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Götz Warnke

Das Klärwerk als Kraftwerk

Ein Bericht von Götz Warnke

Viele Klärwerke verfügen über große, freie Flächen – geeignet für eine Solarnutzung [Quelle: G. Warnke]

Wer Abwässer nicht ungeklärt und damit umweltschädlich in Flüsse und Meere einleiten will, wie es noch in manchen Gegenden des globalen Südens geschieht, kommt um moderne Klärwerke nicht umhin. Gerade im globalen Norden wächst die Bedeutung der zumeist kommunalen Kläranlagen, da die Wasserverunreinigungen u.a. durch Nitrate aus der Landwirtschaft sowie dem Mikroplastik aus industriellen und privaten Quellen (Waschen von Funktionskleidung) zunehmen. Das führt nicht nur zu vermehrtem technisch-finanziellem Aufwand wie dem Einbau weiterer Klärstufen, sondern es kostet auch zusätzlich Energie. Dabei zählen Kläranlagen traditionell zu den größten kommunalen Stromverbrauchern, wie schon eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) 2008 feststellte.

Seitdem hat sich natürlich hinsichtlich der Verbesserung der Energiebilanz bei der Klärung von Abwässern einiges getan – sowohl von Seiten der wissenschaftlichen Forschung als auch in der Praxis. Eine Zusammenfassung von wissenschaftlichen Forschungen präsentierte das UBA in seinem 80seitigen Papier 6/2020 „Auswertung des Förderschwerpunktes ‚Energieeffiziente Abwasseranlagen‘ im Umweltinnovationsprogramm“.

Bereits im folgenden Jahr publizierte das Umweltbundesamt ein weiteres, 195 Seiten starkes Papier (50/2021), diesmal den Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Klimaschutz- und Energieeffizienzpotenziale in der Abwasserwirtschaft – aktueller Stand und Perspektiven“ (Forschungs-Kennzahl 3718 41 3260), an dem mehrere Institutionen beteiligt waren. Dies allein zeigt, wie aktuell und wichtig das Thema ist. Und es hat verschiedenste Perspektiven und Optionen:

Klärgas:

Die meisten größeren Kläranlagen in Deutschland nutzen Faultürme als Teil ihres mehrstufigen Abwasser-Reinigungssystems. Dort entsteht mit Hilfe von anaeroben, d.h. ohne Sauerstoff existierenden Bakterien Methangas. Dieses Methangas lässt sich auf verschiedene Weise nutzen: Es kann, gereinigt, in Gasnetze eingespeist werden; es kann in Blockheizkraftwerken verbrannt und dadurch Strom und Wärme erzeugt werden, die z.B. für den Pumpenbetrieb der Abwasseranlage und als Warmwasser für ein Wärmenetz dienen kann. Über 1.500 Gigawattstunden (GWh) Strom aus Klärgas werden laut Statistischem Bundesamt jährlich in Deutschland erzeugt. Soweit so bekannt. Hamburg mit seinem Klärwerk Dradenau, dem größten in Deutschland, hat in den letzten Jahren noch eine weitere Form der Klärgasgewinnung entwickelt: Nach der Faulung kommt der Schlamm nämlich aus den Faultürmen in offene Schlammspeicher, wo er zwischengelagert wird und die anaeroben Bakterien eigentlich ihre Arbeit einstellen müssten. Doch tief unten in den Schlammspeichern fehlt es an Sauerstoff, und die Bakterien dort erzeugen weiterhin Methan.

Daher wurde der Schlammspeicher mit einem Durchmesser von 40 Metern im November 2019 mit einer Gashaube („Klimahaube“) abgedeckt, die als Gasspeicher dient. Diese fängt pro Tag 1.800 Kubikmeter Methangas auf, die zusätzlich genutzt werden können – was etwa 7.200 t CO2-Äquivalenten entspricht.

Klärschlamm-Verbrennung:

Ist der Klärschlamm anschließend entwässert, kann er getrocknet werden. Eine sehr effektive und dabei Energie sparende Form ist seit einigen Jahren die solarthermische Trocknung, wie sie hier, hier oder hier beschrieben wird. Trotz der Vorzüge ist dieses Verfahren leider immer noch nicht weit verbreitet.

Der getrocknete Klärschlamm kann wegen der Lasten an Medikamenten-Rückständen und Mikroplastik nicht mehr in der Landwirtschaft auf die Felder ausgebracht werden, wo er wegen seiner hohen Phosphor-Anteile geschätzt wurde, sondern muss verbrannt werden. Das dient einerseits zur Desinfektion und andererseits zur Volumen-Reduktion. Das o.a. Klärwerk Dradenau verwandelt so seine täglich anfallenden 4.000 Kubikmeter Klärschlamm zu 43 Kubikmeter Klärschlammasche.

Bei der Klärschlammverbrennung entsteht nebenbei auch Wärme, die sich beispielsweise in entsprechende Wärmenetze einspeisen lässt.

Neben der Klärschlamm-Verbrennung gibt es als weiteres Verfahren die Klärschlamm-Pyrolyse. Dabei wird der Klärschlamm mittels Hitze verschwelt, wobei einerseits brennbare Gase und andererseits Kohle entsteht, die man zur Bodenverbesserung verwenden kann, da Mikroplastik, Arznei- und andere Rückstände neutralisiert werden. Gegenüber der Verbrennung wird weniger CO2 an die Atmosphäre abgegeben. Die möglichen Vorteile der Pyrolyse werden in einem Forschungsprojekt evaluiert.

Abwärme:

Schon in den Abwasser-Leitungen, die zum Klärwerk führen herrschen je nach Umgebung und Jahreszeit 10-20°C. Und auch wenn das geklärte Abwasser die Kläranlage verlässt, ist es durch die Gärprozesse und die Sonneneinstrahlung in den Absetzbecken nicht viel kühler. Das sind Temperaturen, die sich mit einer Wasser-zu-Wasser-Großwärmepumpe gut nutzen lassen, zumal ein Klärwerk ja auch hinreichend günstigen Strom zum Betrieb der Pumpen selbst erzeugen kann (s.o.).

Auch auf dieses Standbein setzt in großem Maßstab wieder Hamburg mit dem Klärwerk Dradenau: dieses soll demnächst mit einer Wärmeleistung von 60 Megawatt 39.000 Wohneinheiten klimafreundlich versorgen und dabei 66.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen.

Allerdings waren, kleinere Abwasserwärme-Projekte außerhalb von Klärwerken noch schneller, so z.B. das Quartierskonzept LÜCK in Köln-Ehrenfeld oder das Projekt der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) in Gießen, das die Abwasserwärme tausender Haushalte nutzt.

PV-Anlagen:

Auf Grund der großen zu verarbeitenden Abwassermengen und der Vielzahl der Prozess-Schritte benötigen Kläranlagen größere Flächen. Von diesen sind nicht unerhebliche Teile wie z.B. Absetzbecken, Depots für den trockenen Klärschlamm etc. für die Überbauung mit einer PV-Anlage geeignet, wobei deren Höhe/Abstand zum Bodenniveau wie bei der Agri-PV durchaus unterschiedlich sein kann.

Inzwischen gibt es Firmen, die sogar speziell für Kläranlagen Solarfaltdächer anbieten.

Windenergie und Wasserkraft:

Für Kläranlagen-Betreiber im Binnenland mag Windenergie mangels höherer Windgeschwindigkeiten kein Thema sein, aber es gibt viele größere deutsche Städte – von Emden bis Greifswald – direkt an der Küste, und landeinwärts an den küstennahen Flüssen noch einige mehr: Bremen, Hamburg, Lübeck. In der Tat hat Hamburg auf dem Gelände des Klärwerkverbundes Köhlbrandhöft/Dradenau Windkraftanlagen errichtet, welche die Westwindströmung im Elbtal zur Stromerzeugung nutzen.

Wasserkraft lässt sich ebenfalls in Kläranlagen nutzen, wie verschiedene Entwicklungsprojekte, aber auch praktische Beispiele wie z.B. Waldshut-Tiengen oder Buchenhofen zeigen. Dass es dabei noch Ausbaumöglichkeiten gibt, wird durch die Machbarkeitsstudie einer Wasserkraftanlage an der Kläranlage Hemau deutlich, die 2024 am Wasserkraftseminar der TU München durch Niklas Niedermaier und Simon Rödl erstellt wurde.

Dies alles macht deutlich, welche Energiepotentiale in Abwasseranlagen stecken, und dass das Klärwerk als reiner Energie-Konsument der Vergangenheit angehört.