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Götz Warnke

Wärmepotentiale aus Wasserkraft

Ein Bericht von Götz Warnke

Dabei liegen sie vielfach in Bevölkerungszentren und könnten gut zur Wärmegewinnung eingesetzt werden.
[Foto: Götz Warnke]

Die Wärmewende ist der wichtigste und zugleich schwierigste Baustein der deutschen Energiewende. Während Stromwende auf einem guten Weg ist – der sich durchaus noch beschleunigen ließe – und die Verkehrswende langsam Fahrt aufnimmt, zudem auch als am leichtesten zu dekarbonisierender Sektor gilt, hängt die energetische Wende bei der Wärme immer noch fest. Sieht man einmal von der Hochtemperatur-Wärme in der Industrie ab, die fast ausschließlich – je heißer, desto mehr – aus fossilen Quellen kommt, so ist auch die Bereitstellung von Niedertemperaturwärme in Siedlungsgebieten als Heizung und Warmwasser vorwiegend in fossiler Hand: der Anteil erneuerbarer Wärme liegt hier bei nur rund 13 Prozent, speziell in den für die Bevölkerungszentren wichtigen Nah- und Fernwärmenetzen bei nur ca. 17 Prozent. Dabei liegt gerade bei der Niedertemperaturwärme (< 100°C) sowohl im Siedlungsbereich als auch in Industrie- und Gewerbebereich der weitaus größte Wärmebedarf vor.

Zudem sind die erneuerbaren Wärme-Quellen und -Erntetechniken insbesondere in der Fernwärme überschaubar:

Biomasse in gasförmiger (Biogas), flüssiger (Pflanzenöle) oder fester (Holz, regenerativer Anfall-Anteil) Form macht mit rund 85% der Endenergie heute den größten Teil der erneuerbaren Wärme aus. Allerdings ist diese Energieform in ihren weiteren Ausbaupotentialen wegen des hohen Flächenbedarfs und der Teller-oder-Tank-Problematik begrenzt.

Geothermie hat noch ein erhebliches Potential und ist – 24/7 – grundlastfähig. Allerdings ist die Fündigkeitsoption unsicher, die Bohrungen teuer und langwierig, der Verbrauch an Pumpenstrom nicht unerheblich.

Solarthermie trägt gerade einmal rund 5% bei, ist aber deutlich ausbaufähig. Denn anders als im Bestand der Einfamilienhäuser, wo die Dächer schon mit PV belegt sind und die Möglichkeit zum Einbau großer, saisonaler Wärmespeicher fehlt, gibt es bei großen Freiflächenanlagen mit den entsprechenden saisonalen Speichern durchaus größeres Zubau-Potential.

Darüber hinaus bleibt noch die strombasierte Fernwärmeversorgung in Form von Elektroheizkesseln wie die Hamburger „Karoline“, die sich allerdings wegen ihres hohen Stromverbrauchs nur für den Betrieb mit Überschuss-Strom eignen, und die Großwärmepumpen wie derzeit in Esbjerg oder künftig in Flensburg und Kiel. Allerdings benötigen solche Großwärmepumpen als Entzugsstoff Wasser wegen dessen höherer Wärmekapazität. Und leider liegen nur die wenigsten größeren Städte Deutschlands am Meer. Gibt es eine Lösung?

Dieses Problems haben sich die Ingenieure Christian Seidel und Dr. Lars Ostermann von der TU Braunschweig angenommen und dazu eine 143seitige Studie unter dem Titel „Grüne Nah- und Fernwärme aus Fließgewässern – Untersuchung für die 80 Großstädte in Deutschland“ als Ergebnis eines Forschungsprojekts veröffentlicht. Dass die Wasserkraft in Deutschland noch ein erhebliches, ungenutztes Potential bietet, haben letztes Jahr Hans-Josef Fell, Heinrich Strößenreuther u.a. in einer Studie gezeigt. Dieses Potential brechen Seidel und Ostermann jetzt quasi unter dem Begriff „Aquathermie“ auf die Wärmeversorgung herunter. Denn Wasserkraftanlagen liegen meist mitten in städtischen Siedlungsgebieten, die traditionell immer an Flüssen errichtet wurden. Sie haben die Möglichkeiten sowie das Recht zur Wassernutzung und verfügen über Technik in Form von Rechen und Fischaufstiegshilfen sowie die Energie für Pumpen, so dass sie ein guter Ausgangspunkt für Nah- und Fernwärmenetze sind. Das gleiche gilt auch für die Reaktivierung von Altanlagen sowie den Neubau Wasserkraftnutzungen.

Zur Potentialermittlung analysieren die Autoren die Bevölkerungsverteilung der Bundesrepublik nicht nur nach Gemeindegrößen, sondern auch nach Regionen; anschließend gliedern sie den deutschen Endenergiebedarf nach Temperaturhöhen, Wärmemengen und Wärmequellen, wobei sie auch geographische und finanzielle Aspekte ausführen. Als nächstes folgt die geographische Verteilung der Fließgewässer, ihre Einzugsgebiete und die sie speisenden Niederschläge, um dann die Wassertemperaturen nach den verschiedenen Flussgebieten aufzuschlüsseln. Nach Aufführung der Berechnungsgrundlagen für die Fließgewässer-Wärme erfolgt deren Berechnung, die Anwendung auf die Fließgewässer-Wärmepotentiale für 80 deutsche Großstädte, und zum Abschluss „Wärmegewinnung aus Wasserkraftanlagen in den 80 Großstädten“

Die Ergebnisse sind eindrucksvoll, sowohl hinsichtlich der dabei zu Tage tretenden Dimensionen als auch der sich daraus ergebenden Optionen:
Die Gesamtlänge der deutschen Fließgewässer beträgt 400.000 km, davon 142.000 km mit einem größeren Wassereinzugsgebiet > 10 km². Diese Wasserläufe ergeben eine Gesamt-Wasserfläche von 3.606 km2 – die Wasserfläche von Stehgewässern (Seen etc.) von 4.214 km2 nicht mit einberechnet. Hieraus ergießt sich ein Abfluss in Nord- und Ostsee von 185 Milliarden m³/Jahr (Regeneration des Systems). Insofern ist ein Wärmeentzug von 2 Kelvin (K) nicht nur möglich, sondern erscheint angesichts der steigenden Wassertemperaturen der letzten Jahrzehnte sogar geboten. Das würde ein Wärmepotential von über 860 TWh/a erschließen und könnte damit über 90 Prozent des Niedertemperatur-Wärmebedarfs in Deutschland decken.

Sieht man sich nun die 80 deutschen Großstädte vom Berlin (3.677.472 Einwohner) bis Gütersloh (101.158 Einwohner) an, so kann man feststellen, dass die meisten davon ihren Niedertemperatur-Wärmebedarfs ganz oder sogar mehrfach aus den bei ihnen anliegenden Fließgewässern decken können. Schlusslicht ist dagegen Moers mit einem möglichen Anteil von nur 10 Prozent.

Bei der Suche nach den Wasserkraftpotentialen in Großstädten stellt sich heraus, dass nur 21 von den 80 Städten keine aktive Wasserkraftanlage haben, die man in ein Wärmenetz einbeziehen könnte. Doch auch bei diesen Städten ließen sich durch die Reaktivierung von Altstandorten und/oder den Neubau von Wasserkraftanlagen Wärmepotentiale erschließen.

Zeit für ein Fazit;

Was beeindruckt? Die wissenschaftliche Tiefe, die Originalität, Präzision, der Faktenreichtum und die Vielfalt der Perspektiven, mit der sich diese Studie des Themas angenommen hat.

Was fehlt? Wie bei der Windthermie/Aerothermie könnte man auch bei der Aquathermie die Wärmepumpe direkt mechanisch ohne den verlustbehafteten Umweg über den Stromerzeugungspfad antrieben. Auch wenn das ein eigenes Forschungsprojekt sein mag, so fehlt hier zumindest ein Hinweis auf diese Option.

Was bleibt? Die Verantwortung von Politik und Gesellschaft, die hier aufgeführten Potentiale ernst zu nehmen, und unter Einbeziehung aller anderen Optionen („all in“) die Wärmewende endlich beschleunigt umzusetzen.