Dezentralität ist die Lösung
"Müssen wir halt die Netze besser ausbauen, sagen wir ja schon lange..." Solche Sprüche waren dieser Tage en masse zu hören und zu lesen, als halb Südamerika viele Stunden ohne Strom da stand.
Denn genau dieser Übertragungsnetzausbau ist es, den uns die Politik als "den Schlüssel zur Energiewende" verkaufen will. Egal ob auf EU-, Bundes- oder Länderebene. Und ohne Rücksicht auf Kosten. Denn den (Stromleitungs-)Preis zahlen ja wir Verbraucher. Und die Protagonisten aller großen Medien plappern die fast identischen Netzausbau-Sprüche von CDU, CSU, Freidemokraten, Grünen, SPD ohne nachzudenken nach.
Dabei genau diese vermaschte, über die Grenzen der Länder hinaus vernetzte Struktur der Stromleitungen ist nicht die Lösung, sondern das Problem: Ein einziger kleiner Fehler breitete sich explosionsartig aus. Und er sorgte dafür, dass in Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay wieder Kerzen auf den Tischen standen, dass stinkende Notstromaggregate die Kühltruhen der Supermärkte mit Strom beliefern mussten.
Nein, ich will nicht so weit gehen wie Alois Stork, einer der wirklichen, oft verkannten Solarpioniere dieser Republik und ein Mentor für mich. Für den Neumarkter Ingenieur war Solarstrom gleichbedeutend mit absoluter Dezentralität. Netzkopplung war für ihn ein No-Go! Stork baute schon in den 1980er Jahren "echte" Solarstromhäuser ohne Anschluss ans öffentliche Netz. Die Wintermonate überbrückte er dabei mit Hilfsenergie.
Doch viel von dem, wofür der 2014 verstorbene Stork in seinen Aufsätzen, Vorträgen und Büchern eintrat, ist heute in abgewandelter Form verwirklicht: Hausbesitzer haben dank moderner PV- und Speichertechnologie die Chance, die Wohnung überwiegend mit selbst erzeugtem Strom zu versorgen.
Beim Projekt LINDA hat die LEW Verteilnetz GmbH nachwiesen: im Blackout-Fall können Erneuerbare Energien die regionale Notstromversorgung sicherstellen.
Eine Prognos-Studie für die N-ERGIE AG aus Nürnberg, immerhin der achtgrößte Energieversorger Deutschlands, hat ergeben: Wird die "Energiewende regional und dezentral" angegangen, lässt sich der teure, aber für die Übertragungsnetzbetreiber äußerst lukrative Höchstspannungsnetzausbau massiv reduzieren. Und die Versorgungssicherheit steigt sogar dabei.
Damit ist der Nürnberger Versorger auf einer Linie mit dem VDE. Der ist quasi "der" Verband der Elektrotechnik-Kompetenz in Deutschland. Und in dessen Veröffentlichung "Der Zellulare Ansatz" steht klipp und klar: 40 Prozent des per Bundesgesetz bestellten Übertragungsnetzausbaus sind völlig überflüssig. Wenn, ja wenn man auf dezentrale Versorgungsstrukturen baut.
Doch was macht die Politik? Sie ignoriert solche ausgewiesenen Energie-Fachleute. Sigmar Gabriel (SPD) oder sein Nach-Nachfolger als Energieminister, Peter Altmeier (CDU) glauben stattdessen lieber den Beamten und Beamtinnen der Bundesnetzagentur und deren Dogma "Netzausbau, das ist die Lösung". Dabei bringen die Netzagenten noch nicht einmal eine lochfreie Funktelefon-Versorgung auf dem flachen Land oder an Bundesautobahnen auf die Beine.
Nur dann, wenn irgendwo die Bürger so laut protestieren, dass es via Medien sogar in der abgeschotteten Regierungshochburg Berlin ankommt, streichen die Herrschaften Minister und -innen ein paar Kilometer Übertragungsleitungen. So wie letztens in Mittelfranken mit die sogenannte "Trasse P44/P44mod" geschehen.
Ist es also möglicherweise schnurzegal, ob es Lücken im Trassenverlauf von Nord nach Süd, von Ost nach West im transnationalen europäischen Verbundnetz gibt? Werden etwa so viele Leitungen geplant, dass eine einzelne gar keine wirkliche Funktion zu erfüllen hat?
Fakt jedenfalls ist: Selbst bei den als "Windleitungen von der See in die süddeutschen Industrieregionen" beworbenen Hochspannungs-Gleichstromübertragungen (HGÜ) fließen Fördermittel der Europäischen Union, die für den Bau des länderübergreifenden Verbundnetzes ausgelobt sind. Das bestätigt natürlich Leitungskritiker. Die behaupten ohnehin seit langem: Die nun in die Erde gegrabenen deutschen HGÜ-Leitungen werden nicht für den Transport von Windenergie gebraucht. Tatsächlich sollen sie Kohlestrom aus Nordostdeutschland nach Süden leiten.
Ich bin sicher: Für die vielen Milliarden Euro, die jetzt in HGÜ-Leitungen gesteckt werden sollen, könnten intelligente, regionale Netze mit dezentraler, regenerativer Stromerzeugung nebst Speichertechnologie gebaut werden. Die wären zukunftssicher, würden regionale Wirtschaftskreisläufe und Arbeitsplätze schaffen. Und sie wären eine Versicherung gegen massiven Stromausfall. Denn der kann schon bei kleinen Fehlern in zentralen Netzstrukturen entstehen.
"Die Dezentralität ist der Schlüssel für die Energiewende." Diese zentrale These des 2010 verstorbenen Solar-Pioniers Hermann Scheer hält die gleichnamige Stiftung bis heute hoch. Ich habe sie aus seinem Munde mehrfach gehört.
Doch wer aus der heutigen politischen Führung egal welcher Partei erinnert sich noch daran: Dies war die wohl grundlegende Idee hinter dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, welches der SPD-Energievorkämpfer maßgeblich mitgestaltet hat.