Ein Bericht von Götz Warnke

Vehicle-to-Grid (V2G), die Übertragung von Strommengen aus dem E-Auto in das öffentliche Verteilnetz, gilt als eine Schlüsselfunktion der Energiewende. Der Hintergrund ist, dass die E-Autos insgesamt einen bereits vorhandenen, riesigen Stromspeicher darstellen, der zudem noch günstig über das ganze Land verteilt ist, so dass die oberste Netzebene, die Übertragungsnetze hier nicht beansprucht werden.
Diese Speicherkapazitäten werden umso wichtiger, je größer der Anteil der fluktuierenden Erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind an der Stromerzeugung wird. Es gilt, die Stromnetze zu stabilisieren. Darüber herrscht bei allen Beteiligten seit Langem Einigkeit. Das ist aus den vielen Grundsatzpapieren zu ersehen, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden. So gab z.B. im Frühjahr 2024 die Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur ihre Handlungsempfehlungen „Bidirektionales Laden diskriminierungsfrei ermöglichen“ heraus. Und im vergangenen November meldete sich der Energiekonzern EON mit einem eigenen Positionspapier zum Thema zu Wort. Doch trotz der grundsätzlichen Anerkenntnis der Notwendigkeit, und der Zustimmung wichtiger Beteiligter, geht es mit dem V2G nur im Schneckentempo voran. Warum eigentlich?
Licht in das Dunkel und in die verschiedenen Facetten der Strukturen versuchte die große, zweitägige Vehicle-to-Grid-Konferenz Anfang April diesen Jahres zu bringen, die vom Essener „Haus der Technik“ umsichtig organisiert und ebenso vielfältig wie hochkarätig besetzt war.
Klar ist inzwischen, dass viele Probleme der Vergangenheit heute nicht mehr vorhanden sind. Beispielsweise bieten immer mehr E-Autos Steckdosen, mit denen sich ein Elektrogrill abseits der Stromnetze betreiben lässt (Vehicle-to-Load/V2L). Und V1G, das netzdienliche Laden von E-Fahrzeugen, analog zum Laden mit dem Strom aus der eigenen PV-Anlage, ist ebenso möglich. Dass auch V1G ein Geschäftsmodell sein kann, mit dem sich heute schon Geld verdienen lasse – sowohl für Netzbetreiber, als auch für E-Auto-Besitzer:innen – , darauf verweist auf der Konferenz Dr. Jussi Palola, Mitgründer des finnischen Energiedienstleisters Virta. Das Unternehmen vertreibt in seiner Heimat auch bidirektionale 10-kW-Wallboxen, die es an den Fahrzeugen von zehn verschiedenen Herstellern (von BMW und BYD bis zu Tesla und VW) getestet hat. Und es funktioniert!
Diesen Eindruck kann Kai Fieber von Ambibox nur bestätigen. Der Wallbox-Hersteller will mit einem 11-kW-DC-Lader in den Markt, und hat ihn an verschiedenen Fahrzeugen erfolgreich getestet: bei den Koreanern sowieso, aber auch bei Tesla und neueren Fahrzeugen des Stellantis-Konzerns. Dabei ist es manchmal etwas diffizil, da die Autohersteller die Standards eigenwillig interpretieren. Fieber hat dafür ein schönes Beispiel: Das Englische ist eine definierte Sprache, aber seine Aussprache ändert sich je nach Land.
Auf die harten Probleme verweist Dr. Frank Spennemann von der Mercedes Benz Mobility AG, als er die verschiedenen zu berücksichtigenden Aspekte von V2G und ihren aktuellen Status aufführt: Während die meisten dieser Punkte wie Geschäftsmodelle, BiDi-, also lade- und entladefähige E-Autos oder Standards dafür gelöst sind, hapert es beim Thema Smart Meter und bei der Regulatorik. Nur zwei Prozent der deutschen Haushalte verfügen über Smart Meter, während es in Dänemark 100 Prozent sind und selbst in Bulgarien 80 Prozent.
Dazu kommen Hindernisse wie jene, dass die effektiveren DC-BiDi-Lader deutlich teurer sind als die AC-BiDi-Lader. Ja, auch Mercedes setzt ein Projekt zu Bidirektionalem Laden um – in Japan mit Chademo-Chargern.
Daniel Makus vom deutschen Halbleiterhersteller Infinion sieht die früher geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der Batterie-Haltbarkeit durch das BiDi-Laden als relativiert an. Dagegen erkennt er mögliche Probleme hinsichtlich der Haltbarkeit der Leistungselektronik, bei der eine Nutzungsdauer-Auslegung von nur über 10 Jahren schnell zu einem Totalschaden führen könne. Offen sei die Frage, wann Autos ohne Onboard-Charger auf den Markt kämen, was die Umwandlungsverluste reduzieren würde.
Doch die Vehicle-to-Grid-Konferenz bestand nicht nur aus der Auflistung von Problemen, sondern es wurde auch von Erfolgsgeschichten berichtet. Niklas Hemberger von The Mobility House präsentierte das seit vergangenem Jahr laufende Flexibilisierungsprojekt mit Renault in Frankreich. Dabei werden die neuen R5 E-Tech und 11-kW-AC-Lader eingesetzt. Die ersten Nutzer verdienen mit dem BiDi-Laden 600 Euro pro Jahr; Jahresfahrleistungen unter 10.000 km werden dadurch quasi kostenlos.
Auch Robin Berg vom niederländischen E-Mobilitätsunternehmen We Drive Solar weiß Positives zu berichten: Bergs Unternehmen beschäftigt sich seit 2014 mit dem wechselseitigen Laden, hat u.a. Erfahrungen hierzu mit Nissan Leaf, Renault ZOE, Ioniq 5, und betreibt eigene Ladesäulen. Jetzt arbeitet die Firma mit dem Carsharing-Dienst MyWheels zusammen; gemeinsam will man 5.000 Renault R5 E-Tech auf die Straßen und ans Netz bringen. Die ersten 50 sind jetzt in Utrecht verfügbar, auch, weil die Großstadt riesige Stromüberschüsse hat, die zu Blackouts führen können. Bei den Mietfahrzeugen handelt es sich um ein stationsbasiertes/fixed-carsharing, d.h. die Fahrzeuge müssen nach der Nutzung wieder an eine We Drive Solar-Ladesäule angeschlossen werden.
Persönlich-praktische Nutzer-Erfahrung mit dem bidirektionalen Laden hat Markus Hackmann, Manager bei der Unternehmensberatungs- und Softwareentwicklungsfirma P3 Group. Er hat sein Haus in Osnabrück mit einem Vehicle-to-Home-System (V2H) ausgerüstet, quasi einer Vorstufe bidirektionalen Ladens zu V2G, bei der das Auto ggf. das Haus mit Strom versorgen kann. Fahrzeugseits kommt dabei ein VW ID5 mit 77-kWh-Akku zum Einsatz; das Haus verfügt über eine PV-Anlage und einen Batteriespeicher; die beidseitige Energieübertragung übernimmt eine 11-kW-DC-Wallbox von E3/DC. Der Systemaufwand für den V2H-Pionier ist zwar nicht gering, wird aber mit zwei weiteren Monaten 100-prozentiger Energieautarkie in den Übergangszeiten belohnt.
Während Carsharing-Dienste wie MyWheels (s.o.) ihre Kunden vertraglich zum Abstellen und Anstecken bei einer Ladesäule verpflichten können, haben Hausstrom-Anbieter diese Möglichkeit nicht, obgleich es insbesondere für die Anbieter von dynamischen Tarifen interessant wäre. Wie also bekommt man Kunden dazu, ihre E-Autos regelmäßig mit der (heimischen) Wallbox und damit mit dem Energieanbieter zu verbinden? Hier sind sich letztlich alle vertretenen Dynamik-Anbieter einig: Einfaches Handling, uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des eigenen Fahrzeugs und gute Einnahmen für die Kunden seien der Schlüssel zum Erfolg.
Wissenschaftler und andere Fachvertreter nahmen auf der Konferenz mehr die regulatorischen und technischen Interdependenzen des Gesamtsystems in den Blick. So zeigte Dr.-Ing. Patrick Vollmuth, zuständig für Intelligente Elektromobilität bei der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. (FfE) in München, die Vielfalt der V2G-Forschungsprojekte der letzten Jahre, deren verschiedene Ergebnisse – V2G ist hinsichtlich des Ein-und-Ausspeicherns deutlich effizienter als V2H –, die Probleme bei der Findung gemeinsamer europäischer Standardisierungen und der laufenden Forschungen. In der Tat hat ja die FfE eine zentrale Rolle für das Projekt „BDL Next – Bidirektionales Lademanagement der nächsten Generation im massenfähigen Realbetrieb“, das bis Oktober 2026 läuft.
Hinsichtlich der Regulatorik und des Ausrollens des Smart Metering werden wir in diesem und nächsten Jahr interessante Entwicklungen sehen. Was die technische Entwicklung hinsichtlich neuer BiDi-Wallboxen und Home Energy Management Systeme (HEMS) angeht, so werden wir schon kommende Woche auf der The Smarter E in München einiges Neues erfahren.