Ein Überraschungsbericht von Heinz Wraneschitz

[Foto: Heinz Wraneschitz]
Wer denkt, in der Energiewirtschaft wird langfristig geplant, irrt offensichtlich. Denn passend zur Weihnachtszeit: alle (zwei) Jahre wieder aktualisieren die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) den Netzentwicklungsplan (NEP) für Höchstspannungsnetze. Jedesmal birgt er Überraschungen.
Den aktuellen „1. Entwurf Netzentwicklungsplan Strom 2037 mit Ausblick 2045, Version 2025“ haben die ÜNB am 10. Dezember 2025 veröffentlicht. Und – hoppla: Der so genannte Westbayernring taucht dort nicht mehr auf. Weder 2037 noch 2045. Und das nach langen Planungsjahren. Nur ein Beispiel von vielen drastischen Änderungsvorschlägen.
Was ist der Westbayernring?
In der regionalen Öffentlichkeit kennt man die P487 unter dem Namen Westbayernring. Der „ist ein 380-Kilovolt (kV) Ersatz- und Parallelneubau, der die Versorgungs-, Netz- und Ausfallsicherheit in Mittelfranken, Oberbayern und Niederbayern sicherstellen und neue Einspeisemöglichkeiten für erneuerbare Energien schaffen soll“. So ist es bis heute auf der Webseite des für Bayern großteils zuständigen ÜNB Tennet zu lesen. Die Leitung sollte die Endpunkte Raitersaich (Kreis Fürth) und Sittling (Kreis Kelheim) verbinden. Zwischen denen existiert bereits eine 220-kV-Leitung. Doch P487 sollte auf einer neuen Trasse gebaut werden, also nicht wie beschrieben als „Parallel- und Ersatzneubau“.
Schreck für die Kommunikatoren
„Wir hatten in der Kommunikation gerade mal zwei Wochen Vorlaufzeit. Das ist extrem sportlich. Bis vor zwei Wochen gingen wir davon aus, es geht weiter mit der P487.“ Man merkt Markus Lieberknecht, den für Bayern, Hessen, Thüringen zuständigen Pressereferenten des (ÜNB) Tennet an: Er und das ganze mit P487 befasste Team waren mehr als überrascht, als nach vielen Jahren Projektplanung der Westbayernleitung plötzlich das Kürzel P487 im Erstentwurf des im nächsten Herbst zu beschließenden NEP-Updates fehlte.
Zwei Wochen vor dessen Veröffentlichung hatten Lieberknecht und Co. erfahren, dass sie sich auf etwas Einschneidendes vorzubereiten hätten – was genau, konnten sie wie alle Interessierten am 10. Dezember 2025 lesen: nämlich nichts mehr von der P487. Dabei hatte Tennet erst im Oktober 2025 das Verfahren für die Raumverträglichkeitsprüfung gestartet.
Gibt Tennet den Drehhofer?
Das 180-Grad-Dreh mussten Pressemann Lieberknecht genauso wie der für die Bürgerbeteiligung zuständige Tennet-Referent Wolfgang Weinseis aber danach schnellstens den Menschen, vor allem den kommunalpolitisch Verantwortlichen in den Landkreisen zwischen Raitersaich, Vohburg und Sittling in Mittelfranken und Oberbayern nahebringen. Denn gerade mal bis zum 14. Januar 2026 gibt’s nun die Möglichkeit, Stellung zu nehmen zu dem NEP-Entwurf; Konsultation heißt dieses Verfahren offiziell. Und daran kann sich jeder Mensch, jede Organisation, jede Kommune beteiligen.
Über ein „vorgezogenes Weihnachtsgeschenk“ freuten sich laut lokalen Medienberichten einige Bürgermeister:innen gleich nach der Veröffentlichung des NEP-Update. Die glaubten offensichtlich: Weil die Leitung nicht mehr drinsteht, ist sie auch bereits tatsächlich draußen. Womöglich deshalb hatten sich für einen Termin anfangs der Woche, an dem Tennet den Ortschefs den Entwurf erläutern wollte, „nur wenige interessiert“. Das berichtet Pressemann Lieberknecht einer Handvoll offenbar handverlesenen Journalist:innen, die Tennet einen Tag nach den Bürgermeister:innen zu einem Online-Pressegespräch eingeladen hatte.
Doch ist P487 wirklich weg aus dem NEP? Glaubt man den Tennet-Männern, dann könnte schon bald eine Art Wiederauferstehung passieren, zumindest textlich. Denn im jetzt veröffentlichten 1. Entwurf sind nur die Szenario-Varianten A und B beschrieben. Im 2. Entwurf, den die ÜNB wohl schon im Februar 2026, also bald nach der jetzt angelaufenen „Konsultation“ über Weihnachten veröffentlichen wollen, sei aber auch Szenario C enthalten.
Pressesprecher Lieberknecht stellt zwar klar: „Szenario C ist das unrealistischste, weil es deutlich mehr inländische Wasserstofferzeugung enthält“, also viel Strombedarf für die Elektrolyseure. Aber da könnte rein rechnerisch der Westbayernring weiter drin sein. „Das ist nicht ausgeschlossen.“ Und sein Kollege Weinseis ergänzt, es komme auch „auf die Konsultationen an“. Sprich: die Bürgermeister:innen sollten sich vielleicht besser nicht weihnachtlich zurücklehnen, sondern Stellungnahmen zur P487 abgeben. Wobei nach den Tennet-Mitarbeitern „die Themen Umwelt und Trassenführung dabei keine Rolle spielen. Sinnvoll ist es, etwas um Bedarf und Verbrauch einzubringen“, und das am besten auf Landkreisebene oder als Wirtschaftsraum.
Wirtschaftsverbände sollten kundtun, welche Prozesse sie zu elektrifizieren gedenken; Landkreise sollten ihre Energiekonzepte einbringen oder Regionalplanungen für Energieversorgung. Wichtig seien auch die Verteilnetzbetreiber, die über Netzanschlusspläne für Wind- oder PV-Kraftwerke Bescheid wüssten.
Steigender Strombedarf Grund für Netzausbau
Dass der Übertragungsnetzausbau, zu dem auch die P487 zählt, grundsätzlich notwendig ist, erklärt Pressesprecher Lieberknecht mit dem erwarteten Brutto-Strombedarf: Der steigt in allen Szenarien bis 2045 mindestens auf das Doppelte gegenüber heute.
Doch warum gibt es überhaupt alle zwei Jahre einen neuen NEP? Wer den Tennet-Mitarbeitern zuhört, erfährt, dass inzwischen auch bei den ÜNB die Wirtschaftlichkeitsfrage gestellt wird. Denn einerseits werden immer mehr Stromspeicher in Haushalten, Betrieben oder Mittelspannungsnetzen installiert. Die können Strom-Erzeugungs- und Bedarfsspitzen ausgleichen. Nicht zu vergessen: Wasserstoff als Langzeitspeicher. „Wir machen die Gegenrechnung für Redispatch auf: Irgendwann kommt es billiger, einen Netzengpass zu belassen, als eine Leitung zu bauen“, so Lieberknecht. Und er gibt auch zu: „Die Projektkosten haben sich massiv erhöht, vor allem wegen Material.“

[Foto: Heinz Wraneschitz]
„Langer Widerstand wirkt“
In diese Kerbe schlägt auf Nachfrage auch Dörte Hamann von bundesweit aktiven Aktionsbündnis Trassengegner: „Die Einsicht, dass die völlig überdimensionierten Netzausbaupläne weder finanziert werden können noch dem aktuellen Bedarf entsprechen, sickert so langsam bei den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik ein.“ Die aktuelle Entwicklung zeige auch: „Für den Widerstand gegen die Trassen kann jede Form von zeitlicher Verzögerung extrem erfolgreich sein.“
Tennet-Mann Lieberknecht spielt aber ebenfalls auf Zeit: Erst wenn die Bundesnetzagentur wohl im Herbst 2026 das Leitszenario – ob nun A, B oder C – des neuen NEP festgelegt habe, sei klar, wie es mit dem Westbayernring weitergeht. Und wenn es keinen Stopp durch die Behörden gebe, werde sein Unternehmen mindestens die Kartierungsarbeiten zur Neubautrasse P487 weiterführen. Man wisse ja nicht, was in künftigen NEP enthalten sei.
Südwestlink nicht dringend nötig?
PS: Auch wenn auf der Projektwebseite der Hochspannungs-Gleichstromübertragungstrasse (HGÜ) DC42 Plus steht, diese erweise sich auch im jetzigen NEP-Entwurf als robust: Laut Tennet-Journalisten-Präsentation ist die gemeinhin als Südwestlink bekannte HGÜ zumindest für Bayern bis 2037 nicht notwendig. Jedenfalls nicht nach Szenario A. Und was wird das nächste NEP-Update in zwei Jahren für Überraschungen bereithalten?
