Eine Erklärung von Andreas Horn
Der starke Ausbau der Photovoltaik verändert das Energiesystem und die Energiemärkte. Eine grafische Darstellung, in der die Energiewende besonders sichtbar wird, ist die sogenannte „duck curve“: eine Schar von Kurven vom Tagesverlauf der Residuallast im Netz erinnert mit jährlichem Fortschreiten des Solarausbaus an die Form einer Ente. Zuerst wurde die „Entenkurve“ für die Residuallast der steuerbaren Kraftwerke in Kalifornien gezeigt (California ISO), weil der PV-Ausbau in dem sonnigen Staat den Netzbetreiber vor besonders große Herausforderungen stellte. Die „duck curve“ ist aber kein Phänomen, das sich nur in besonders sonnigen Ländern zeigt: Sie gilt überall auf der Welt und auch in den gemäßigten Breiten Deutschlands (siehe z. B. gridX oder GEM Energy Analytics).
Worum geht es bei der „duck curve“ eigentlich? Photovoltaik (PV) erzeugt täglich um die Mittagszeit viel Strom, während der meiste Verbrauch in den frühen Abendstunden vorhanden ist. Die PV-Anlagen in Deutschland produzieren mittlerweile so viel Strom, dass der Verbrauch um die Mittagszeit oftmals weitgehend durch PV-Strom gedeckt werden kann. Wenn die Sonne untergeht und gleichzeitig der Verbrauch stark steigt, muss regelbare Leistung mit kurzen, steilen Rampen zugeschaltet werden: derzeit sind das noch Kohle- und Gaskraftwerke, zukünftig Batteriespeicher. Der Tagesverlauf an regelbarer Leistung und die Dominanz der fossilen Kraftwerke für die Preisbildung an der Strombörse durch die Merit-Order führt dazu, dass sich auch beim Strompreis eine ähnliche „duck curve“ ergibt.
Die aktuelle Situation
Im Juni 2025 war es nun erstmals soweit, dass die Börsenpreise sogar im Monatsmittel um die Mittagszeit negativ waren.

[Quelle: Andreas Horn]
Die installierte PV-Leistung beträgt derzeit rund 100 GWp – wie wird sich die „duck-curve“ also erst entwickeln, wenn die PV-Leistung wie geplant bis 2030 215 GWp erreicht? Wird der „Entenbauch“ weit unter die „Wasserlinie“ in den negativen Bereich abtauchen? Mit welcher Entwicklung müssen PV-Betreiber rechnen, und was ist zu tun?
Die Ursache negativer Strompreise
Auch wenn die Anzahl der Stunden mit negativen Strompreisen an der Börse mit der Zunahme der installierten Solarleistung zusammenhängt: Tatsächlich ist die Ursache negativer Strompreise eine spezifische Eigenart von Dampfkesseln in herkömmlichen Kraftwerken! Denn diese bekommen Risse aufgrund thermischer Spannungen, wenn die Kessel schnell aufgeheizt oder abgekühlt werden. Um eine vorzeitige Alterung der Kessel zu vermeiden, werden diese selbst dann „unter Dampf“ gehalten, wenn ihr Strom gar nicht gebraucht wird. Zudem: Die nicht benötigte Leistung der Dampfkessel unter Minimallast muss zwingend abgenommen werden, auch wenn dafür auf dem Markt eigentlich keine Nachfrage besteht. Die negativen Preise sorgen dann dafür, dass der Strom trotzdem abgenommen wird, weil die negativen Preise Nachfrage erzwingen. PV-Anlagen und Windkraftwerke selber erzeugen keine negativen Strompreise, da die Anlagen schadlos abgeschaltet werden können, wenn der Strom nicht gebraucht wird. Sobald also – zumindest tageweise – keine Dampfkessel mehr am Netz sind, werden auch die negativen Strompreise verschwinden. Oder wenn Stromspeicher einschließlich Elektrolyseure oder flexible Verbraucher mehr billigen Strom aufnehmen können, als Dampfkessel „entsorgen“ müssen. Ein wesentlicher Schlüssel für das Verschwinden der negativen Strompreise liegt also im Zubau von Stromspeichern mit netzdienlichem Verhalten und der Zunahme flexibler Verbraucher.
Was aber bedeutet das für die „duck curve“? Speicher sind am wirtschaftlichsten, wenn sie den maximalen Preishub ausnutzen, am besten sogar zweimal täglich. Die „duck curve“ zeigt an, dass Speicher kurz nach Mittag geladen und kurz nach Sonnenuntergang entladen, ein zweites Mal nachts ab ca. zwei Uhr geladen und ab 6 Uhr entladen werden sollten. Wenn die Spitzen der Residuallast erfolgreich gekappt sind, können Dampfkessel in den Sommermonaten zunächst tage-, später wochenweise abgeschaltet werden. Dann gibt es immer weniger Grund für negative Strompreise, und immer mehr Stunden mit Strompreisen nahe Null. Die „duck curve“ wird also nicht tiefer, sondern flacher und breiter, und insbesondere die Preisspitze in den frühen Abendstunden wird gesenkt. Industrie und Verbraucher wird’s freuen! Und die Betreiber von neuen PV-Anlagen müssen nicht mehr befürchten, aufgrund negativer Börsenstrompreise jahrelang auf Einspeisevergütung warten zu müssen.