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Roland Neuner

Wer zu spät kommt. Oder: EVU, Mantras und Nebelkerzen

Ein Gastbeitrag als Denkanstoß von Roland Neuner

Wärmepumpe für Kaltes Nahwärmenetz eines Pionier-Versorgers in Unterfranken. [Foto: Wraneschitz]

Stadt- und Gemeindewerke wie auch große regionale Versorger haben von ihren Bürger:innen und Kommunen den Auftrag, die Menschen in ihrer Kommune oder Region mit Strom, Gas, Wasser sowie anderen öffentlichen Diensten sicher, zuverlässig, bezahlbar und in ausreichendem Umfang zu versorgen.
Mit dem zunehmenden Klimawandel, den diversen Umweltkatastrophen und deren höherer Eintrittswahrscheinlichkeit sind solche Unternehmen seit geraumer Zeit ebenfalls aufgefordert, die Energieerzeugung und -versorgung umweltfreundlich, am besten sogar „klimaneutral“ zu gestalten. Die Treibhausgasemissionen (THGE) sind heute viel zu hoch.

Einige vorbildliche Stadtwerke, zumeist in ländlichen Gebieten, haben deshalb schon vor 30 Jahren Richtungsentscheidungen für sich getroffen. Sie haben engagiert die Abkehr von der Nutzung fossiler Energieträger, vor allem von Erdgas, Öl und Steinkohle, aber auch von Kernkraft beschlossen und umgesetzt. Sie haben sich frühzeitig in den Dienst Ihrer Bürger:innen, Kommunen und der Umwelt gestellt. Mein voller Respekt ist diesen Pionieren sicher. Denn die Aufgabe, die regenerativen Energietechnologien in bestehende Energieversorgungs-Strukturen zu integrieren oder an Stelle dieser zu nutzen, erfordert viel Kreativität und Ingenieurwissen.

Die Nachfolger-Stadtwerke konnten auf den ersten Erfahrungen der „First Mover“ aufbauen. Die sukzessive Transformation mit Einbindung regenerativer Energien, Nahwärmenetzen, Wärmepumpen etc. konnte deshalb risikominimiert erfolgen.

So geht z.B. ein kommunales Stadtwerk in Mittelhessen mit dem Slogan: „Die Zukunft ist elektrisch“ pro-aktiv mit der eigenen, neuen Vision um und zeigt der Bevölkerung vor Ort, worauf sich diese auch wärmeversorgungstechnisch in Zukunft einstellen muss.
Erste Leuchtturmprojekte mit Pilotcharakter, wie das realisierte moderne Kalt-Nahwärmenetz in einem Neubau-Wohngebiet am Ortsrand werden flankiert von neuen Energiedienst-leistungen, dem Endkunden-Wärmepumpenvertrieb, dem Aufbau der Ladeinfrastruktur und anderen innovativen, zeitgemäßen Angeboten.

Wieder andere stellen neben dem Angebot diverser moderner Energiedienstleistungen in ihrem Kernsegment, der Wärmeerzeugung, erst in 2025 ihre alten, immer noch aktiven Steinkohlekraftwerke endlich auf Gasverbrennung um. Und trotzdem nennen sie das „vorbildlich“.
Wohlgemerkt: es gibt unterschiedliche Schwierigkeitsgrade in der Transformation. So ist die Umstellung auf umweltfreundliche Strukturen im ländlichen Raum physisch einfacher zu realisieren als in dicht besiedelten Metropolen. Aber eines ist für Metropolregionen auch klar: wir schreiben das Jahr 2025 und nicht das Jahr 1995.

Zu lange galt das „Weiter so wie bisher“.

Um aus der Sackgasse der fossilen Wärmeversorgung herauszukommen, geraten jene Spätberufenen immer stärker unter öffentlichen und regulatorischen Druck.

Konkrete Initiativen für mehr Klimaschutz müssen auch viele kleinere, kommunale Stadt- und Gemeindewerke an den Tag legen, die bislang die Priorität auf das Gas-Wärmenetz gelegt hatten. Deshalb müssen sie unter Umständen ohne das zweite wichtige Standbein leben: die Stromversorgung der Kommune mit eigenem Netz.

Aufgrund der um sich greifenden Regulatorik kommen nun auf diese Kategorie der kleineren und mittleren Kommunalwerke starke Veränderungen zu. Neue, lukrative Geschäftsmodelle sind gefragt, wie beispielsweise Nahwärmenetze, Gründung eines eigenen Strombilanzkreises oder diverse Contracting-Ansätze mit Photovoltaik, Batteriespeichersystemen und Wärmepumpen für End- und Geschäftskunden.

Das erfordert signifikante Investitionen in neues Know-How über Vollzeitkräfte (Personal FTEs) und/oder Sach-/Projektierungsleistungen mit steiler Erfahrungskurve. Der Return on Investment kann länger dauern als erwartet. Aber es ist die Zukunft.

Im Übrigen sind dezentrale Wärmepumpen oder solche in effizienten Nahwärmenetzen die größte Konkurrenz zu den vielerorts gebetsmühlenartig gepriesenen, vermeintlich umweltverträglichen Fernwärmenetzen speziell in großen, eng bebauten Ballungsgebieten.

Mit modernen, zertifizierten unterirdisch platzierten Containern lassen sich dezentrale Wärmepumpen, Trafos, Speichersysteme und ähnliches auch in dicht besiedelten Wohnquartieren lärmneutral einbauen. Die pauschalen Gegenargumente der Fernwärmelobby, meist mit Bezug auf hohe Geräusch-Emissionen von Wärmepumpen in Wohnarealen, stechen nur selten; eher scheint hier das Festhalten oder der unbedingte, wenig technologieoffene, Wunsch nach Ausbau gasbasierter Wärmenetze das Motiv zu sein.

„Die Reserven des Energieträgers Erdgas (u.a. aus Russland) sind groß. Erdgas kann deshalb noch 200 bis 300 Jahre genutzt werden“. So war die Meinung großer regionaler Versorger Ende 2020 und ist es oft auch heute noch. Konsequenterweise förderten einige große Regionalversorger pro-aktiv bis vor kurzem noch die Heizungs-Umstellung auf die vermeintlich umweltfreundliche Gasbrennwerttechnik.

Was für eine Ironie und Fehleinschätzung, wenn man die Klimabilanz sowie die geopolitischen Verwerfungen der Gasförderung, des Gastransportes und der Gasverbrennung für Heizzwecke betrachtet.
Die Hoffnung auf den erlösenden grünen Wasserstoff – das künftig wohl stark genutzte Speichermedium für Wind- und Sonnenenergie -, von vielen ebenfalls zum Verbrennen für Heizzwecke auserkoren, wird laut breiter Übereinkunft und Erkenntnis von Fachleuten der Thermodynamik wohl unerfüllt bleiben: zu teuer und zu komplex. Zumal die hohen Zusatz-Investitionen in den für die Wasserstoffherstellung notwendigen nochmals gesteigerten Ausbau von Offsite-Photovoltaik und Offshore-Windanlagen dann nicht die hoffenden Fernwärmenetzbetreiber übernehmen müssten, sondern noch zu benennende Dritte. Wieder wackelt der Schwanz mit dem Hund.

Umweltproblem (Erd-)Gas

Der Gas-Schock vom Frühjahr 2022 sitzt allen noch in den Knochen. Und zwar nicht etwa, weil es sich beim Energieträger Erdgas (wie bei Öl und Steinkohle) nach dessen Förderung, Transport sowie während und nach dem Verbrennungsprozess um eine umweltschädliche Energiekategorie handelt. Sondern weil die sogenannte Versorgungssicherheit auf einmal und für viele sichtbar sehr plötzlich und unerwartet gefährdet schien.

Einerseits gab es schon lange Stimmen, die vor allzu einseitigen Abhängigkeiten und den Möglichkeiten politischer Erpressung eindringlich warnten. Andererseits predigten die Vertreter der fossilen Versorgungsinstitutionen, speziell solche, die neben dem Handel mit Erdgas auch die dazugehörigen Gasnetze betreiben, die multiple Vorteilhaftigkeit dieses Energieträgers. Das Mantra lautet, nimmt man die Begriffe so wie sie sind, seit Jahrzehnten:

  1. Versorgungssicherheit,
  2. Technologieoffenheit,
  3. Bezahlbarkeit und
  4. Nachhaltigkeit.

Dieser Begriffskanon verfängt bei Bürgern und Politikern immer, weil er an sich richtig ist. Das gilt aber nur dann, wenn die Deutungshoheit nicht implizit auf die Ökonomie reduziert wird:

  1. ohne allzeit verfügbare fossile Energieträger, vorzugsweise Erdgas, sei die Wärme-Versorgung allzu unsicher;
  2. ohne den Fokus auf Erdgas oder Müllverbrennung bestünde eine eingeschränkte Netznutzung; Innerstädtische Fernwärmenetze dürften doch bitte nicht ideologisch oder aus Umweltgründen ausgegrenzt werden;
  3. ohne billiges Gas aus fernen Ländern über Pipelines würde die Wärmeversorgung unbezahlbar und der Energiepreis für die Versorger unkalkulierbar hoch;
  4. das Element Gas sei umweltfreundlicher bei der Verbrennung für Heizzwecke als Steinkohle und sei ja sowieso an sich nachhaltig. Im Übrigen würde sich Nachhaltigkeit vorrangig als eine solche definieren, die die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Stabilität und Balance des Versorgungsapparates garantiere.

Neuerdings werden die obigen Begriffe ergänzt um Schlagworte wie

  • nachhaltiges Ökosystem,
  • flexibles Fernwärmenetz,
  • sukzessive Dekarbonisierung.

In Kürze dürfte vermutlich der Begriff „Strahlkraft“ eine ungeahnte Renaissance erlangen.

Das Festhalten an alten Gewohnheiten gefährdet die Versorgung

Leider hat sich erwiesen, dass gerade das Festhalten an fossilen Energieträgern und Brennstoffen die vier ehrenwerten Ansprüche nach Versorgungssicherheit, Technologieoffenheit, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit gefährdet.

Mit dem Fokus auf Erdgas für Heizzwecke gibt es spätestens seit 2022 keine Versorgungssicherheit. Bezahlbar bleibt der Energieträger und die entsprechende Fernwärmenetzstruktur nur mit staatlichen Eingriffen und Subventionen, nicht nur im Krisenfalle.
Die Umweltbelastungen bleiben unverändert hoch und verschärfen sich weiter, weil die Treibhausgas-Emissionen nur marginal geringer ausfallen als beim Verbrennen von Steinkohle.

Vorbei also die Zeiten mit wenig Klimaveränderungen, kaum spürbaren Umweltzerstörungen, normalen Jahreszeittemperaturen, grenzenlosem Wirtschaftswachstum, ungehemmtem Energieeinsatz etc. Ein klima- und umweltbezogenes Zurück in die unbewusste Zeit vor 1972 wird es nicht geben.

Die Nebelkerze „Fortschritt in der De-Karbonisierung“ mit Fernwärmenetzausbau kann in die Irre führen. Kritische Zeitgenossen bezeichnen Fernwärmenetze inzwischen als die letzte Bastion des fossilen Regimes bzw. als fossile Dinosaurier.

Im Stromsektor ist der Übergang von der Steinzeit ins Solar-/Windzeitalter voll im Gange. Die regenerative Stromerzeugung basiert dabei auf einem Mix aus zentralen Wind- und Solarparks sowie vielen Millionen dezentraler, umweltfreundlicher PV- und Windanlagen.

Warum also sollte dieser Mix im Wärmesektor nicht möglich sein?

  1. dezentral muss Vorrang haben vor zentral,
  2. strombasiert in der Sektorenkopplung ist besser als die Verlängerung von Verbrennungsprozessen,
  3. Nahwärmenetze (vor allem kalte) müssen Vorrang haben vor Fernwärmestrukturen, die auf Müllverbrennungsanlagen, gasgeführten Heizkraftwerken und zweifelhaften Biomüllkraftwerken basieren.

Selbst die beherzte Umstellung auf regenerative Energien, Batteriespeicher, auf Geothermie, Wärmepumpen, solar-thermische Parabolrinnen-Kraftwerke, Sektorenkopplung, Nahwärmenetze und dezentrale Strukturen können die Fehlentwicklungen des zu Ende gehenden Stein- und Gaszeitalters nur abschwächen, aber nicht umkehren.

Stattdessen bieten sich viele neu zu erschließende Geschäftsfelder an. Die Investitionen in die vorhandenen regenerativen Technologien und die neuen Speicher-Medien, in neue Prozesse und dezentrale Strukturen sind immens und kommen so oder so auf die Volkswirtschaften zu. Das Festhalten an fossilen Energieträgern des letzten Jahrhunderts, an den daran gebundenen Technologien und den Durchleitungs-/Übertragungsnetzen ist teurer und umweltpolitischer Raubbau.

Die Energiezukunft muss eine andere sein

Deshalb muss die neue, in die Zukunft gerichtete Losung lauten:

  1. Versorgungssicherheit durch maximalen Ausbau der Regenerativen (Sonne und Wind) mit Speichern, Verteilnetzen und dezentralen Wärmepumpen. Nutzung der (erdnahen) Geothermie und von Abwärme, sowie Ausbau von Nahwärmenetzen mit Sole-Wasserwärmepumpen.
  2. Die Energie, die nicht nur die höchste Rendite für Versorger garantiert, ist ist Strom aus Sonne und Wind und dessen Einsatz von (kalten) Nahwärmenetzen. Zumindest überall dort, wo es umsetzbar ist.
  3. Technologieoffene Entwicklung vor allem bei Batteriespeichersystemen, Langzeitspeichern, Netzintelligenz, beim bi-direktionalen Laden von E-Autos und aller Systeme, die die dezentralen Strukturen nach vorne bringen.
  4. Nachhaltigkeit muss betrachtet werden über die gesamte Prozesskette, nicht nur – wie heute noch üblich – im Brennraum und bei der Abgasreinigung. Also: Forschung und Entwicklung bei PV, alternativen Batteriespeicherkonzepten, neuen Materialkombinationen, Recycling und Eigenproduktion. Und zwar ohne lange Transportwege überall dort, wo es möglich und sinnvoll ist, also vor allem bei Komponenten der Systemintegration, in der Sektorenkopplung und für Nahwärmenetze.

Es geht zukünftig mehr denn je um Begriffshoheit, das Ausblasen von Nebelkerzen und um Glaubwürdigkeit in der Sache.
Klar, bei Energiegenossenschaften, wie sie seit etwa 2010 in vielen Regionen entstanden sind, ist Transparenz und Mitbestimmung in der Genetik veranlagt.
In großen Versorgungsgebieten, in Metropolen, gelten die sogenannten „Schläfer“ und die vielen, weniger an Energiefragen Interessierten, als die besten Kunden der Stadtwerke.
Mehr Transparenz und Mitspracherechte bei der Wahl der Mittel zur Wärmeerzeugung wäre auch für die vielen anhängig Wohnenden, die Mieter und Mieterinnen, ein Fortschritt.

Lokale und regionale Energieversorgung darf keine Sache geschickter PR- und Marketingpolitik mit mehrdeutigen Begriffen mehr sein: Es braucht stattdessen eine strategische ökologische Grundposition, wenn es um das Kerngeschäft und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit geht.

Zum Autor:

Roland Neuner ist langjähriges DGS Mitglied, Dipl.-Ökonom, Elektromaschinenbauer und seit 2024 Unternehmensberater („sun2power“).