31.05.2024
Sozialverträglicher Emissionshandel und Klimageld: Wie geht das zusammen?
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Wenn die Regierung meint, durch zukünftige CO2-Zertifikate-Einnahmen den defizitären Bundeshaushalt auszugleichen – dann liegt sie völlig daneben. Das jedenfalls ist die Quintessenz, die Zuhörende des Agora-Energiewende-Pressegesprächs zum „CO₂-Preis: Ein sozialverträglicher Übergang zum EU-Emissionshandel für Gebäude und Verkehr“ am Mittwoch, 29. Mai 2024 gewinnen konnten.
Agora-Direktor Simon Müller erklärte darin zur bereits im Herbst letzten Jahres veröffentlichte Analyse des so genannten „Energy Think Tank“ aus Berlin wörtlich: „Der CO2-Preis eignet sich nicht, kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen.“ Denn selbst wenn – wie von Agora erwartet – „ein durchschnittlicher CO2-Preis von 150 Euro je Tonne zwischen 2027 und 2032 zu staatlichen Einnahmen Deutschlands von rund 180 Milliarden Euro führen“ könnte: Dieses Geld müsste „für die Unterstützung einer sozialgerechten Transformation durch Rückverteilungen an Bürger:innen und Unternehmen zur Verfügung stehen“. Und eben nicht, um besagte zu erwartende Haushaltslöcher zu stopfen.
Zumal – da ist sich Simon Müller sicher – „ab 2025 eine erhebliche Zielverfehlung bei der geplanten CO2-Reduktion eintritt: Deutschland muss dann Zertifikate zukaufen. Die sind aber nicht da.“ Und dann drohe „ohne politische Vorbereitung 2027 ein Preissprung auf bis zu 300 Euro je Tonne CO2. Denn je mehr Reduktion nicht eintritt, umso mehr kosten gehandelte Zertifikate. Das Schwierige ist die dann massive Veränderungsgeschwindigkeit.“ Und davon wären vor allem ärmere Bevölkerungskreise sowie Handel und Industrie betroffen. Das immer wieder genannte Klimageld sei dafür keine alleinseligmachende Lösung: „Klimageld hat eine regressive Wirkung. Die Reichen können sich rausheben“, indem sie klimaschonende Haustechnik oder Fahrzeuge kaufen beispielsweise, „und dann bekommen sie davon am meisten ab. Das ist nicht wirklich im Sinne des Instruments“, stellte der Agora-Direktor klar. Und deshalb sei „ein sozialer Ausgleich, wie er zum Beispiel bei der Förderung von Wärmepumpen schon heute teilweise der Fall ist, unbedingt erforderlich“.
Deshalb sieht Agora „die Einführung des ETS II als Chance“. ETS II: das ist das künftige EU-CO2-Emissionshandelsinstrument, das „ein wirksames Instrument zur Senkung der Emissionen insbesondere im Verkehrs- und Gebäudebereich bietet“. Aber: Weil EPS II europaweit gelte, „kommen Zahlungsverpflichtungen, wenn wir die vorgegebenen Reduktionsziele nicht erreichen.“ Und deshalb müssten in Deutschland weitere Maßnahmen kommen – Müller erwähnte für den Verkehrsbereich „beispielsweise Dieselbesteuerung, Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, Kfz-Steuer nach Schadstoffausstoß“.
Der Vorschlag der Agora-Berater:innen lautet deshalb: Nicht warten bis 2027, wenn die Einführung von EPS II zur Pflicht wird, sondern schon 2025 den CO2-Handel auf Verkehr und Gebäude ausweiten, nationale Mindestpreise festlegen und planbare, moderate Steigerungen gegenüber den aktuellen Zertifikaten. Zumal gleichzeitig auch die höheren Einnahmen sofort rückverteilt werden könnten, was „das Risiko sozialer Verwerfungen vermeiden würde“. Müller nannte hier konkrete Zahlen: 30 Euro mehr je Tonne CO2 wirke sich auf Erdgas mit 0,005 Euro je kWh aus, auf Sprit oder Heizöl mit 0,08 Euro pro Liter, „also im Bereich der alltäglichen Preissprünge“. Dass die Politik den Vorschlägen folge, gab er sich zuversichtlich: „Ich bin Zweckoptimist und Demokrat und habe tiefes Vertrauen, dass man es Leuten erklären kann und deutlich macht. Dann kann es gelingen.“ Aber auch: „Informationsasymmetrien führen zu Marktversagen.“
Auf Nachfrage hob der Agora-Manager hervor, dass die Einführung von CO2-Zertifikaten durch EPS I „in der Energiewirtschaft beispielsweise sehr wohl zu Fortschritten geführt hat. Die gesellschaftliche Unterstützung für Erneuerbare Energien ist überall in der EU besser geworden, schauen Sie nur auf die Windenergie.“
Deshalb stellte Agora-Direktor Simon Müller am Ende klar: „Wir haben es bei der Klimapolitik mit etwas zu tun, was politisch gewollt eine Veränderung einführt.“ Der Ärger Betroffener werde sich aber entladen, wenn sie diese notwendigen Veränderungen entweder nicht verstünden oder über Gebühr belastet würden. „Doch die Ironie wäre, wenn wir jetzt nicht handeln. Aktive Klimapolitik dient der Freiheitsbewahrung.“ Ansonsten würde sich Inflation verstärken, Versicherung wegen mehr Umweltschäden massiv verteuern und noch vieles mehr. Hier trage „Deutschland eine große Verantwortung. Das Umfeld ist zwar schwierig für Klimapolitik. Aber die Klimakrise ist nicht verhandlungsbereit. Wir müssen jetzt handeln, weil es später nur durch noch stärkere Eingriffe gehen wird.“