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Heinz Wraneschitz

Stromnetzausbau: Für die Energiewende – oder was?

Eine nicht nur lokale Momentaufnahme von Heinz Wraneschitz

Ein Mast der „alten“ Juraleitung. [Foto: Heinz Wraneschitz bildtext.de]

Dach- und Balkonsolaranlagen geben ihren Sonnenstrom an die unterste Ebene der Stromversorgung hierzulande ab, ans Niederspannungsnetz mit 400 beziehungsweise 230 Volt (V). Windkraftanlagen oder Freiflächen-Solarkraftwerke hängen normalerweise am der so genannten Mittelspannung, also den Verteilnetzen auf den Spannungsebenen 10, 20 oder 110 Kilovolt (kV). Die vielen Strom-Verteilnetzbetreiber (VNB) Deutschlands, genau sind es aktuell 866, kommen oft nur schwer hinterher mit dem notwendigen Netzumbau, um den Strom aus der stark wachsenden Zahl von Solar- und Windkraftwerken aufnehmen zu können.

Auch mit der Weiterleitung des Ökostroms an die Höchstspannungsebenen – 220 oder 380 kV Drehstrom – oder gar ins im Werden begriffene Höchstspannungs-Gleichstromnetz (HGÜ) ist es nicht zum Besten bestellt. Mit dem Errichtung von so genannten „Netzdienlichen Speichern“ will beispielsweise die VNB-Tochter des fränkischen Energiekonzerns N-ERGIE dafür sorgen, weniger überschüssigen Wind- und Solarstrom abregeln zu müssen. Denn laut N-Ergie-Netz-Mitarbeitenden reichen die Kapazitäten einiger der so genannten Netzkoppler, also der Verbindungspunkte zum Übertragungsnetz, oft nicht aus, um die hohen Strommengen zu übertragen.

Die so genannte Juraleitung vom Südosten Niederbayerns in den Nordwesten Mittelfrankens ist Teil dieses Übertragungsnetzes, das Wind- und Solarstrommengen aufnehmen können soll. Seit 2012 wird für sie ein so genannter „Ersatzneubau“ geplant. Damals wurde diese „Maßnahme im erstmals aufgestellten Netzentwicklungsplan (NEP) als notwendig beschrieben“, ist bei Bayerns Energieministerium nachzulesen. Auch die DGS-News haben über dieses Projekt schon mehrfach berichtet.

Hochspannungstrasse als Energiewende-Turbo?

Die Bezirksregierung von Mittelfranken – Freistaat Bayern – begründet den Sinn des „Ersatzneubaus Juraleitung“ offiziell folgendermaßen: „Die neue Höchstspannungsleitung soll den erhöhten Anforderungen an die Stromnetze Rechnung tragen, die sich durch die Umsetzung der Energiewende – insbesondere durch den Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen – ergeben.“

Dieses Ziel will der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet im Wesentlichen durch zwei Veränderungen erreichen: Einerseits soll die Juraleitung künftig nicht mehr (wie seit Start als Teil der Hitlerschen Reichssammelschiene der 1940er Jahre) in der Spannungsebene 220.000 Volt (220 kV), sondern künftig auf der höchsten 380-kV-Drehstromebene betrieben werden. Und andererseits soll die Trasse optimiert und einige Umspannwerke neu gebaut werden.

Inzwischen ist Tennet schon – oder sollte man nach über einem Dutzend Jahren lieber sagen: erst? – beim Status des Planfeststellungsverfahrens angekommen. Aber immer in kleinen Trassenteilen. So wie vor wenigen Tagen für den Bereich Katzwang, ein Stadtteil der Frankenmetropole Nürnberg.

Für den Juraleitungs-Bereich „Abschnitt A-Ost“ rund um die Kleinstadt Altdorf bei Nürnberg sollen diese Unterlagen am Deutschlandtag 3. Oktober 2025 für das offizielle Beteiligungsverfahren ebenfalls im Internet verfügbar gemacht werden. Sechs Wochen lang können dann laut Tennet „Einwendungen gegen die Planungen eingelegt“ werden.

Eine Leitung – zwei Infoveranstalter

Passend dazu hatte der ÜNB die Presse und 500 Betroffene eingeladen, sich in Altdorf per „Infomarkt“ mit den Plänen und Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Betroffene: das sind vor allem jene Grundstücksbesitzer:innen, auf deren Flächen Masten errichtet, das Umspannwerk Ludersheim neu gebaut oder während der Bauphase Kräne oder Geräte aufgestellt werden oder Transporte fahren sollen. Aber auch Bewohnende naheliegender Gebäude zählen dazu. 150 der angeschriebenen 500 Betroffenen hätten sich auch angemeldet, „eine gute Quote“, so Helen Bernardi, Referentin für Bürgerbeteiligung bei Tennet.

Dörte Hamann ist eine jener Personen, die einen „Slot“ beim Infomarkt gebucht haben. Doch sie ist weder Baugrund-Besitzerin noch direkte Anwohnerin, sondern Pressesprecherin des Aktionsbündnis Trassengegner. Dieser – nach eigenen Angaben – „lockere Zusammenschluss von Bürgerinitiativen in ganz Bayern, die den Aktionskonsens akzeptieren und aktiv vertreten“, besteht seit Anfang 2014. „Unser Aktionskonsens lautet: Für eine dezentrale Energiewende ohne überdimensionierten Netzausbau!“, erklärt Hamann. Und, dass das Aktionsbündnis den Betroffenen eigentlich empfohlen habe, nicht zum Tennet-Infomarkt zu gehen: „Die Trassengegner machen alternative Infoveranstaltungen mit auf jeden Fall mehr Interessierten“, stellt sie am Telefon klar.

Selbst Städte kritisieren Neubauplanung

Dörte Hamann zählt einige jener Punkte auf, die seitens vieler Juratrassen-Gegner:innen ins Feld geführt werden. Besonders kritisch sehen sie offensichtlich die zu erwartenden Enteignungen von Besitzer:innen notwendiger Grundstücke: Es werde erwartet, dass viele den Verlockungen der hohen, aktuell von Tennet angebotenen Kaufpreise widerstehen, gerade bei Flächen für das neue Umspannwerk. „Und was dann? Die Stadt Altdorf (die Kommune ist seit langer Zeit gegen den Neubau; d.Red.) überprüft das gerade“, sagt Dörte Hamann. Sie ist aber sicher: „Enteignung dauert lange und wird teuer für Tennet.

Ein weiterer Grund für die Gegner rund um Altdorf: „Bei Ludersheim soll Wald gefällt werden – damit entfällt dessen Lärmschutzfunktion.“ Denn aktuell steht der Wald direkt neben der Autobahn A3. Doch weil genau dort die neue Trasse verlaufen soll, müssten die Bäume weg; ein Lärmschutzwall ist bislang nicht geplant.

Neubau überflüssig?

Einen Fachmann haben die Initiativen schon lange auf ihrer Seite: Professor Lorenz Jarass. Der hat bereits vor fünf Jahren per Gutachten den Sinn des Ersatzneubaus grundsätzlich in Frage gestellt. Damals war übrigens noch der lokale VNB N-ERGIE auf der Seite der Trassengegner zu finden. Doch der Konzern hat offenbar inzwischen eine 180-Grad-Wende vollzogen, wie die Nürnberger Lokalpresse berichtet.

Und so war es auch nicht verwunderlich, dass N-ERGIE-Vertreter genauso wie Angestellte der Bayernwerk-Netztochter – die betreibt das Verteilnetz im Osten Bayerns – bei besagter Presseveranstaltung am Tennet-Infomarkt in Altdorf dabei saßen. Doch konnte man aus ihren Gesichtern Verwunderung ablesen, als die Tennet-Referierenden keine Antwort auf eine – zumindest nach Meinung des Schreibers dieses Beitrags – einfache Frage hatten: „Wie stark erhöht sich die Kapazität der Netzkoppler in den neu geplanten Umspannwerken Ludersheim und Raitersaich?“ Denn dann müsste die N-ERGIE-Netztochter weniger Wind- und Solarstrom abregeln. Wie hier nachzulesen, sieht man in Nürnberg genau hierfür großen Bedarf.

Dieses Nichtwissen dürfte Wasser auf die Mühlen der Trassengegner sein. Denn die vermuten hinter dem „Ersatzneubau Juraleitung“ ohnehin: Diese soll gar nicht der Aufnahme von mehr Ökostrom dienen, sondern der Kapazitätserhöhung für den internationalen Stromhandel. Immerhin endet die Juraleitung in Niederbayern. Von dort ist es nicht sehr weit bis zum Netzkoppler nach Tschechien – und zu den dort geplanten neuen Kernkraftwerken.

Und so bleiben die Stromnetzausbaupläne hierzulande, nicht nur die der neuen Juraleitung, vor allem eines: sehr umstritten.

Zwiespältiges Verhalten des N-Ergie-Vorstands

PS: Der Regionalversorger und Verteilnetzbetreiber N-Ergie verhält sich im Übrigen selber mehr als zwiespältig. Vor etwa einem Jahr, im September 2024 feierte sich Vorstandschef Maik Render gemeinsam mit Oberbürgermeister Markus König vom Hauptgesellschafter Stadt Nürnberg dafür, dass in der Stadt „PV-Anlagen auf möglichst vielen städtischen Dächern installiert werden, um die Erzeugung von erneuerbarer Energie im Stadtgebiet deutlich zu erhöhen“. Doch im September 2025 verunglimpfte Maik Render Besitzer:innen von PV-Dächern oder Balkonsolaranlagen als „Reiche“: Die würden sich auf Kosten ärmerer Bevölkerungsschichten die Taschen füllen – wie es zumindest viele Menschen wahrnahmen.