Ein Bericht von Heinz Wraneschitz

Es ist Freitag, der 4. Juli 2025. Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König steht ganz oben auf einem der fünf riesigen Faultürme am Klärwerk 1 der Franken-Metropole und erklärt: „Wir gestalten heute Zukunft. Das ist richtig, richtig klug, dass wir die Eh-Da-Wärme in die Fernwärme bringen.“
Was König damit meint: Eine Großwärmepumpe wird dem geklärten, etwa 20 °C warmen Reinwasser Energie entziehen und auf diese auf höherem Temperaturniveau ins Fernwärmenetz der Stadt einspeisen. Wenn alles klappt, wird es Mitte 2028 soweit sein. „Einen Wärmepumpenbeitrag von drei bis vier Prozent an der Fernwärme als Ziel“ nennt Maik Render, der Vorstandssprecher des großteils städtischen Energieunternehmens N-ERGIE AG. Der erste große Schritt dahin: Besagte Großwärmepumpe (GWP), die 5.000 Wohnungen der Stadt beheizen soll. Bei dem Termin oben am Faulturm wurde der entsprechende Kooperationsvertrag zwischen Stadt und Versorger unterschrieben.
Klärwerke als Kraftwerke
Abwasser-Wärmenutzung ist eine Möglichkeit, Klärwerke zu Kraftwerken zu machen: Eine ganze Reihe davon hat Götz Warnke Ende Juni 2025 für die DGS-News beschrieben. Auch für den Klärwerkbetreiber SUN, die Stadtentwässerung und Umweltanalytik Nürnberg der Stadt Nürnberg, ist die Nutzung von Eigenenergie am Gelände selbst seit Langem Normalität. So wird der aus dem Abwasser entzogene Klärschlamm in den Faultürmen „vergast“, also zu Klärgas vergoren. Das wiederum wird in vier Blockheizkraftwerken verstromt, ein fünftes ist laut Nürnbergs Umweltreferentin Britta Walthelm (Grüne) geplant. „Zurzeit haben wir so 60 Prozent Eigenstromerzeugung“, berichtet Walthelm, in Personalunion Erste Werkleiterin des Eigenbetriebs SUN.
An vielen Orten wird nachgedacht, geplant, erwärmt
„Erster“ im Reigen von Großstädten, die Großwärmepumpen in städtische Klärwerke einbaut, ist Nürnberg beileibe nicht. In Duisburg beispielsweise wurde vor wenigen Wochen ein solches Aggregat in Betrieb genommen; in Hamburg wurden bereits vier solcher Maschinen aufgestellt, diese sollen 2026 in Betrieb gehen, laufen derzeit noch nicht. Aktuell weiß der Bundesverband Wärmepumpe (BWP) e.V. von „19 geplanten und angekündigten Projekten“ mit insgesamt 120 MW Wärmeleistung, im Bau seien momentan drei (93,8 MW), in Betrieb schon vier GWP mit zusammen 7,53 MW.
Dennoch ist Nürnbergs OB König überzeugt: „Andere Städte werden es nachmachen, anschauen und von uns lernen.“ So wie von eben diesen anderen auch.
Nürnbergs Großwärmepumpenpläne konkret
Im Nürnberger Klärwerk 1 sollen sieben Megawatt (MW) Strom bis zu 20 MW Fernwärme produzieren. Klingt wie Zauberei, ist aber mit einer Großwärmepumpe (GWP) machbar. Es wird aber fast noch drei Jahre dauern, bis das Gemeinschaftsprojekt von SUN und der N-ERGIE AG in Betrieb geht.
56.000 Haushalte werden laut Nürnbergs Oberbürgermeister (OB) Marcus König (CSU) in der Frankenmetropole bereits über Fernwärme versorgt – 100.000 sollen es dereinst werden, wenn es nach der Stadtverwaltung und der ihr nahestehenden N-ERGIE geht. Doch auch wenn Fernwärme meist pauschal unter dem Begriff „umweltfreundlich“ verkauft wird: In Nürnberg stammen aktuell gerade mal „knapp 30 Prozent der Fernwärme aus nicht-fossilen Quellen“, wie es seitens des Versorgers heißt. Der Rest wird großteils über Erdgas-Abwärme erzeugt, die im Heizkraftwerk Sandreuth bei der Stromproduktion anfällt.
Aber bis heute verbrennt die N-ERGIE auch Erdöl, beispielsweise „im alten Heizwerk Muggenhof, wenn auch der Ölkessel dort selten genutzt wird“, wie Norman Villnow erläutert. Der Geschäftsführer der N-ERGIE Regenerativ GmbH stellt jedoch auch klar: Genau zu diesem, gerade mal etwa 1 km entfernten Heizwerk soll die Leitung mit der künftigen, über 100 Grad Celsius heißen Abwasser-Fernwärme führen, die dort ins Heiznetz eingespeist wird.
Direkt hinter der letzten Klärstufe, also vor der Einleitung des „Reinwasser“ genannten Klärwerk-Endprodukts in die Pegnitz, wird die Wärmepumpe errichtet. Weil die ziemlich anders ausschaut als jene Geräte, welche immer mehr einzelne Häuser mit Umweltwärme versorgen, wird dafür ein über 20 mal 20 Quadratmeter großes, 13 Meter hohes Gebäude gebraucht.

Lange Vorbereitung – drei Jahre Umsetzungszeit
Schon allein deshalb waren aufwändige Vorgespräche notwendig, bis es zur Vertragsunterzeichnung auf einem der fünf Faultürme des Klärwerks zwischen Stadt und Versorger kommen konnte. N-ERGIE-Projektleiter Dominik Mair spricht von einer „2021 begonnenen Vorplanung, die ab Herbst 2024 vertieft wurde“.
Er gibt aber auch zu: „Das Klärwerk ist einer der größten Energieverbraucher der Stadt.“ Deshalb sei die Nutzung der „überschüssigen Wärme des Klärwerks ein zentraler Baustein“, um dem Ziel klimaneutrale Stadt näher zu kommen.
Maik Render, der N-ERGIE-Vorstandssprecher sieht auf jeden Fall die GWP als „wertvollen Baustein hin zur CO2-Freiheit“ für die Stadt und sein Unternehmen. Doch „wir wollen noch andere Schornsteine stilllegen“, nicht nur jenen im Heizwerk Muggenhof. Dazu jedoch sind wohl noch recht dicke Bretter zu bohren. Denn für einige Flusswärmepumpen mit insgesamt 60 bis 80 MW – ob in der Pegnitz oder der mehr Wasser führenden Regnitz – sind die Genehmigungsverfahren wesentlich aufwändiger als für die GWP im Klärwerk. Auch wenn Maik Render nur „einen Wärmepumpenbeitrag von drei bis vier Prozent an der Fernwärme als Ziel“ nennt: „Wir müssen alle Ressourcen für die Dekarbonisierung nutzen“, unterstützt OB König die N-ERGIE-Pläne eindrücklich.
Auch ein Ökologie-Projekt
Zumal das Projekt neben der CO2-Bilanz der Stadt nach Einschätzung aller Beteiligten auch der Ökologie der Pegnitz ziemlich stark hilft. Statt das geklärte Wasser wie aktuell mit einer Temperatur von 13 bis 20 Grad in den Fluss zu leiten – also oft oberhalb dessen „normaler“ Wassertemperatur -, werde es künftig laut Norman Villnow etwa drei Grad kühler dem Fluss zugeführt. Das sei nicht nur in solch heißen Sommern wie aktuell positiv. „Denn die AG Gewässerschutz der Region stellt seit 20 Jahren fest, dass die Wassertemperatur stetig steigt“, ergänzt Umweltreferentin Walthelm.
Dagegen stehen die Kosten. 40 Millionen Euro werden momentan erwartet, für GWP-Bau inklusive der Leitung zum Fernwärmenetz am Heizwerk Muggenhof. Genauer wird es erst, wenn die Ergebnisse der aktuell laufenden Ausschreibung feststehen. Doch Norman Villnow hofft „auf den neuen Infrastrukturfonds der Bundesregierung und Förderung daraus“.
Fernwärmepreise ganzheitlich denken
Dass Kritiker:innen immer öfter – wie zurzeit in Frankfurt – teils heftig steigende Fernwärmepreise brandmarken, kontert N-ERGIE-Boss Render eindeutig: „Wir haben hier in Nürnberg 2024 die Preise um 30 Prozent gesenkt. Ja, die Verbrauchskosten sind zwar recht hoch. Aber für die Nutzer fallen keine neuen Kessel usw. an. Man muss die langfristigen Grenzkosten betrachten. Damit kann man auch konstant planen.“ Das käme gerade bei Bauträgern sehr gut an, ergänzt Render.
Zudem unterstützt die Nürnberger Stadtspitze die N-ERGIE beim Ausbau der Fernwärme ausdrücklich, ist gegen eine Privatisierung des Versorgers und dessen Netze. OB König: „Kritische Infrastruktur darf nicht der Geldmaximierung dienen. Sie muss immer in kommunaler Hand bleiben.“
Wink mit dem Zaunpfahl nach Fürth
Am Ende hat Norman Villnow auch noch einen Wink mit dem Zaunpfahl an die im Westen direkt angrenzende Nachbarstadt parat: „Derzeit ist am Heizwerk Muggenhof Ende unserer Westleitung. Aber das ehemalige „Grundig“-Gelände in Fürth ist nicht weit“: Es liegt nur wenige 100 Meter vom Klärwerk 1 entfernt. Nach dem Ende des einstigen Fernsehriesen hat sich dort ein Gewerbe- und Forschungspark entwickelt, der seinesgleichen sucht. Kann womöglich Nürnberger Fernwärme auch in die Kleeblattstadt fließen?