Strategische Überlegungen von Andreas Horn

[Bild: Andreas Horn]
In einem langjährigen Streit durch die Gerichtsinstanzen um den Netzanschluss für ein größeres Mieterstromprojekt hat zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Die Leitungen der Mieterstromanlage sind nicht als „Kundenanlagen“ an das „Verteilernetz“ anzuschließen. Eine Kundenanlage sei nur dann gegeben, wenn sie kein Verteilernetz im Sinn von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie darstellt. Die kürzlich veröffentlichte Urteilsbegründung des BGH schafft jedoch keine Klarheit. Der Rechtsanwalt Peter Nümann kritisiert, dass „der Bundesgerichtshof sich bei der Auslegung des entsprechenden Gesetzes selbst ermächtigt, dieses in Teilen für unanwendbar zu erklären, die von der EU-Richtlinie gar nicht vorgegeben sind.“ Konsequent fordert er, „Richtigerweise müsste man also die Entscheidung des BGH in ihrer Argumentation weitgehend ignorieren. Die Rechtsunsicherheit, die dadurch entsteht, ist unerträglich. Auf ein Eingreifen des Gesetzgebers kann man nur hoffen.“ Wie dem auch sei: im ohnehin komplexen Mieterstromsegment sind die klassischen Umsetzungskonzepte des „geförderten Mieterstrom nach EEG“ und die „gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV)“ durch das Urteil behindert. Zeit, die Umsetzungs-Strategien für Photovoltaik auf Mehrparteienhäusern neu zu überdenken.
Alternative Umsetzungskonzepte für Mieterstrom
Für Mieterstrom im weitesten Sinne gibt es einen prall gefüllten und hochdifferenzierten „Werkzeugkasten“.
Bei „Mieterstrom im weitesten Sinne“ geht es schlicht darum, Strom aus einer oder mehreren Erzeugungsanlagen – also aus PV-Anlagen oder Blockheizkraftwerken – Strom-Endverbrauchern im Gebäude oder in unmittelbarer räumlicher Nähe zukommen zu lassen. Gesucht wird für das jeweilige Objekt ein Geschäftsmodell, das einerseits die Investition in die Erzeugungsanlagen ermöglicht, und gleichzeitig den Nutzern einen finanziellen Vorteil durch reduzierte Stromkosten verspricht. In den letzten 15 Jahren wurden eine Vielzahl unterschiedlichster Lösungen erdacht und umgesetzt. Für Kunden und Anwender, die z. B. als Gebäudeeigentümer neu mit Mieterstrom konfrontiert sind, wirkt die Vielfalt der Möglichkeiten manchmal abschreckend: durch die zahlreichen Optionen sind viele Entscheidungen möglich, was Mieterstrom „komplex“ erscheinen lässt. Allerdings bieten die vielen Umsetzungsmöglichkeiten auch die Chance, für das Objekt und die beteiligten Parteien eine Lösung zu finden, die bestmöglich zu den vorhandenen Rahmenbedingungen und den individuellen Wünschen passt.
Grundsatzentscheidungen für Mieterstromprojekte
Gebäudeeigentümer – auch z. B. Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) – müssen zunächst entscheiden, welche „Rollen“ im Rahmen eines Mieterstromprojekts selber übernommen werden sollen, bzw. welche Rollen delegiert werden. Der Gebäudeeigentümer kann selber die PV-Anlage errichten, oder das Dach einem Dritten überlassen. In weiterer Folge kann der Gebäudeeigentümer – falls er die Anlage selber errichtet – auch entscheiden, ob er die Anlage betreiben und ob er den Strom selber an die Nutzer bringen will, und ob und wie die Abrechnung erfolgen soll. Alle Rollen kann er abtreten, zahlreiche Mieterstrom-Dienstleister bieten Lösungen von Full-Service – beispielsweise Contracting – bis zu einzelnen Aufgaben wie z. B. Software für die Mieterstromabrechnung an.
Wichtig ist auch die Frage, ob der Strom letztlich an die Nutzer „verkauft“ wird, oder ob die Kosten hierfür „umgelegt“ werden, oder ob der Strom gar nur mengenmäßig „verteilt“ wird. Die DGS-Franken hat zahlreiche Musterverträge erarbeitet, die z. B. als „Miete Energie inklusive“ die Betriebskosten inklusive des verbrauchten Stroms in der Inklusivmiete enthalten und somit keine Stromabrechnung erforderlich machen.
Hardware-Varianten für Mieterstrom
Genauso, wie die Rollen und Verträge in Mieterstromprojekten gestaltet werden sollen, gibt es auch hinsichtlich der technischen Ausführung unterschiedlichste Möglichkeiten. Vor allem zeigt sich dies beim Messkonzept: die Messkonzepte D1 bis D5 für „klassische“ Mieterstrommodelle haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile. Beispielsweise wird beim Messkonzept D3 mit physikalischem Summenzähler der physikalische Direktverbrauch von PV-Strom der drittversorgten Haushalte ggf. dem Direktverbrauch der Mieterstromkunden zugerechnet. Dem gegenüber hat das Messkonzept D4 den Vorteil, dass den Verbrauchern der genaue Anteil an PV- und Netzstrom mit unterschiedlichen Tarifen in Rechnung gestellt werden kann. Die Messkonzepte D4 und D5 „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ erfordern jedoch SmartMeter für alle Zähler, was teilweise die Netz- und Messstellenbetreiber aktuell überfordert – und somit die Umsetzung behindert. All den Modellen gleich ist jedoch, dass die PV-Anlage in der Regel als große Anlageneinheiten auf den jeweiligen Dächern geplant werden können.
Unkonventionelle Hardware-Varianten für Mieterstrom
Schon seit langem wurden Mieterstromprojekte im „Guerilla-Stil“ umgesetzt, indem die optisch einheitliche PV-Anlage auf dem Dach auf der Wechselrichterseite real geteilt wurde. Ob man die daraus entstehenden rechtlich und technisch eigenständigen (Klein-) Anlagen dann noch als „Mieterstromanlagen“ bezeichnen kann, sei mal dahingestellt. Der Zweck wird jedoch erfüllt: das Dach kann mit PV „vollgemacht“ werden, und der Strom kommt einer Vielzahl von Endverbrauchern im Gebäude zugute. Dazu wird je ein Wechselrichter je Wohnungs-Stromzähler verwendet, auf den einige der Module vom Dach zugeordnet werden. Das sorgt zwar für einen höheren Aufwand bei Verkabelung und Wechselrichtern, spart dafür aber Aufwand für die Abrechnung. Das Modell wurde unter dem Namen „Mikro-Mieterstrom“ bereits 2018 im Rahmen einer Bachelorarbeit beschrieben. Die kleinen PV-Untereinheiten werden z.B. als Miet-Sachbestandteil in Wohnungs-Mietverträgen eingeschlossen, oder durch Pacht der genutzten Dachflächenanteile refinanziert. Ebenfalls trickreich ist eine Variante, in der PV-Anlagenanteile bis 2 kWp Modulleistung bzw. 800 VA Einspeiseleistung pro Wohneinheit als Steckersolargeräte nach §8 Abs. 5a an die Wohnungen angeschlossen werden. Da der überschüssige PV-Strom von Steckersolargeräten üblicherweise nicht vergütet werden soll, um die Vorteile der unbürokratischen Inbetriebnahme voll ausschöpfen zu können, macht diese Variante vor allem in Verbindung mit kleinen Stromspeichern Sinn. Ein Pilotprojekt dieser Art wurde vom Balkonsolar-Pionier Holger Laudeley in Hamburg realisiert.
Eine besonders pfiffige Lösung mittels „Zählerumschaltung“ hat die Düsseldorfer Firma WEESS mit deren PowerTower realisiert. Die Zählerumschaltung funktioniert sinnvoll nur mit einer Kombination von PV-Anlage und Batteriespeicher zum Ausgleich zwischen Erzeugungs- und Verbraucherleistung. Letztlich werden hier die Verbraucherhaushalte per „Umschalt-Relais“ zwischen der Netz-Stromschiene und einer „PV-Stromschiene“ umgeschaltet: sobald PV-Anlage samt Batteriespeicher genug Strom liefern können, werden die Verbraucherhaushalte auf die PV-Schiene umgeschaltet und nutzen PV-Direktstrom, ggf. ergänzt durch PV-Strom aus dem Stromspeicher. Wenn nicht mehr genug PV-Strom vorhanden ist, werden die Verbraucher auf die Netz-Stromschiene zurückgeschaltet. Sofern die Umschaltung schnell genug ist, merkt der Verbraucher davon nichts. Vorteil: der Kunde bleibt – wie bei GGV – bei seinem (Rest-) Stromlieferanten und bekommt zusätzlich eine Teil- bzw. Ergänzungslieferung von PV-Strom zu günstigeren Konditionen. Der Abrechnungsaufwand für den PV-Strom ist minimal, ggf. kann dieser sogar entfallen, wenn der PV-Anteil gerecht zwischen den Nutzern aufgeteilt wird. Die Hardware-Kosten für die Zählerumschaltung sind oft günstiger als die laufenden Kosten für „echten“ Mieterstrom. Manchmal wird eingewendet, dass es riskant sei, eine proprietäre Lösung eines noch jungen StartUps anzuwenden. Grundsätzlich ist eine Zählerumschaltung auch ingenieursmäßig mit Standard-Elektrokomponenten realisierbar, so dass dieses Risiko begrenzt ist.
Das Konzept der „Zählerumschaltung“ erinnert vordergründig an eine andere Hardware-Variante, die als sog. private Netzkopplung von Pionierkraft vorgeschlagen wird. Technisch unterscheiden sich die beiden Varianten allerdings sehr stark. Auch hier wird jedenfalls der bürokratische Aufwand durch eine Hardwarelösung reduziert.
Fazit
Mieterstrom kommt seit Jahren nicht schnell genug voran. Die rechtliche und wirtschaftliche Komplexität erscheint vielen Interessenten wohl zu hoch. SmartMeter-Rollout, fehlende Marktkommunikation und nun das BGH-Urteil zu Kundenanlagen behindern die klassischen Mieterstrommodelle – die trotzdem eine wichtige (!) Bedeutung haben. Mit Hardware-Lösungen können PV-Anlagen auf geeigneten Mehrparteienhäusern im Guerilla-Stil – mit stark reduziertem bürokratischen Aufwand in vielen Fällen schnell und einfach umgesetzt werden. Die vielfältigen Werkzeuge für die Umsetzung von „Mieterstrom“-PV-Anlagen in Mehrparteienhäusern sollten dahingehend zielgenauer ausgewählt und mutig angewendet werden.