Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke

[Foto: Götz Warnke]
Vergangene Woche, am 31. Oktober, haben die Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein feierlich in München eine Allianz zur Fusionsforschung gegründet. Dazu lässt die Hamburger „Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke“ per entsprechender Pressemitteilung verlauten: „Das Ziel: Erforschung, Entwicklung, Bau und Betrieb von kommerziell genutzten Fusionsreaktoren – unter Kooperation von Industrie und Forschung. So soll Deutschland eine weltweit führende Rolle in dieser Zukunftstechnologie einnehmen und eine weitere Energiequelle für die Zukunft erschließen.“
An diesem Projekt sind zwei Dinge bemerkenswert:
Erstens: Bei diesem Atomenergieprojekt sind zwei Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung involviert, nämlich Hamburg und Schleswig-Holstein. Während Bayern schon immer die zentralistische Atomkraft der dezentralen Windkraft vorgezogen hat, und auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin in der Vergangenheit einen unstillbaren Drang zu fossilen Großprojekten wie Nordstream 2 zeigte, kann man bei den seit Alters her für dezentrale Erneuerbare Energien stehenden Hamburger Grünen schon von einem energiepolitischen Umfaller sprechen.
Zweitens: Die sechs Bundesländer wollen nicht nur weiter an der Fusionsenergie forschen lassen, sondern streben auch den „Bau und Betrieb von kommerziell genutzten Fusionsreaktoren“ an. Immerhin wird zwar seit den frühen 1950er an Kernfusionsreaktoren geforscht – unter anderem von brillanten Atomwissenschaftlern wie Edward Teller, Enrico Fermi und Lyman Spitzer auf US-amerikanischer sowie Andrei Sacharow und Igor J. Tamm auf russischer Seite. Aber weder sie, noch ihre Nachfolger, genauso wenig deren chinesische oder europäische Konkurrenten haben bisher einen Reaktor zum Laufen gebracht. Alle bisher groß verkündeten Durchbrüche haben sich als minimalste Fortschritte erwiesen.
Nach einem Dreivierteljahrhundert voller Erwartungen eines wirklichen Durchbruchs hat sich mittlerweile die Regel verbreitet: Die praktische Nutzung der Fusionsenergie beginnt ganz sicher – und zwar immer jeweils ein Vierteljahrhundert in der Zukunft.
Doch wo bisher die international besten Forscher ihres Faches scheiterten, da will jetzt ein Rudel deutscher Provinzpolitiker:innen „diese Technologieentwicklung schnell, effektiv und strategisch abgestimmt voranbringen.“ Und dann auch noch kommerzialisieren! Und das alles mit unabsehbar großen Mengen unserer Steuergelder! „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“
Doch selbst wenn solch ein entscheidender Durchbruch gelänge, wäre man, unabhängig vom Reaktordesign – ob als Stellarator wie beim Wendelstein 7-X in Greifswald oder der Tokamak wie beim ITER in Südfrankreich –, mit einer Vielzahl von Problemen auf unterschiedlichsten Gebieten konfrontiert:
Wirtschaftlichkeit
Fusionskraftwerke benötigen extrem hohe Temperaturen, extrem stabile Materialien, eine extrem aufwändige Technik und eine extrem lange Bauzeit. Schon aus diesen Gründen ist unklar, wie groß sie dimensioniert bzw. welche Leistungen sie erzeugen müssen, um kommerziell annähernd profitabel sein zu können. Jedenfalls dürfte ihre Leistung über der heutiger Atomkraftwerke liegen. Doch schon das britische Atommeiler Hinkley Point C kämpft trotz aller staatlicher Förderung nicht nur mit Verzögerungen beim Bau (2031 statt 2025): Er wird künftig auch mit umgerechnet rund 16 Eurocent pro kWh Stromgestehungskosten nur Strom erheblich oberhalb der Marktpreise produzieren können. Ohne laufende staatliche Subventionierung könnte das Kraftwerk überhaupt nicht ans Netz gehen.
Dass ein wesentlich komplexeres Fusionskraftwerk günstiger wird, wagt heute niemand zu garantieren. Eher könnte es passieren, dass die Stromgestehungskosten am oberen Ende der bis 49 Cent pro kWh durch das Fraunhofer ISE ermittelten Preisspanne liegen. Denn auch ein Fusionsreaktor erzeugt durch den steten Neutronenbeschuss in seinem Inneren radioaktive Abfälle. Und niemand kann heute bereits Aussagen über die Lebensdauer der inneren Wandmaterialien treffen, die diesem dauerhaften Beschuss ausgesetzt sind.
Sicherheit
Dies betrifft weniger die technische Sicherheit, da Kernfusionskraftwerke deutlich weniger risikoreich sind als konventionelle Kernspaltungskraftwerke. Vielmehr geht es um die militärische und politische Sicherheit. So zeigt derzeit der Krieg in der Ukraine besonders deutlich, wie verwundbar zentralistische Energieversorgungs-Strukturen sind – nicht nur im Hinblick auf das Atomkraftwerk Saporischschja. Die vermutlich sehr großen Fusionsreaktoren dürften nicht nur jeden Generalstabschef einer gegnerischen Luftwaffe erfreuen, sondern auch jede Menge Terroristen: denen böte sich hier die Chance, mit einem einzigen (An-)Schlag die Energieversorgung großer Teile eines Landes dauerhaft lahm zu legen. Gleiches gilt natürlich auch für andere gigantische Projekte, wie z.B. die riesigen Lageenergiespeicher nach Prof. Eduard Heindl mit herausgeschnittenen Felsklötzen von 250 Metern Durchmesser.
Inzwischen setzen übrigens die Ukraine wie auch Moldawien verstärkt auf Erneuerbare Energien – Lessons learned – aber nicht Deutschland!
Umweltschutz
Fusionsreaktoren sind letztlich Dampfkraftwerke, die große Mengen Wasser benötigen – je größer, desto mehr. In den warmen und trockenen Sommern im Zeitalter der Klimakrise kann das zu mindestens ebensolchen Kühlproblemen führen, wie sie bei französischen Atomkraftwerken in jüngerer Zeit aufgetreten sind – immerhin verbraucht die französische Atomindustrie „rund 30 Prozent des insgesamt genutzten Wassers.“ Diese Probleme gelten für alle Dampfkraftwerke. So musste das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg 2017 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Durchlaufkühlung aus der Elbe einstellen und zur teureren Kreislaufkühlung per Kühlturm übergehen. Das hätte zumindest die Führung der Hamburger Wissenschaftsbehörde erinnernd wissen müssen und berücksichtigen sollen.
Außerdem: Einen wirklichen Beitrag zur notwendigen Eindämmung der Klimakrise können Fusionsreaktoren selbst nach Aussagen ihrer Befürworter schon aus Zeitgründen nicht leisten. „Die kommerzielle Nutzung der Kernfusion wird frühestens ab 2060 erwartet“, haben die Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages festgehalten.
Forschung und Soziales
Das selbe Geld kann man nur einmal ausgeben. Das gilt auch in der Forschung und insbesondere dann, wenn wie hier das Ziel feststeht, die dafür am Ende benötigten Geldsummen sich aber im nebulös Ungefähren verbergen. Zudem gibt es andere, finanziell überschaubarere Möglichkeiten, wenn man eine „führende Rolle“ in einer „Zukunftstechnologie einnehmen und eine weitere Energiequelle“ erschließen will. Da sind z.B. die in Deutschland heute praktisch nicht genutzten Meeresenergien, die zumindest für die drei norddeutschen Partner des Fusionsprojekts interessant sein dürften.
Und da wäre auch die Forschung an Sorptionsspeichern, die es Hausbesitzern, Mieterwärme-Gemeinschaften und Genossenschaften ermöglichen würde, beispielsweise im Sommer selbst erzeugte Solarwärme für das Heizen im Winter zu speichern. Hier wäre es wirklich wichtig, die entsprechende Forschung voran zu treiben.
Ebenso lassen sich die Bio-Brennstoffzellen hier aufführen, die in der Forschung bisher eine Nebenrolle spielen, aber Strom aus Abwässern, Bioabfällen etc. gewinnen könnten. Auch sie könnten bei besserer Forschungsförderung Teil eines dezentralen Energiesystems sein.
Fazit
Technologische Großprojekte und ihre Ankündigungen sind insbesondere dann mit äußerster Vorsicht zu behandeln, wenn sie aus dem Bereich der Atomenergie kommen. In den vergangenen Jahrzehnten ist hier die Politik in zu viele teure technische Sackgassen gerannt bzw. hat sich durch die große Industrie dahin führen lassen. Man denke nur u.a. an den Schnellen Brüter, der Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor (THTR), oder an die nicht besonders zuverlässigen Siedewasserreaktoren. Und atomare Projekte sind auch deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil die heutigen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft längst nicht mehr im Amt sein werden und zur Verantwortung gezogen werden können, wenn die Projekte nach Jahren kläglich scheitern.
Ein weiterer Punkt ist noch auffällig: Zumeist werden von der Forschungs- und Wirtschaftspolitik zentrale fossile Großtechniken gefördert, von denen die (Groß-)Industrie profitiert. Weniger Zuwendung erhalten meist dezentrale, kleinere Techniken (s.o.), von denen Bürger und das Handwerk profitieren. Das war schon bei der Merkel‘schen Auto-Abwrackprämie sowie ihrer Energiepolitik (russisches Gas) so, und ist heute mit Gaskraftwerken statt dezentralen Batteriespeichern und bidirektionalem Laden nicht anders. Positive Ausnahmen waren das EEG aus dem Jahr 2000 sowie das Habecksche GEG von 2023 nebst der Solargesetzgebung.
Meist gewinnen bei der Politik jedoch die technischen Lösungen, welche die Bürger in Abhängigkeit halten. Daran ändert auch schönfärberische Politikerinnen-Lyrik wie „große technologische Durchbrüche für uns alle“ von der Hamburger Wissenschaftssenatorin nichts.
Der Bürgerin bzw. dem Bürger bleibt letztlich nur übrig, den Vertreter:innen einer solchen Politik bei den nächsten Wahlen die Quittung zu geben.
