Ein Gastkommentar von Roland Neuner

Gretchenfrage: Was haben marode Autobahnbrücken und fossile, gasbasierte Wärmenetze gemeinsam?
Meine Antwort schon mal vorab: beide Phänomene, die heute das Ergebnis der Industrialisierung seit dem 2. Weltkrieg, also seit der Mitte des 20sten Jahrhunderts sind, müssen schnellstens rückgebaut, abgerissen und durch Neues ersetzt werden und zwar ohne den Missstand verlängernder Zwischenlösungen.
- Alte, statisch marode Autobahnbrücken müssen durch neue Brücken ersetzt werden, deren Straßen-beläge dann auch dem Klimawandel trotzen müssen, indem sie für Luft-Außentemperaturen über 50 Grad und mehr ausgelegt werden.
- Fossile erdgasbasierte Wärmenetze müssen schnellstmöglich auf rein regenerative, treibhausgas-freie Wärmeerzeugung umgestellt werden. Fossile Kraftwerke sind Verursacher des schädlichen Klimawandels. Sie belasten durch ihren Verbrennungsprozess und den Ausstoß von CO2 mit ent-sprechender Temperaturerhöhung die Gesundheit von Menschen, Tieren und der Natur insgesamt.
Soweit die Gemeinsamkeiten.
Wo liegen die Unterschiede zwischen maroden Autobahnbrücken und fossilen Kraftwerken?
Bei maroden, baufälligen Brücken droht unmittelbar Lebensgefahr und es muss sofort gehandelt werden, d.h. Abriss und Neubau. Bei weiterer Nutzung fossiler Kraftwerke gilt das gleiche, allerdings im schleichenden Prozess, aber zunehmend für jeden Einzelnen, jede Einzelne wahrnehmbar.
Während also Bauwerke, wie Autobahnbrücken in längeren, regelmäßigen Abständen auf Schäden hin überprüft werden müssen, verursachen Erdgasnetze, eben auch Fernwärmenetze jährlich hohe Wartungs- und Reparaturkosten in Millionenhöhe.
Permanent rücken Tiefbaufirmen aus, um ganze Straßenzüge für die Sanierung von Gasleitungen metertief aufzubuddeln. In Metropolregionen wie z.B. Frankfurt ist das oft eine teure und aufwändige Arbeit. Zudem werden Gasnetze im Gegensatz zu Autobahnbrücken kontinuierlich immer teurer, weil es im Zuge der Umstellung von Gas zu strombasierten Wärmekonzepten immer weniger Haushalte/Objekte mit Gasanschluss geben wird.
Beide Erneuerungsmaßnahmen, also die von maroden Autobahnbrücken und von fossilen Wärme-netzen, sind schnell, besser sofort einzuleiten, auch wenn damit hohe Investitionen verbunden sind. Für Letztere, also den Ersatz der fossil-basierten Wärmenetze stehen die Gemeinde- und Stadtwerke sowie die größeren Regionalversorger in der Verantwortung.
Die Kernaufgabe der Energieversorger
Die moderne regenerative Energieversorgung von Wohn- und Gewerbeobjekten, von ganzen Gewerbekomplexen und Wohnquartieren und von Industrieanlagen ist angezeigt.
Hier gibt es viele gute Beispiele, also Vorreiter2), aber auch die Spätberufenen, die in ihrem „Kerngeschäft“ eine eher abwartende Haltung einnehmen. Dabei sollte der Begriff „Kerngeschäft“ besser durch den Begriff „Kernauftrag“ ersetzt werden. Dieser besteht nämlich darin, dass die Energieversorger (jeder Größenordnung) den BürgerInnen und Bürgern, den Betrieben und Unternehmen, ausreichend ganzjährig, bezahlbar und ökologisch nachhaltig, d.h. bestenfalls treibhausgasfreie (THG-/ CO2 freie) Energie für die Gebäudeversorgung, für Infrastruktur, für Handel, Gewerbe und Produktion zur Verfügung stellen.
Das gilt in erster Linie für die Wärmeversorgung, die bestenfalls ausschließlich CO2 neutral ohne Rückgriff auf fossile Energieträger erfolgen muss. Solar- und Windenergie sowie der Einsatz von Biogas bieten die technologieoffenen Grundlagen für eine sofortige, zumindest sukzessive Umstellung und den Ersatz fossiler Mittel.
Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels mit exponentiell steigenden Temperaturen mit weit über 35 Grad Celsius – auch in Deutschland bereits im Frühsommer – ist es eine Notwendigkeit, auf die Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Steinkohle, Erdgas und Erdöl zu verzichten.
Wir haben bekanntermaßen nicht das Problem von gravierenden, langanhaltenden Energieeng-pässen; stattdessen müssen wir sehenden Auges zur Kenntnis nehmen, dass das weiter ungehemmte Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Erdgas allein verantwortlich ist dafür, dass die CO2 Belastung nicht abnimmt und der Klimawandel mit überproportionalen Durchschnittstemperaturen weiter fortscheitet. Von den zuletzt in unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz registrierten Umweltkatastrophen aufgrund des Klimawandels einmal ganz abgesehen.
Wir haben also ein Problem der Verschärfung der Klimakrise, die, so scheint es, von Teilen der Entscheidungsträger in Politik und der Energiewirtschaft ignoriert oder unterbewertet wird.
Weiter fossil ist keine Lösung
Der arbeits- und energieintensive Abbau von Steinkohle in fernen Ländern, dem dort stattfindenden mehrfachen Umladen, dem energieintensiven See-Transport über Weltmeere, dem u.U. mehrfachen „Löschen“ des Energieträgers in den Häfen, dem Wassertransport über kontinentale, aufgrund des Klimawandels immer weniger Wasser führenden Flüsse wie den Rhein, bis zur Aufbereitung und Verbrennung in Heizkraftwerken, ist in Summe ein sehr umweltschädlicher Prozess. Seit Jahrzehnten und bis Ende 2025 wird Steinkohle zu Heizzwecken z.B. in Frankfurt eingesetzt. Von einer kosten-optimierten Wärmeversorgung der Metropolregion zu sprechen, erscheint – im Jahre 2025 – zumindest gewagt.3)
Doch schneidet Erdgas, das über Pipelines oder verflüssigt, in Heizkraftwerken anlandet, beim Verbrennen mit Bezug auf die Gesamtbilanz der THG-Emissionen nicht viel besser ab als Steinkohle. Die Umweltbilanz von Erdgas über die gesamte Prozesskette bis zum Schornstein ist und bleibt schlecht.
Erdgas ist ein fossiler Energieträger mit hohem CO2 Ausstoßpotential, auch wenn in Gazetten und Unternehmensmitteilungen oft der Eindruck vermittelt wird, als sei der Raubbau, die Gewinnung, die Durchleitung, Verbrennung und Nutzung von Erdgas zu Heizzwecken, z.B. in innerstädtischen Fernwärmenetzen umweltfreundlich, wenn nicht gar klimaschonend. Es ist gar die Rede von der Brückentechnologie Erdgas auf dem Weg zur Klimaneutralität. Erdgas ist kein Mittel zur Dekarbonisierung.
Als Brückentechnologie eignet sich das Verbrennen von Erdgas keineswegs. Die „Überbrückungszeit“ liegt nämlich mindestens 25 Jahre zurück, liegt also in der Vergangenheit und soll nicht nach vorne, in die Zukunft, prolongiert werden, es sei denn, man leidet unter Realitätsverlust oder unter dem weit verbreiteten Krankheitsphänomen, Tatsachen in Klima- und Umweltfragen nicht anerkennen zu wollen. Man kann es jeden Tag in der Zeitung lesen, wie es mit unserem Klima und der Umwelt bestellt ist. Bei über 42 Grad auf der mittelhessischen Terrasse oder in Stadtzentren Ende Juni braucht es nicht viel, um sich auf den Hochsommer einzustellen. Wer es nicht sieht, will es nicht wahrhaben.
Experten der Thermodynamik weisen seit Jahren darauf hin, dass grüner Wasserstoff nichts zum Verheizen für den Wärmebedarf im Wohn- und Arbeitsbereich ist. Zu teuer, zu komplex zu unsicher. Der eines Tages eingesetzte grüne Wasserstoff wird in anderen Sektoren wie der Industrie benötigt, wenn er denn mit ausreichend vorhandenen Solar- und Windkraftwerken erzeugt worden ist.4)
Sicher ist die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff in ausreichenden Mengen allein für Industrieanwendungen keineswegs.
Mein Fazit
Ich fasse zusammen:
- Kerngeschäft einer modernen, zukunftsfähigen, bezahlbaren, versorgungssicheren
Energieerzeugung und -bereitstellung ist der vollständige Ersatz fossiler Kraftwerke durch
regenerative Wind- / Solarkraftwerke und Biogasanlagen. Daran gekoppelt gelten
moderne Wärmepumpen, Nahwärmenetze, dezentrale Strom- und Wärmestrukturen, die
Sektorenkopplung mit Ausbau der E Ladeinfrastruktur als zielführend. - Erdgas ist kein Überbrückungsmittel in der Wärmeversorgung, sondern muss schnellst-
möglich ersetzt werden. Es muss ein Sofortprogramm mit direkter Reduzierung der Gasvolumenströme eingesetzt werden – im Auftrag
der BürgerInnen und Bürger.
Grüner Wasserstoff als „Irgendwann-Ersatz“ für Erdgas bleibt unerfüllte Hoffnung für fossil-
orientierte Fernwärmenetzbetreiber. - Der Endtermin für die Erdgasnutzung sollte auf 2035 fixiert werden.
- Finanzierung des Transformations-Umbaus Richtung Regenerativ mit exponentiell steigender
Belastung fossiler Kraftwerke. Im Übergang bis 2035 entsprechend reduzierte Belastung fossiler
Kraftwerke, wenn diese nur als „Reserve“ im Standby-Modus für regenerative Anlagen
fungieren dürfen. Überproportionale finanzielle Unterstützung von Kommunen durch Bund
und Länder, für diejenigen, die es ernst meinen mit einer vorgezogenen Abschaltung ihrer
Gasnetze. - Ein derartiges Investitionsprogramm verspricht Wirtschaftswachstum in Umwelttechno-
logien und viele Chancen für den Wirtschaftsstandort, speziell den innovativen,
technologie-offenen Mittelstand.
Es braucht energiewirtschaftliche Redaktionen, die die ständig gezündeten Nebelkerzen und Falschmeldungen der fossilen Lobbyorgane ausblasen und die Begriffe zurechtrücken. Und es braucht die innovativen Brückenbauer, die innovativen Ingenieure, Systemhäuser und Stadtwerke für die notwendige Transformation. Verantwortung lässt sich nicht delegieren.
1.) https://www.fnp.de/frankfurt/kritik-wegen-erhoehter-fernwaermepreise-in-frankfurt-93800877.html
2.) https://www.mvv.de/informationen-zum-rueckzug-aus-dem-gasnetz
3.) https://www.fr.de/frankfurt/ein-schock-fuer-fernwaermekunden-in-frankfurt-93801977.html
4.) www.umweltinstitut.org/energie-und.klima