Ein Kommentar von Jörg Sutter

[Bild: Sutter]
Am 27. November fand in Berlin die Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) statt. Der DIHK ist die Dachorganisation der vielen lokalen Industrie- und Handelskammern (IHK) in Deutschland.
Bei dieser Veranstaltung war neben verbandsinternen Punkten auch der Klimaschutz ein eigener Tagesordnungspunkt: Top 9 der Sitzung wurde mit „Klimaschutz praxisnah gestalten“ angekündigt. Dort wurde auch ein Klimaschutzbeschuss verabschiedet, der veröffentlicht wurde. Und dieser Beschluss kann zur heutigen Zeit eigentlich nur verwundern.
Der Beginn: Wehklagen
„Der aktuelle Weg der Energiewende in Deutschland ist geprägt von zahlreichen, sich teilweise widersprechenden Zielen, staatlicher Detailsteuerung, unzureichender europäischer und internationaler Einbettung sowie fehlender internationaler Abstimmung“, so das Wehklagen in der Einleitung des Papiers. Über weiter steigende Energiekosten für die Industrie wird geklagt, wenn die Regierung ein „weiter so“ fortführt – als wäre von Frau Reiche nicht schon eine Neujustierung längst angekündigt worden.
Schon die nächste Aussage kann nicht ohne Widerspruch bleiben: „Andere Länder haben größere Potenziale bei Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie oder verfügen über kostengünstigere Biomasse. Unsere erneuerbaren Energien sind also im Standortvergleich häufig teurer.“
Sicher ist im Detail richtig, dass andere Länder größere Potentiale haben (das kann und darf aber keine Auswirkung auf das Energiehandeln bei uns haben); interessant bei der Formulierung ist aber: Nur bei der Biomasse wird der Begriff „kostengünstigere“ verwendet. Im Umkehrschluss steht indirekt also im Papier, dass PV- und Windstrom bei uns günstig erzeugt werden kann. Das wollte man aber wohl nicht so direkt schreiben.
Zur Schlussfolgerung, dass die erneuerbaren Energien teuer sind, bleibt zum wiederholten Mal auf die Studie „Stromgestehungskosten der erneuerbaren Energien“ des Fraunhofer ISE aufzuzeigen, die hier als pdf abgerufen werden kann: Nicht die erneuerbaren, sondern neue fossile Kraftwerke haben dabei die höchsten Kosten pro Kilowattstunde. Und es sind dort die Erzeugungspreise betrachtet, auf die auch die Industrie zugreifen kann. Die PV-Stromerzeugung ist in der Studie bei großen Dachanlagen mit 6-12 Cent/kWh, Freiflächen mit 4 bis 7 Cent pro kWh angegeben. Und die aktuelle Realität? Die letzte Ausschreiberunde der Bundesnetzagentur vom Juli 2025 erhielten Freiflächenprojekte Zuschläge bei Angebotspreisen zwischen 4,00 und 6,26 Cent pro kWh. Man darf schon fragen, was der DIHK unter „teuer“ versteht?

[Bild: Fraunhofer ISE]
Doch zurück zum Klimaschutzbeschluss des DIHK. Am Ende des ersten Teils steht ein wichtiger Satz, deren Bedeutung jedoch auch relativ ist: „Die IHK-Organisation unterstützt das Ziel der Klimaneutralität“. Was fehlt: Eine Jahreszahl oder ein klares Bekenntnis zu den Zielen der Pariser Klimakonferenz. Ohne Zeitbezug ist diese Aussage schlicht wertlos.
Klimaziele sollen abgesenkt werden
Im zweiten Teil des Beschlusses unter der Überschrift „Klimaziele international koordinieren“ wird der DIHK nun deutlich und fordert, die Klimaziele abzusenken. Auch das wurde nicht direkt formuliert, doch der DIHK schlägt vor, die Ambitionen bei uns „an den Klimaschutzanstrengungen der wichtigsten wirtschaftlichen Wettbewerber auszurichten“ – also abzusenken. Oder ist damit China mit dem dortigen massiven Ausbau bei Erneuerbaren Energien und Elektromobilität gemeint?
Das von einer Zielabsenkung die deutsche Industrie vermeintlich profitieren würde, überrascht niemand. Doch leider ist das nicht umsetzbar: Es sei nur an den Energie-Monitoring-Bericht verwiesen, den Frau Reiche im September vorgestellt hat: Dort sagen die Wissenschaftler ganz klar: Aus dem energiewirtschaftlichen Zieldreieck Kosten-Versorgungssicherheit-Klimaschutz ist der Klimaschutz der einzige Punkt, der nicht verhandelbar ist, weil international vereinbart und national in gesetzlichen Zielvorgaben verankert. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz brauchen an dieser Stelle nicht wiederholt werden.
Auch muss dem DIHK einmal ein Gespräch mit dem Potsdam-Institut empfohlen werden. Dieses nennt sechs Jahre für das Aufbrauchen unseres CO2-Budgets und fordert schnelle und wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz. Der DIHK rechnet anders: Nach aktuellem Pfad kann nach seiner Ansicht (die als Tatsache formuliert wird) Deutschland bis 2045 noch 6 Mrd. Tonnen CO2 ausstoßen, und ein flexibles Budget (statt klarer Jahresziele) zaubert die Zielerreichung bis 2050 (plötzlich nicht mehr 2045) dann trotzdem hin.
Emissionshandel – gut oder schlecht?
Auch beim Emissionshandel ist das Papier uneindeutig: Erst wird betont, dass sich der Verband seit Jahren für den ETS (Emissions Trading System, also Emissionhandel) einsetzt, dann steht im Beschluss, dass der ETS I ambitioniert sei – und am Ende fordert der DIHK auch hier eine internationale Angleichung – sprich eine Reduzierung der Ziele. Das hier im Folgenden dann auch der Bekannte Begriff der „Technologieoffenheit“ fällt, verwundert nicht.
Förderung – ja oder nein?
„Eine ganz überwiegende Mehrheit in der IHK-Organisation befürwortet deshalb eine Reduktion staatlicher Förderungen“, wird weiter ausgeführt – aber gleich wieder relativiert, wenn es um Wasserstoff geht: „Die Kosten für die initiale Errichtung eines Wasserstoff- und CO2 -Kernnetzes sollten vorrangig vom Staat getragen [..] werden“.
Ob der DIHK mit der Reduktion der Förderung auch die EEG-Vergütung meint, die sicherlich viele der IHK-Mitgliedsbetriebe ganz technologieoffen bei PV sicher gerne in Anspruch nehmen, geht aus dem Papier nicht hervor.
Zusammenfassend: Der Beschluss zeigt die Vergangenheitsbezogenheit der Industrievertretung, die keine Ambitionen für erneuerbare Energien und die Umsetzung eines neuen Energiesystems erkennen lässt. Der Beschluss des DIHK ignoriert wie schon seit Jahren die internationalen Klimabeschlüsse und enthält keinen Willen, die günstigen erneuerbaren Energien nutzen zu wollen, stattdessen sollen beschlossene Klimaziele wieder aufgeweicht werden, es wird weiter behauptet, die Erneuerbaren seine zu teuer. Wo bleibt das „Challange accepted“ der Industrie? Auf den Weltmärkten wartet Asien nicht auf uns, dort wird derzeit Umwelttechnologie schnell und günstig entwickelt und großtechnisch weltweit ausgerollt, die deutsche Industrie kommt so nicht voran. Bleibt abzuwarten, nach welchen Klimafolgen (Niedrigwasser, Überschwemmungen, Stürme) unsere Industrie dann wieder über das unvorhersehbare Wetter klagt. Und für alle Unternehmen, die im Bereich der erneuerbaren Energien arbeiten wäre der Beschluss ein Anlass, bei der eigenen IHK vorstellig zu werden und als Zwangsmitglied auch die Interessenvertretung der eigenen Unternehmensinteressen einzufordern.
Der Klimaschutzbeschluss des DIHK im Wortlaut ist hier abrufbar.
