Eine Gesetzes- und Gutachten-Vorstellung von Jörg Sutter

Seit der Europäische Gerichtshof im Jahr 2024 ein Urteil zur Behandlung einer Kundenanlage gesprochen hat, gab es einige Verunsicherung bei Energieprojekten. Beispiele: Ein gemeinsames BHKW auf einem Firmenareal oder auch Mieterstrom-Projekte mit PV-Anlagen. Im Mai 2025 hat nun der Bundesgerichtshof einen Beschluss zur „Kundenanlage“ getroffen – und die Verunsicherung gar noch weiter erhöht. Der Beschluss könnte für viele Projekte mit lokaler Versorgung aus dezentralen Energieerzeugungsanlagen das Aus bedeuten – dabei spielen solche Konzepte eine wesentliche Rolle beim Ausbau von lokalen Energieprojekten.
Im Auftrag vom Landesverband Franken der DGS und dem Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) hat nun das Rechtsanwaltsbüro Nümann + Siebert (Berlin/Karlsruhe) ein Gutachten erstellt. Darin findet sich ein einfacher Umsetzungsvorschlag an den Gesetzgeber, der sowohl auf das Urteil des EuGH als auch auf das BGH-Urteil eingeht und es möglich machen würde, auch in Zukunft Energieprojekte wie Mieterstrom in Kundenanlagen nach bisherigem Zuschnitt umzusetzen.
Solche Projekte – gerade unter Einbeziehung von erneuerbaren Energien wie Photovoltaik – sind für die Energiewende unerlässlich, sowohl im Wohnungsbau (Mieterstrom) als auch im gewerblichen Bereich (z.B. Quartiersprojekte). Deshalb sollte der Gesetzgeber den Vorschlag möglichst rasch umsetzen, um diese Projekte nicht auszubremsen. Am schnellsten ist das denkbar, wenn wie vorgeschlagen eine Änderung in die derzeit laufende Aktualisierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) eingearbeitet würde. Das könnte dann noch in diesem Jahr bundespolitisch in Berlin verabschiedet werden.
Die Historie
Auf Basis des EUGH-Urteils von 2024 (EuGH C-293/23) hat der BGH am 13.5.2025 einen Beschluss gefasst, der als Leitsatz so zusammengefasst werden kann: „Nur eine Energieanlage, die kein Verteilernetz ist, kann bei richtlinienkonformer Auslegung eine Kundenanlage sein“. Im konkreten Fall ging es um ein Areal mit mehreren Wohnblocks und hunderten Wohneinheiten – das Arealnetz sei daher ein Verteilernetz im Sinne der EU-Richtlinie, so der BGH.
Die BGH-Richter mahnten an, dass das Verteilnetz in Europa einheitlich definiert sein müsse und die bisher in Deutschland praktizierten Ausnahmen, kleine Arealnetze in Kundenanlagen nicht als Verteilnetze zu betrachten, nicht europarechtskonform seien.
Das rüttelt kräftig an der bisher im nationalen EnWG im §3 Nr. 24a definierten Kundenanlage, die bei uns der Abgabe von Energie in räumlich zusammenhängendem Gebiet mit weiteren Kriterien dient. Beispiel: das Arealnetz eines großen Wohn- oder Gewerbeparks, an das dann die einzelnen Wohnungen oder Gewerbebetreibe angeschlossen sind.
Während die Definitionen des Verteilnetzbetreibers im EnWG und in der europäischen Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EltRL) praktisch identisch ist, unterscheiden sich die Bestimmungen zum Betrieb eines Verteilnetzes in beiden Dokumenten: Im europäischen Recht sind eher generelle Vorgaben für Verteilnetze enthalten. Das deutsche Energiewirtschaftsrecht sieht dagegen vor, dass ein Verteilernetz als Energieversorgungsnetz der gesamten, detaillierten, nationalen Regulierung für große Energieversorger unterliegt. Die im deutschen Recht zwischen großem EVU und Kunde zwischengeschalteten Arealnetze, die oft hinter einem Mittelspannungstrafo und einem Summenzähler, manchmal aber auch nur in einer Hausverteilanlage realisiert sind, sind im EU-Recht nicht vorgesehen. Diese Diskrepanz führte zu dem im Mai getroffenen Beschluss und ist aus europäischer Sicht auch nachvollziehbar. Denn über die Richtlinie soll europaweit sichergestellt werden, dass unter anderem der Zugang zu einem Stromnetz für Kunden diskriminierungsfrei möglich sein muss.
Warum ist die „Kundenanlage“ so wichtig?
In einer Vielzahl von praktischen Beispielen, die im Nümann-Gutachten aufgeführt sind, werden jedoch schon heute über Kundenanlagen weitere Personen versorgt. Das gilt zum Beispiel schon beim Einfamilienhaus, bei dem Gäste, Familienmitglieder oder auch Untermieter in einer Einliegerwohnung mitversorgt werden. Ähnliche Versorgungskonstellationen ergeben sich bei Mietsgebäuden mit Solaranlagen, bei Gewerbearealen mit Erzeugungsanlagen, den neuen Anlagen der „gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ wie auch bei Quartierslösungen. Überall wird über ein Arealnetz de facto die Versorgung der einzelnen Kunden sichergestellt, nicht über das öffentliche Verteilnetz.
Konsequenzen des BGH-Urteils
Denkt man die Umsetzung des BGH-Urteils zuende, wären schon heute Betreiber von Arealnetzen Energieversorgungsetzbetreiber nach dem Energiewirtschaftsrecht. Sie haben dafür aber weder die entsprechenden energiewirtschaftlichen Genehmigungen, noch können sie die Vielzahl von Anforderungen und Vorschriften zur Systemstabilität, Erhebung von Netzentgelten, automatisierten Kommunikation einhalten. Wenn diese Situation wie in dem vom BGH entschiedenen Fall gelöst werden soll, dann wäre ein Anschluss solcher nicht ordnungsgemäß angemeldeter und geführter Arealnetze an das nächstliegende Verteilnetz gar nicht mehr erlaubt. Das Nümann-Gutachten zeigt auf, dass die betroffenen Arealnetzbetreiber, also Eigentümer von Mehrfamilienhäusern und Gewerbearealen, ihre Arealnetze dann einem fremden Energieversorger übertragen müsste. Das würde schließlich dazu führen, dass sie selbst und auf dem Areal tätige Mieterstromanbieter, usw. für die Durchleitung des Stroms durch ihre eigenen Installationen auf ihrem eigenen Grundstück Netzdurchleitungsentgelte an den jeweils beauftragten Netzbetreiber bezahlen müssten, die aus energiewirtschaftlichen Gründen für alle Kunden gleich sind, so dass die Durchleitung durch einige Meter Kabel auf dem eigenen Grundstück das gleiche kostet, wie der Transport von Hamburg nach München.
Das macht jegliche Vorteile der ortsnahen Versorgung zunichte.
Sind einzelne Modelle mit DGS-Musterverträgen weiterhin machbar?
Das bejaht das Gutachten: Jegliche Eigenversorgung und alle Modelle, die nur die Belieferung eines Kunden hinter einem Zähler vorsehen, sind weiterhin umsetzbar. Auch einige Modelle in Arealnetzen, die mangels Stromverkaufs über diese trotz der BGH-Entscheidung noch nicht als Verteilernetze gälten und weiterhin als Kundenanlagen betrieben werden könnten, wären noch umsetzbar. Das gilt zum Beispiel die „PV-Gewerbemiete“ (PV-Mieten-Plus-Vertragsmuster 2c und 2d hier) sind auch nach dem BGH-Urteil möglich, denn hierbei wird kein Strom direkt verkauft.
Dagegen wäre das typische, gesetzlich geregelte Mieterstromprojekt im Summenzählermodell, und ausgerechnet auch das neue Modell der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung nach BGH-Meinung nicht mehr in einer Kundenanlage umsetzbar, da hier ein Verkauf von Strom über das genutzte Arealnetz stattfindet.
Der Ausweg
Ab der Seite 32 zeigt das Gutachten nun einen Weg auf, der einfach vom Gesetzgeber zu beschreiten ist: Er besteht darin, die europarechtlichen Vorgaben in den Kundenanlagen vollständig zu erfüllen, womit die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofes erfüllt wäre, ohne aber das ganze nationale Energierecht auf sie anzuwenden. Im Grundsatz wäre dis auch ohne weitere Detail-Umsetzungsänderungen bereits möglich, weil die Umsetzung des EU-Rechts für die Kundenanlage im nationalen Recht ohneehin bereits angelegt ist. Der Vorschlag sieht daher lediglich eine Ergänzung der Definition des Elektrizitätsverteilernetzes in das EnWG vor, die dann wie folgt lauten könnte:
„Elektrizitätsverteilernetz:
ein Elektrizitätsnetz, das zur Weiterleitung von Elektrizität dient, die zum Verkauf an Kunden bestimmt ist. Eine Kundenanlage kann unter dieser Voraussetzung ganz oder teilweise ein Elektrizitätsverteilernetz sein. Die Vorschriften für Elektrizitätsverteilernetze oder Verteilernetze sind auf sie jedoch nicht anwendbar, wenn dies unverhältnismäßig ist, es sei denn die Anwendung ist durch höherrangiges Recht zwingend vorgegeben.“
Damit wäre in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie die Kundenanlage als ein „Verteilnetz light“ definiert, in dem die Betreiber vor zu viel Bürokratie und energiewirtschaftlichen Pflichten bewahrt werden.
In einem zweiten Schritt müssten dann Detailregelungen, zum Beispiel der Bundesnetzagentur, die sich an Betreiber von Verteilnetzen richten, überprüft und gegebenenfalls gestrichen werden, um Projekte in Kundenanlagen vor ausufernder Bürokratie zu bewahren. Aber auch das erscheint den Autorinnen und Autoren des Gutachtens als machbar.
Das Fazit
Das Gutachten – von der DGS Franken und dem BSW beauftragt und finanziert (ein herzliches Dankeschön dafür an dieser Stelle, der Autor) zeigt: Eine richtlinienkonforme Auslegung des EnWG ist möglich, in der die Kundenanlage als Verteilnetz betrachtet wird und die bisherige Grenzziehung zwischen öffentlichem Netz, Kundennetz und Kunde erhalten bleiben kann. Viele bisher praktizierte Umsetzungsmodelle könnten dann auch in Zukunft weiter genutzt und auch in neuen Projekten verwirklicht werden. Gefragt ist nun schnell der Gesetzgeber, dies im Rahmen der aktuellen EnWG-Novelle umzusetzen.
Das Gutachten bietet hier einen einfachen und praktikablen Ansatz einer Gesetzesänderung, die sehr rasch umsetzbar wäre. Ein Dank gilt Peter Nümann und seinem Team für die umfassende Erarbeitung und auch gut verständige Darstellung dieser schwierigen Materie. Damit geht das Gutachten einen wichtigen Schritt für die weitere Umsetzbarkeit unserer Energiewende und der vielen lokalen Energieprojekte.
Das vollständige Gutachten ist hier abrufbar.
