat. Bis auf einige Interviews des Mitautors Peter Stratmann wurde diese, eher einem Arbeitspapier gleichkommende, Foliensammlung kommentarlos online gestellt.
Dies sorgte für kontroverse Diskussionen bei den bereits vom schwebenden Damoklesschwert des 52 GW Deckels stark verunsicherten Erneuerbaren. Die Form der Veröffentlichung führte gar dazu, dass Spekulationen darüber aufkamen, ob man diese „Vorschläge“ im BMWi überhaupt mittragen würde. Dabei zeigt der Blick auf die Gesamtsituation, dass die alte Energiewirtschaft und das BMWi sehr planmäßig vorgehen. Beim Deckel herrscht politisch gewollte Untätigkeit, seit über einem Jahr. Eine praktikable Nachfolgeregelung für das EEG wie auch für die zukünftigen Konditionen der Windenergie schien hinter dem Nebelvorhang von Corona auf sich warten zu lassen. Der Eindruck verfestigte sich, die Hinhaltetaktik hat Methode. Aber nicht nur das.
Mit dem „Vorschlag“ von Peter Stratmann erscheint das in einem etwas anderen Licht. Das Hinhalten ist das eine, aber hinter den Kulissen hat man bei den zuständigen Stellen offenbar fleißig gearbeitet. Das Papier von Stratmann, der als Vater des Marktstammdatenregisters gilt, und dem man auch Idee und Konzeption der Ausschreibungen zuordnet, versucht wohl, mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen zu wollen:
- Die EE-Richtlinie der EU in deutsches Recht umsetzen und die gerügte EEG-Abgabenbelastung des Eigenverbrauches doch noch zu erhalten
- Eine Nachfolgeregelung für Altanlagen und eine komplette Überarbeitung der Regelungen für Neuanlagen zu schaffen
- Eigenverbraucher in die Pflichten des Energiesystems einzubinden bzw. wirksam dafür zu sorgen, dass er diese Pflichten an leistungsfähige Dienstleister, die Aggregatoren, überträgt und damit seine Eigenständigkeit als Prosumer aufgibt.
Im zwingend in deutsches Recht umzusetzenden Artikel 21 der EU-Richtlinie vom Dezember 2018 heißt es: Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass der von Abgaben unbelastete Eigenverbrauch „der Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität individuell oder über Aggregatoren“ ermöglicht wird. Ein schlichtes „oder“ im Text bietet den Strategen die Wahl zwischen zwei völlig unterschiedlichen Wegen und ermöglicht so den Abschied von der individuellen, durch erhobene EEG-Umlagen erfolgreich ausgebremsten Variante, hin zur professionalisierten Aggregatorenvariante. Den meisten Lesern wird der Begriff „Aggregatoren“ nichts sagen, sie werden aber intuitiv verstehen, dass damit zwischen Prosumern und Vermarktung ein neuer Player eingeschoben werden soll. Die Freiheit der selbst gesteuerten Eigenverbrauchsanlage, die sich mit dem Begriff „individuell“ verbindet, scheint der Bundesnetzagentur bzw. der Bundesregierung ein Dorn im Auge zu sein.
Stratmann stellt sie als Verursacher unnötiger Graustromproduktion und Regelleistungskosten dar, als angeblich völlig unkalkulierbarer Posten im System der Energienetze, den es zu zügeln gilt. Dabei ist dem Vater des Marktstammdatenregisters natürlich klar, dass genügend Daten für eine planvolle Stromerzeugung auch der großen Kraftwerke vorhanden sind und in absehbarer Zukunft von Smartmetern exakt bereitgestellte Lastprofile die optimale Grundlage für eine gute Verbrauchsprognose für die Energieplanung liefern könnten. Stattdessen verbreitet er nach wie vor die zweifelhafte Mär von der doppelten Erzeugung, zu der die konventionellen Erzeuger durch die Erneuerbaren gezwungen würden.
Aber dahinter wird ein weiteres Element des Konzepts deutlich. So sollen der vom Anlagenbetreiber vorgenommene und zu pflegende Registereintrag seiner Marktstammdaten sowie die teuer zu bezahlenden Smartmeterdaten als Grundlage kommerzieller Geschäftsmodelle für andere Player dienen. Das Geschäftsfeld der Bilanzkreispflege hatte die BNetzA 2019 mit einem verschärften Standardbilanzkreisvertrag für kleinere Startups zu einem Hochrisikogeschäft umgebaut. Die Beschwerde eines Direktvermarkters wurde vom OLG Düsseldorf abgewiesen. Kurze Meldefristen, hohe Sicherheitsleistungen und scharfe Kündigungsbestimmungen geben wohl nur Anbietern eine Chance, die mit weitreichender Erfahrung und einer ausreichenden Kapitaldecke aufwarten können. Also großen und potenten Playern.
Ein neues, zusätzliches Geschäftsfeld soll also zwischen eigenverbrauchenden Kleinerzeugern und Bilanzkreisverantwortlichen entstehen: das der Aggregatoren. Diese sollen als professionelle Zwischenhändler für einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage sorgen, sie übernehmen die Bereitstellung und Vermittlung von Regelenergie. Es fragt sich allerdings, wer dieses noch unbesetzte Geschäftsfeld zukünftig oder auf ministerielle Vermittlung profitabel ausfüllen könnte, so dass sich diese „Anbieterlücke“ nicht gleich wieder zu einem neuen Ausbauhindernis für die Erneuerbaren entwickelt. Ohne ein für die Bürgerenergie akzeptables Angebot wird es sicher zu keinem Ausbau kleiner dezentraler Anlagen kommen, die dringend benötigt wird.
Vordergründig könnte man meinen, Betreiber von virtuellen Kraftwerken oder regionale Stadtwerke und Energiegesellschaften kämen für eine solche Rolle in Frage. Die Integration der regional erzeugten Energien böte die Grundlage für glaubwürdige Grünstromprodukte, die Bilanzkreisverwaltung ließe sich über Verbünde mit anderen Stadtwerken effizient regeln. Regelleistung könnte mit der Kopplung von Strom- und Wärmeversorgung erbracht werden, sei es mit Power-To-Heat, Wärmepumpen, Wärmespeichern oder den Betrieb von Elektrolyseuren. Wer sonst hätte noch Interesse an der erzwungenen Integration von privaten, das Netz im Kleinen stabilisierenden Eigenerzeugungsanlagen, dem Aufkauf der überschüssigen, als Grünstrom vermarktungsfähigen Überschussenergie? Wer verfügt über ausreichende Möglichkeiten, kurzzeitig verfügbarer Regelenergie, zu vermarkten? Für eine solche Aufgabe bräuchte es neben leistungsfähiger Kommunikationstechnik auch eine leistungsfähige Regelungssoftware, die möglichst auch als standardisiertes Produkt bei vielen Anwendern eingesetzt werden könnte. Aber das dürften, neben der fehlenden Kapitalausstattung, dann keine Stadtwerke sein, würde es doch am Master-Slave-Verhältnis zwischen großen Erzeugern, den Übertragungsnetzbetreibern und den Stadtwerken bzw. Verteilnetzbetreibern sägen.
Da kommen nur andere, große Player, wie z. B. die Automobilindustrie, in Frage. Inzwischen stehen tausende, auf Halde produzierte VW ID3 auf Feldern, in provisorischen Zelten und auf angemieteten Parkplätzen. Dort warten sie als „First-Edition“ auf die Auslieferung an ihre Vorbesteller, viele werden ihr neues E-Auto am liebsten mit dem Strom aus der heimischen PV-Anlage fahren wollen. Untersucht man das Stratmann Papier genauer, dürfte ein Automobilkonzern als Aggregator keine Überraschung sein. Details rund um das Gesamtkonzept der IDs sind immer noch ein wohl gehütetes Geheimnis von VW, die offenbar Schwierigkeiten bereitende Software soll die Komplexität einer Flugzeugsoftware in den Schatten stellen. Warum gilt die ID3-Software als so komplex?
Erst kürzlich gab VW der New York Times Auskunft über zukünftige Geschäftsfelder. Volkswagens Strategie-Chef Michael Jost erwähnte dabei ausdrücklich neue Geschäftsmöglichkeiten beim Speichern und beim Energiemanagement, man stehe inzwischen mit einer eigenen Strommarke bereit. Bislang würden diese Bereiche von Stadtwerken und Energieunternehmen dominiert. Die Batterien von VW, so Jost, könnten zukünftig dazu eingesetzt werden, das Stromnetz zu stabilisieren, unter Verwendung von „grüner“ Überschussenergie aus Prosumer-Anlagen. Die eigene Strommarke und das Wort Aggregator erwähnte er vorsichtshalber nicht. Das Modell eines individuellen, unregulierten, abgabenfreien Eigenverbrauches des eigenen Stromes scheint mit den Plänen der Bundesnetzagentur nicht vereinbar zu sein. Prosumer und Bürgerenergie spielen darin nur noch die Rolle des Lieferanten, der nach der Pfeife der Aggregatoren tanzen müsste. Die Bürgerenergie muss also neue Wege finden, ihre Positionen zu behaupten.
Nicole Lauckner
Klaus Oberzig
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