31.03.2023
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3
Eine Kritik von Götz Warnke
Wenn ein:e deutsche:r Politiker:in angesichts der Krise am Wärmemarkt nach den Optionen für ein künftiges Energiesystem gefragt wird – ein Thema, von der er/sie häufig noch nie eine Ahnung hatten – , dann lautet die Antwort meist „Wasserstoff“. Wer als uninformierte:r Politiker:in jetzt noch mehr erläutern muss, der redet dann gern von Wasserstoffwirtschafts-Visionen, künftig in Massen einsetzbaren E-Fuels (mit Strom und Wasserstoff hergestellte Kraftstoffe) und Technologieoffenheit.
Doch was ist dran an diesen Visionen, was sagen die Fakten? In den ersten beiden Teilen haben wir uns mit der Energieverschwendung auf dem Wasserstoffpfad und der extrem schwierigen Handhabung des extrem flüchtigen Moleküls beschäftigt. Leider sind das noch längst nicht alle Probleme.
Das Nutzer-Problem
Wenn Wasserstoff so energiegierig, schwierig und damit natürlich auch teuer ist, sollte er, um den Aufwand zu rechtfertigen, auch dringend gebraucht werden. Und zwar gebraucht werden nicht im Sinne von „Nice to have“ oder „Me too“, sondern als alternativlose Lösung. Wie sieht es damit in den verschiedenen Sparten aus, in denen die Wasserstoffbefürworter das Gas so gern einsetzen würden?
Einen ersten Hinweis gibt die „Wasserstoffleiter“ („Hydrogen Latter“) des britischen Analysten und Beraters Michael Liebreich, wozu es eine – abgewandelte – deutsche Adaption gibt. Auch wenn diese Leitern durchaus ihre Schwächen haben, so geben sie doch im Großen und Ganzen den Sachverhalt korrekt wieder. Sehen wir uns also an, wo Wasserstoff und die aus ihm hergestellten E-Fuels „alternativlos“ sind:
+ Straßenverkehr
Laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden im Januar und Februar diesen Jahres 50.611 reine Elektrofahrzeuge (BEV) und nur 33 Wasserstoff-Fahrzeuge (FCEV) zugelassen; letztere machen also etwas weniger als ein Promille der BEV aus. Die Statistik für vergangene Zeiträume sieht ähnlich aus, und daran wird sich auch künftig nichts ändern, zumal fahrzeugintegrierte PV (VIPV), induktives Laden und die bei vielen chinesischen Herstellern wie Nio üblichen Wechselakkus den einzigen bisherigen Vorteil der FCEV, das schnelle Laden, zunichte machen werden. Das gilt natürlich insbesondere auch für Zweiräder – vom Pedelec bis zum E-Motorrad. Oldtimer sind sicherlich ein besonderer Fall, aber auch diese lassen sich zu E-Fahrzeugen umbauen, was künftig durch die billigeren Natrium-Ionen-Akkus noch attraktiver wird. Hochbauende Busse und LKWs haben zusätzlich zu den o.a. Ladetechniken noch die Möglichkeit, an Oberleitungen zu laden. Für Wasserstoff besteht kein Bedarf.
+ Schienenverkehr
Hier kommen alle bisherigen Ladeverfahren in Betracht: Schnellladesäulen (auch automatisch), VIPV, Oberleitungen, Induktionsladen, Wechselakkus. Da durch die Gleise der Seitenabstand immer gleich ist, können zudem seitliche Stromschienen wie bei S- und U-Bahnen eingesetzt werden. Auf Wasserstoff kann hier verzichtet werden.
+ Schiffsverkehr
Größere Elektrofähren wie die „Ellen“ vom dänischen Aerø sind heute weit verbreitet. Für die Binnenschifffahrt und kleine Feeder finden sich bereits Akkucontainer-Wechselsysteme von ZES (Niederlande) oder Fleetzero (USA). Für die Hochseefahrt gibt es hingegen eine völlig netzfreie, leistungsstarke und kostenlose Energie: den Wind. Hier hat es bei den Windschiffen in den letzten Jahren eine Vielzahl an Innovationen gegeben. Grüner Wasserstoff und E-Fuels in Brennstoffzellen werden – allenfalls – noch als Hilfsenergiequelle für Hafenmanöver und Kanalfahrten gebraucht.
+ Luftverkehr
Kurz- und Mittelstreckenverkehre lassen sich schon jetzt oder zumindest zeitnah elektrisch bedienen; gegen lange Ladezeiten könnte ein Wechselakkusystem helfen. Ansonsten gilt: Nachtzug statt Nachtflug. Für Langstreckenflüge sind die Energiedichten der Batterien noch nicht groß genug. Allerdings sind auch H2 und E-Fuels hier nicht ideal, da das entstehende Wasser in großen Höhen Kondensstreifen bildet und als Klimagas wirkt. In jedem Fall werden die Fluggeschwindigkeiten wegen des Umstiegs auf Propellerantriebe sinken, da das verschwenderische Verbrennen von grünem Wasserstoff/E-Fuels in Düsentriebwerken zu teuer wird. Firmen dürften dann in vielen Fällen eine Videokonferenz einer Geschäftsreise vorziehen. Wasserstoff kann hier zeitweise noch eine Rolle spielen.
+ Heizungen
Ein Weiterbetrieb von Gasheizungen mit teurem grünem Wasserstoff dürfte für die meisten Hausbesitzer unbezahlbar sein. Effizienter wären zweifellos Brennsoffzellenheizungen. Hier hatte die Bundesregierung 2008 das „Leuchtturmprojekt Callux“ aus der Taufe gehoben, was statt Wasserstoff Gas als „Brückentechnologie“ verwendete, und 2015 nach einer Millionenförderung relativ sang- und klanglos eingestellt wurde. Angesichts der technischen Entwicklung sind heute Wärmepumpen, unterstützt durch Wärme und Strom aus Sonne und Wind, die Zukunft der Heizung, auch wenn einige vollmundige Politiker bisweilen noch was anderes erzählen. Gerade erst hat eine Vergleichsstudie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg im Rahmen des staatlich geförderten „Norddeutschen Reallabors“ wieder gezeigt, dass Wärmepumpen den mit Wasserstoff gespeisten Brennwertthermen deutlich überlegen sind. Wasserstoff? Überflüssig!
+ Stromspeicherung
Überschussstrom in Wasserstoff und Kavernen zu speichern, und das saisonal, ist ein weit verbreiteter energiepolitischer Narrativ. Dem zuwider laufen aber zwei Entwicklungen: 1. nimmt die Zahl der Speicher durch E-Autos und das bidirektionale Laden ständig zu, so dass künftig große Speicherkapazitäten dezentral zur Verfügung stehen.2. werden immer mehr neue, auch billige Speichertechniken entwickelt, die als Großspeicher geeignet sind. Daher ist es heute unklar, ob die verlustreiche Wasserstoffspeicherung überhaupt benötigt wird.
+ Militär
Als einer der größten Energieanwender und -verschwender hat das Militär einen deutlichen Bedarf an Wasserstoff und den hinsichtlich der Energiedichte besseren E-Fuels. Das zeigen nicht nur die Brennstoffzellen-U-Boote der Klasse 212 A, sondern auch Düsenjäger, Panzer etc. Zudem hatte und hat das Militär den „Vorteil“, dass man hier nie genau auf die Kosten schaut(e).
+ Stahlindustrie
Wie bereits erwähnt, hat die Stahlindustrie einen riesigen Wasserstoffbedarf. Ohne grünen Wasserstoff ist die Stahlherstellung nicht fossilfrei möglich. Andererseits ist die Stahlindustrie auch unverzichtbar.
+ Glas-, Keramik-, Papier-, Nichteisen-Metall-Industrie
Diese „Energieintensiven Industrien“ sind mehr oder weniger für ihre Dekarbonisierung auf Wasserstoff angewiesen, auch wenn man bei einigen dieser Industrien die Frage stellen kann, ob man sie künftig noch im heutigen Umfang braucht, zumal wenn sie weiter so klimaschädlich produzieren.
+ Chemieindustrie
Sie ist ebenfalls eine energieintensive Industrie, die dringend Wasserstoff benötigt. Von den 117 Millionen Tonnen Wasserstoff, die 2019 weltweit hergestellt wurden, nahm sie allein 38 Megatonnen ab, um in Raffinerien daraus Diesel oder Benzin zu produzieren. Das wird künftig so nicht mehr gebraucht. Ein weiterer Punkt sind die Düngemittel, die aus mit Erdgas produziertem Ammoniak hergestellt werden, und bis zu 3% des weltweiten Energieverbrauchs – und entsprechenden CO2-Emissionen – ausmachen. Künftig soll hier mit „grünem“ Wasserstoff produziertes „grünes“ Ammoniak zum Einsatz kommen. Das ist technisch möglich, aber nicht in den heutigen Mengen. Und es gibt ein weiteres Problem: „Dünger sorgen für mehr Treibhausgase als Luft- und Schifffahrt zusammen“, und zwar zu zwei Dritteln erst auf den Äckern. Da hilft auch kein Wasserstoff, sondern nur ein deutliches Reduzieren.
+ Gasnetzbetreiber und Gaswirtschaft
2021 lag der Gasverbrauch Deutschlands bei 912 Terrawattstunden (S.12), überwiegend im deutschen Gasnetz transportiert. Um diese Gasmenge 1-zu-1 durch grünen Wasserstoff zu ersetzen, bräuchte man – bei 3.500 Volllaststunden /Jahr (inkl. Abschattung) und einem Elektrolyse-Gesamtwirkungsgrad von 65% - rund 78.000 der bereits oben erwähnten 5-MW-Offshorewind-Anlagen. Dass dieses überhaupt nicht möglich ist, weiß natürlich auch die Gaswirtschaft. Die wenigen, in Deutschland produzierten grünen Wasserstoffmoleküle ließen quasi im riesigen Gasnetz gar nicht wiederfinden. Das stellt zusätzlich das Gasnetz infrage, auf dessen Ausbau die Gaswirtschaft bisher Einfluss nehmen konnte. In jedem Fall werden die Stimmen lauter, die zumindest ein Ende der lokalen Gasverteilnetze fordern oder für unvermeidbar halten. Damit ist nicht nur das Geschäftsmodell der Gasnetzbetreiber gefährdet, sondern auch das der unzähligen Planer, Bau- und Transportunternehmen, Anlagenbauer, Wartungsfirmen etc.. Deshalb wurde der o.a. „blaue Wasserstoff“ nachdrücklich in die medial-öffentliche Diskussion gebracht: Wasserstoff, ganz konventionell und kostengünstig (keine neue Anlagentechnik) hergestellt aus Erdgas, bei dem das dabei entstehende CO2 abgeschieden/aufgefangen und anschließend in leer geförderten Erdgas- oder Erdölfeldern verpresst wird (Carbon Capture and Storage/CCS). Problem: Schon heute sind tausende alter Bohrlöcher undicht, so dass aus ihnen immer noch Massen des Klimagases Methan unkontrolliert in die Atmosphäre entweichen, und weshalb die neuen CO2-Entsorgungsbohrungen gasdichter sein sollten, kann bisher niemand erklären.
+ Sonstige
Darüber hinaus gibt es eine bunte Mischung von Firmen, Institutionen und Organisationen, die Wasserstoff auch längst nicht immer aus technischen Gründen benötigen. Hier tummeln sich Lobbyverbände wie Zukunft Gas, der eFuel Alliance e.V. , der von der Bundesregierung „als unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium“ berufene Nationale Wasserstoffrat, dessen Mitgliederliste schön die Verflechtungen und Interessen in diesem Bereich aufzeigt, sowie die bundeseigene GmbH „Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“, die – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – seit Merkel-Zeiten auch für die E-Mobilität zuständig ist. Konservative Industrieunternehmen, denen es früher nicht fossil genug sein konnte, plädieren nun für grünem Wasserstoff, wobei die Farbe ihnen wohl letztlich egal ist, da es um die Verlängerung ihres Geschäftsmodels geht. Sie stehen neben Wissenschaftlern mit Bedarf an staatlichen Forschungsgeldern und Startups mit Bedarf an Investoren. Dazu gesellen sich Investoren mit „Kursfantasien“ und Börsengurus, die unter der vollmundigen Zeile „Tesla taumelt“ völlig realitätsfern vom Megatrend „Wasserstoff löst schmutzige Batterien ab“ fabulieren.
Diese alle brauchen nicht nur etwas Wasserstoff, sondern gleich eine ganze Wasserstoffwirtschaft für ihr „Geschäftsmodell“.
Insgesamt zeigt sich, dass es bei den privaten Heizungen und dem Verkehr hinreichend Alternativen zum Wasserstoff gibt, dass er in vielen Industriebereichen künftig in deutlich geringerem Umfang eingesetzt wird als heute das Erdgas, dass er für das Militär und einige Industrien technisch und für ganz viele „Stakeholder“ eher ökonomisch alternativlos ist. Offen bleibt die Frage, warum sich deswegen gleich eine ganze Gesellschaft in einen medialen Wasserstoff-Taumel begibt.
Im nächsten Teil: Umwelt-Probleme, Geld-Probleme und Schluss.
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 1
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 2
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 4