Eine Analyse von Jörg Sutter

Nachdem wir bereits in der letzten Woche auf den Energiewende-Monitoringbericht aus dem BMWE gewartet haben, ist er bislang noch immer nicht veröffentlicht. Es könnte sein, dass die Veröffentlichung erst in der kommenden Woche erfolgt, bestätigte Termine gibt es jedoch auch dazu nicht.
Im Vorgriff auf den kommenden Bericht hat sich aber eine Institution genauer mit dem Monitoring an sich beschäftigt und dazu ein zwanzigseitiges Analysepapier erstellt, das wir heute betrachten wollen: „Acht strategische Dimensionen zur Zukunft Deutschland“ ist das Papier überschieben. Es stammt von der Stiftung Klimaneutralität. Mitautor ist Rainer Baake, Direktor der Stiftung und ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Das Papier will das Energiemonitoring einordnen und ist hier als pdf abrufbar.
Positive Aussagen zur Energiewende

Im Gegensatz zu einigen Aussagen der Wirtschaftsministerin listet die Stiftung acht strategische Dimensionen auf, acht Aspekte, mit denen die Energiewende umgesetzt wird und die Erneuerbaren Energien das Energiesystem übernehmen. Doch die Einordnung ist breiter: Es geht dabei auch um die soziale, die wirtschaftliche und auch technologische Entwicklung, nicht nur der Energie, sondern unseres Landes insgesamt. An vielen Stellen der Studie wird betont: Je nachdem, wie sich das Land entwickeln soll, müssen verschiedene Stromverbräuche angesetzt werden. Die Stromnachfrage folgt den politischen Prioritäten, nicht umgekehrt.
In der Dimension 1 der Studie wird bekräftigt, dass die Bundesregierung an die Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 sowohl national als auch international gesetzlich gebunden ist. Erneuerbare Energien können das Erreichen der Ziele ermöglichen, vor allem im Strombereich können bisherige Energieträger wie Benzin und Erdgas abgelöst werden. Anders sieht das bei CCS (der Speicherung von CO2) aus: Diese Technik ist teuer und nicht dazu in der Lage, größere Mengen zu verarbeiten und nennenswert zum Klimaschutz beizutragen, zumal schädliche Emissionen, zum Beispiel bei der Gasförderung an den Bohrlöchern, überhaupt nicht auf diesem Weg eingefangen werden können.
Die Dimension 2 benennt die Umstellung des Energiesystems im Strombereich: Der Strombedarf wird steigen, auch wegen Wärmepumpen und Elektromobilität, wenngleich der bisherige Ausbau beider Techniken nicht so schnell geht wie noch vor einigen Jahren angenommen. Aktuell besteht wieder Hoffnung, weil sich bei beiden Techniken die Ausbauzahlen im ersten Halbjahr 2025 deutlich erhöht haben. Damit verbunden nennt die Studie eine Forderung, die banal klingt, aber es in der Praxis nicht sein wird: „Der Strommarkt und die Infrastruktur müssen auf eine rasche Skalierung der Stromnachfrage in diesen Sektoren ausgerichtet werden“.
Die Ausrichtung des Strombedarfs an der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung wird in Dimension 3 benannt: Bleibt die energieintensive Industrie im Land oder wandert sie ins Ausland? Werden grüne Vorprodukte wie grüner Ammoniak importiert? Dann brauchen wir in Deutschland weniger Strom für die Industrie. Hier verweist die Studie auf Sensitivitätsuntersuchungen und auf neue Entwicklungen: Die durch den KI-Einsatz in Zukunft deutlich steigende Strombedarf von Rechenzentren – je nach Annahme sind das bis zu 51 TWh im Jahr 2030, die zusätzlich gedeckt werden müssen und in bisherigen Annahmen nicht enthalten sind.
Die Preisentwicklung wird in der Dimension 4 analysiert. Kurz gesagt: Die Studie sieht eine klare Kostensenkung durch mehr Erneuerbare Energien: „Erneuerbare Energien sind heute die mit Abstand günstigste Technologie für die Stromerzeugung. Ihre Erzeugungskosten sinken sogar weiter“.
Die Dimension 5 der Studie widerspricht der Bundeswirtschaftsministerin deutlich: Nicht der Ausbau der Erneuerbaren muss reduziert werden, sondern die Investitionen in die Netze und die Digitalisierung müssen erhöht werden. Zahlreiche mögliche smarte Lösungen werden aufgezählt, darunter auch die jetzt gesetzlich mögliche Überbauung von Netzanschlüssen – mit Einsparungen beim Netzausbau in Höhe von 2 Mrd. Euro allein dafür. Als konkrete Forderung werden beispielsweise aufgeführt: Die flexiblere Netzplanung (nicht 10 bis 15 Jahren im Voraus) und die Vereinheitlichung der Netzanschlussbedingungen, die zu deutlich mehr Effizienz führen können.
Auf Flexibilität und einen Strom-Kapazitätsmarkt gehen die Dimensionen 6 und 7 ein. Batteriespeicher als Puffer, dynamische Netzentgelte und digitale Stromnetze sowie ein technologieoffener Kapazitätsmarkt für Flaute-Zeiten sind die günstigsten Optionen für die Stromnetze der Zukunft.
In der letzten beschriebenen Dimension 8 wird der Wasserstoff angesprochen: hier wird davon ausgegangen, dass die Produktionskosten an vielen Stellen im Ausland zukünftig günstiger sein werden als in Deutschland und daher die inländische H2-Produktion geringer ausfallen wird als bisher angenommen. Dabei gilt es auch, auf die Resilienz zu achten und politisch festzulegen, inwieweit ein Teil der Produktion trotz hoher Kosten aus Sicherheitsgründen trotzdem in Deutschland stattfinden soll.
Wie in dieser Zusammenfassung beschrieben, weist die Studie nach, dass einige der von der Bundeswirtschaftsministerin Reiche angekündigten Neuausrichtungen der Energiewende weder zielführend noch günstig sind. Man kann gespannt sein, welche Argumente davon sich im kommenden Monitoring-Bericht wiederfinden und über welche Annahmen zum Stromverbrauch wir uns wahrscheinlich in den kommenden Wochen streiten müssen.