Über ein Buch berichtet Heinz Wraneschitz

[Quelle: Transcript-Verlag]
Eigentlich: Ja, eigentlich sollte Klimaschutz, Energiewende und all das Zeugs von Menschen aller bekannten Geschlechter gleichermaßen als wichtig, dringend notwendig, alternativlos angesehen werden.
Aber ist das tatsächlich so? Nein, sagen zumindest Prof. Tanja Mölders und ihre vier Wissenschafts-Kolleginnen. Zwar gehöre „die Bewältigung der Klimakrise zu den drängendsten Aufgaben unserer Zeit, dennoch prägt unsere Gegenwart eine weitreichende Nicht-Nachhaltigkeit“, erklären die Fünf in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Gender – Macht – Energiewende“. Darin haben sie Forschungsergebnisse des Projekts »Räumliche Transformationsprozesse der Energiewende – Planungsbezogene Analyse- und Gestaltpotenziale der Geschlechterforschung« zusammengeführt.
Wohlgemerkt: Nicht GestaltUNGSpotenziale finden sich dort. Denn das Ziel der dreijährigen, Ende 2024 abgeschlossenen Forschungen war, „herauszuarbeiten, welchen Beitrag die Geschlechterforschung zur nachhaltigeren Gestaltung räumlicher Transformationsprozesse der Energiewende leisten kann“. So beschreiben es jedenfalls die Herausgeberinnen in der Einleitung zum 276-seitigen Werk mit insgesamt 18 Kapiteln.
Zwar waren auch ein paar Männer beim Forschungswerk dabei, das sich um „Räumliche Transformationsprozesse der Energiewende – Planungsbezogene Analyse- und Gestaltungspotenziale der Geschlechterforschung“ gedreht hat. Doch das Interesse aus der Männerwelt für die Buchvorstellung mit Diskussion, zu der am 10. Juni die ARL, die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaften mit Sitz in Hannover, online geladen hatte, war verschwindend gering im Vergleich zu den anwesenden Frauen.
Gender: für alle wichtig – und beileibe nicht nur „woke“
Warum sollten sich Männer ebenfalls mit den allgemein mit „Gender“ umschriebenen, im Buch und den Forschungen im Mittelpunkt stehenden Sichtweisen der Frauen zu den Themen Klimaschutz, Energiewende und all dem Zeugs beschäftigen? Sind doch laut Theresa Herdlitschka vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig „aus der Prozessperspektive Männer die Macher, Frauen die Moderatorinnen“.
Auch ihnen könne sowohl bei der „Wende von fossil-nuklearer zu erneuerbarer Energie“ wie auch bei „raumbezogenen, umweltrelevanten Transformationsprozesse Gender als analytischer Zugang dienen, als Augenöffner für Ausgrenzungen und Abwertungen“. Diesen Blick auf eine „macht- und herrschaftsbezogene Perspektive“ ermöglicht Tanja Mölders, Professorin für Umweltplanung und Transformation an der Uni Freiburg, unter anderem in ihrem Buchbeitrag „Gender Planning sozial-ökologisch denken – Feministische Beiträge zu transformativen Planungen der Energiewende“, den sie gemeinsam mit Sandra Huning ausgearbeitet hat.
Tanja Mölders hob im „Lunchtalk“ beispielsweise heraus: Frauen seien „aus der Strukturperspektive heraus“ schon allein wegen der meist von ihnen ausgeführten Sorgearbeit für Eltern oder Kinder und der dadurch oft längeren Studienzeiten im Nachteil gegenüber gleichaltrigen Männern gleicher Bildungsstufen.
Nicht das Können wird bei Frauen herausgestellt
Und wenn es Frauen tatsächlich gelinge, etwas (technisch) Beispielhaftes auf die Beine zu stellen, dann werde weniger deren Können gelobt, sondern „die tolle Frau erwähnt, ein Muster, das wir bei männlichen Interviewpartnern bemerkt haben“, so Janina Dannenberg von der Uni Hamburg. Für sie bleibe die Frage offen: „Wie kann man als Frau agieren, ohne gleich als Vorzeigefrau genannt zu werden?“
Bei der Präsentation reduzierte Prof. Mölders das Thema jedoch nicht nur auf den Geschlechter-Konflikt: „Welche Rolle spielen Differenzierungen auf der individuellen Ebene bei der Gestaltung der Energiewende, zum Beispiel zwischen Frauen und Männern, zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen? Es geht auch um die Frage nach Macht und Herrschaftsverhältnissen: Welche gehen auf die vergeschlechtliche gesellschaftliche Struktur zurück? Und inwiefern sind die bestehenden Verhältnisse und Strukturen die Basis – was muss für die Energiewende anderes gelten?“
„Aus Planersicht genauer hinsehen und neue Perspektiven öffnen, Gewissheiten infrage stellen“: das nannte Theresa Herdlitschka bei der Präsentation „zentrale Anliegen“. Wenn man sich die Beiträge des Buches genauer anschaut, dann stellt man fest: Hierfür reicht Genderdifferenzierung nicht; immer wieder werden gesamtgesellschaftliche Themen angesprochen wie jung-alt; hier Geborene und Zugezogene; Befürworter und Gegner von Wind- oder Solarprojekten.
Geschlecht-er verstehen
Trotzdem ist der Beitrag „Wie die Kategorie »Geschlecht« verstehen hilft – Erprobung der Heuristik »EnerGesch« anhand zweier Fallstudien zur Energiewende“ von Janina Dannenberg von der Uni Hamburg ein ganz wichtiger im Buch
Und für das bessere Verständnis sind im Band mehrfach die Forschung ergänzende Einwürfe eingestreut wie „Informationen in Planungsprozessen müssen plastisch und erfahrbar vermittelt werden“.
Oder wie es Theresa Herdlitschka formulierte: „Wichtig ist, über die eigene Praxis nachzudenken. Und es ist immer gut, sich Verbündete zu suchen.“
Trotzdem gab Tanja Mölders am Ende der Diskussion zu: „Wir haben in der Forschung differenziert. Doch wie Gender Planning zu verbinden ist mit Fragen des Ökologischen – da ist noch viel ungefragt.“
PS: Der im April 2025 erschienene Sammelband „Gender – Macht – Energiewende“ ist als Open-Access-pdf-Version kostenfrei verfügbar. Gedruckt ist er für 30 Euro beim Transcript-Verlag erhältlich.