31.05.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 8: Ernährung umstellen
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anzulegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu laufenden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
Ernährung umstellen
Unsere Ernährungsgewohnheiten tragen zu einem erheblichen Teil zu den Klimagasemissionen und zum Energieverbrauch bei. Das zu betrachtende Spektrum hierzu reicht in der Landwirtschaft von der Bodenbearbeitung, dem Säen und Düngen, dem Pflanzenschutz bis zur Ernte – oder in der Viehzucht von Aufzucht, Fütterung bis zur Verwertung. Daran hängen dann noch mal die ganzen baulichen Maßnahmen und ihre entsprechende Energieversorgung. Ein weiterer Teil des Spektrums bezieht sich auf Nahrungsmittelindustrie mit den Punkten Transport, Lagerung, Verarbeitung, Verpackung, ggf. auch Kühlung, Verkauf und Entsorgung.
Was den Klimafußabdruck der Landwirtschaft anbelangt, so hat das Umweltbundesamt erst kürzlich neue Zahlen und Schätzungen vorgelegt. Demnach stammten 2023 7,7 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) aus der Landwirtschaft; rechnet man die mobile (z.B. Traktoren) und stationären (z.B. Gewächshausheizungen) Verbrennung der landwirtschaftlichen Betriebe hinzu, beläuft sie sich auf 8,9 % der Gesamtemissionen.
Über 90% der landwirtschaftlichen THG-Emissionen stammen aus nur zwei Quellen: aus der Tierproduktion in Form von Methan (Verdauungsprozesse insbesondere von Wiederkäuern, Lagerung von hofeigenem Dünger und von Gärresten der Biogasanlagen), und als Lachgas meist aus der Ausbringung von mineralischem oder organischem Dünger auf den Landwirtschaftsflächen.
Diese Fakten zeigen schon deutlich, wo die Stellschrauben für eine Ernährungswende sind: a) bei einer Reduktion des Fleischverzehrs und damit der hohen Tierbestände. Das betrifft insbesondere Rinder, Ziegen und Schafe als Wiederkäuer sowie Schweine. Weniger problematisch ist Geflügel; unproblematisch sind heimisches Wild und selbst geangelter Fisch. Man muss also nicht völlig auf Fleisch verzichten und zum Veganer und Vegetarier werden, wobei beide Richtungen tendenziell schon klimafreundlicher sind. Auch eine Reduktion von Milchprodukten ist notwendig, und wird mit den schrumpfenden Tierbeständen einher gehen. Zudem produziert die deutsche Landwirtschaft deutlich mehr Klimagase, als die Bilanzen ausweisen. Grund dafür ist, dass ein erheblicher Teil des Tierfutters in Form von Soja aus Südamerika kommt, wo für den Sojaanbau Regenwald gerodet wird. https://www.dgs.de/ b) bei einer Reduktion der (Über-)Düngung. Diese wird auch durch die sinkenden Tierbestände zurück gehen. Hier kann zudem die Umstellung auf Biolandwirtschaft helfen.
Großformatige Landwirtschaft verursacht weitere Probleme
Doch es gibt weitere problematische Entwicklungen in der Landwirtschaft. So werden immer größere Maschinen angeschafft. Damit diese sinnvoll eingesetzt werden können, sind große, frei Flächen von Vorteil. Deren Problematik haben wir bereits beim Thema Boden hinsichtlich Verwehung und Verdichtung gesehen. Ein Teil der Lösung könnten kleine, elektrisch angetriebene Agrarroboter sein, die auf das Gewicht klimatisierter Fahrerkabinen verzichten können. Wer hier jetzt die Gefahr eines Verlusts von Arbeitsplätzen sieht, verschweigt, dass in den vergangenen Jahrzehnten durch die Technisierung der Landwirtschaft hunderttausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind.
Arbeitsintensiver ist hingegen der Gartenbau, der zugleich höhere Nahrungserträge pro Fläche erbringt. Hier hat es in den letzten Jahrzehnten verschiedene neue Entwicklungen wie die Permakultur oder den Biointensiven Gemüsebau gegeben. Eine solchermaßen deindustrialisierte Landwirtschaft könnte der Landflucht entgegen wirken und Millionen Arbeitsplätze schaffen; wie, das beschreibt Richard Heinberg in seinem Buch „Jenseits des Scheitelpunkts“.
Dazu kommt, dass die heutige großflächige Landwirtschaft mit ihren Monokulturen einen hohen Pestizideinsatz erfordert. Auch dieser wurde sich durch einen vielfältigen, kleinteiligeren Gartenbau erübrigen.
Doch unsere Lebensmittel kommen heute selten regional direkt vom Hof. Oft haben sie weite Reisen hinter sich, wie das bekannte Beispiel der Nordseekrabben zeigt, die in Marokko gepult werden, und teilweise wieder an die deutsche Nordsee gehen. Solche (Kühl-)Transporte zur Verarbeitung von Lebensmitteln vergrößern den ökologischen Fußabdruck ebenso wie der Transport der bereits verarbeiteten Lebensmittel von großen Lebensmittelkonzernen quer durch die Republik. Eine Gegenmaßnahme wäre die verstärkte Nutzung von regionalen und saisonalen Lebensmitteln; hier ist sehr viel mehr möglich, als derzeit öffentlich bewusst ist.
Die Massentransporte von Lebensmitteln führen auch dazu, dass die Lebensmittel immer öfter Energie verschwendend in umwelt- und klimaschädlichem Plastik verpackt werden. Das wird selbst von Lobbyverbänden wie der Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt (AGVU) nicht bestritten, die natürlich dabei nur positive Seiten sehen. Fakt ist aber auch, dass viele „hochwertige Verpackungen“ unrecycelt in der Umwelt landen oder nur „thermisch recycelt“, also verbrannt werden.
Lebensmittelverschwendung
Ein in der Tat großes Problem sind die Lebensmittelverluste, die über die gesamte Kette (Erzeuger, Transport, Verarbeitung, Handel, Verbraucher ) rund 20 Prozent ausmachen. Die Gründe sind natürlich vielfältig: Sie reichen u.a. vom Aussortieren beim Erzeuger, weil die Produkte nicht den EU-Vermarktungsnormen entsprechen, über das Überangebot im Handel, bis zum Verbraucher, der nicht zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verfallsdatum (etwa bei Fisch und Fleisch) unterscheiden kann.
Solche Verluste bzw. Lebensmittelverschwendung sind künftig nicht mehr tolerierbar, zumal der deutsche Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln in vielen Bereichen gering ist (z.B. beim Honig sind es nur 43 %), und die Herkunftsländer vielfach außerhalb der sicheren EU liegen. Wie schnell die Lebensmittelversorgung unsicher werden kann, hat erst kürzlich der Angriff Russlands auf den Getreide-Exporteur Ukraine in vielen afrikanischen und arabischen Ländern gezeigt.
Was also tun?
Zum einen gibt es die traditionellen Verfahren der Konservierung (trocknen, eindosen) und des Upcyclings; letzterem verdanken wir z.B. unsere Obstweine und -brände. Dazu kommt das sich verbreitende Spektrum der Gemüseretter – ob sie sich nun Rübenretter oder Vitaminretter etc. nennen –, die überschüssige oder nicht vermarktungsnormgerechte Lebensmittel bewahren. Und auch die Tafeln mit ihrer verdienstvollen Arbeit gehören hierher.
Und schließlich gilt es, auch aus energetischen Gründen (Transporte sowie verdorbene Lebensmittel = verschwendete Energie) unsere Ernährungssouveränität zurück zu gewinnen – im nationalen wie im regionalen Maßstab. Da sind aber auch die einzelnen Menschen gefordert, sich nicht nur hinter politischen Forderungen zu verstecken, sondern im eigenen Bereich Veränderungen vorzunehmen: Erdbeeren statt bienenunfreundlicher Geranien im Balkonkasten, pflegeleichter Rhabarber statt pflegeleichte Schottergärten, Stachelbeeren statt Forsythien, Kirschbäume statt Thuja!
Ein weiterer Punkt sind die Genusswünsche der Verbraucher und der klimatologische Fußabdruck der einzelnen Lebensmittel. Dazu gibt es inzwischen eine Vielzahl von Listen, Tabellen und interaktiven Seiten mit oft leicht abweichenden Zahlen, wobei neben tierischen Lebensmitteln auch manche veganen Produkte wie Avocados oder Reis „den schwarzen Peter haben“. Andererseits ist leider das Essen von durchaus geschmackvollen und wenig CO2-intensiven Insekten für viele Menschen in unserem Kulturkreis immer noch undenkbar.
Die eigene Ernährung ist wohl das schwierigste, konfliktbehaftetste Thema im Rahmen der Ernährungswende. Auch weil man hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen kann – „die Bauern müssten mal“, „die Industrie schummelt“, „die EU ist schuld“ –, sondern oft selbst versagt.
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken