31.01.2020
Von der Energiewende zur Ressourcenwende, Teil 3: Recyclen und Reparieren
Recycling ist keine neue Erfindung, sondern in unterschiedlichen Formen in der Menschheitsgeschichte präsent: von den Misthaufen der bäuerlichen Gesellschaften mit ihren pflanzlichen Abfällen sowie tierischen und menschlichen Exkrementen, von der Verwendung der ägyptischen Pyramiden als Steinbruch für den Hausbau in den umliegenden Dörfer, bis zur Lumpensammeln auf den Schlachtfeldern des 18. Jahrhunderts und dem Lumpen-Exportverbot in Preußen, um die Rohstoffbasis der heimischen Papierindustrie zu sichern – es hat viele unterschiedliche Ansätze gegeben.
Das Recycling ist heute ein wichtiger Bestandteil des Abfall-Managements und der Rohstoff-Versorgung der Wirtschaft: vom Altglas-Container über die Biotonne und den Gelben Sack bis zum Recycling-Hof begleitet es uns und die Rohstoffwirtschaft. Angeleitet und begleitet werden diese Maßnahmen durch die Richtlinien der EU und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland (u.a. Kreislaufwirtschaftsgesetz/KrWG, Verpackungsgesetz/VerpackG).
Recycling hat in unser Gesellschaft einen guten Ruf und findet breite Akzeptanz; dabei wird leicht übersehen, dass Recycling nicht gleich Recycling ist, und dass es auch „dunkle Seiten“ des Recyclings gibt. Hier nur eine kurze Auswahl der Arten und Probleme der Recyclingformen:
Endcycling: Hierbei „dreht“ das Material nur eine weitere Nutzungsschleife, bevor es auf einer wie immer gearteten Deponie landet. Die thermische Verwertung des Haus- bzw. Restmülls in den Müllverbrennungsanlagen ist so eine „letzte Schleife“, aber auch das abgeschiedene CO2 aus Kohle-Kraftwerken, aus dem dann E-Fuels für Verbrennungsmotoren hergestellt wird, um schließlich nach Verlassen des Verbrenners in der Atmosphäre endgelagert zu werden, gehört hier her. Endcycling ist meist – bei schwer zu recycelnden Gefahrgütern kann das auch anders sein – die schlechteste aller Recyclingformen, und sollte ggf. unbedingt vermieden werden.
Downcycling: Hierzu gehören viele Bereiche, die wir traditionell zum „guten Recycling“ rechnen. Altpapier ist auf Grund der unterschiedlichen Qualitäten der Sammlungen – vom Büttenpapier bis zur Pappe – immer auch ein Downcycling. Das muss nicht negativ sein, wenn z.B. aus dem entstehenden Pappmaterial Möbel aus Pappe gefertigt werden, oder Umzugskartons, die mehrfach benutzt werden. Schwierig sind dagegen stark farbige oder mit Plastik beschichtete Papiere; hier ist der Gesetzgeber gefordert.
Problematischer ist meist das Stahlrecycling: Stähle werden z.T. mit verschiedenen Legierungen für unterschiedliche Zwecke hergestellt, vom harten Panzerstahl bis zu biegsamen oder federnden Stählen. Werden die alle zusammen mit normalen Stahlblechen eingeschmolzen, ist das ein Downcycling für die Spezialstähle. Hier muss zumindest bei den Sammelsystemen dringend im Sinne des Prinzips der Simplizität/Einfachheit nachjustiert werden. Immerhin hat die Stahlindustrie selbst begonnen, nach Lösungen für einen CO2-freien Stahl zu suchen.
Stoffliches Recycling: Dies betreiben viele Bürger bereits heute selbst, und zwar bei Bioabfällen mit Komposthaufen oder Biotonne. In diesen Bereich gehört ebenso der Gelbe Sack, u.a. mit den Einweggebinden aus PET. Letztere lassen sich gut stofflich recyceln, wenn sie stofflich unvermischt und z.B. klar/durchsichtig sind. Schwierig wird es hingegen bestimmten Färbungen (schwarz) oder stark aufgetragenen Farben und Verbindungen mit anderen Kunststoffen bzw. Folien. Solchen oft undefinierten Mischformen hat das Prinzip Cradle-to-cradle („von der Wiege zur Wiege“) den Kampf angesagt. Dabei geht es um den Einsatz klar definierter (Kunst-)Stoffe, die sich möglichst unbegrenzt immer wieder verwenden lassen. Das an sich sinnvolle System ist in den letzten Jahren dadurch in Verruf geraten, dass einige seiner Vertreter den Eindruck erweckten, man könne durch diesen Kreislauf Produkte problem- und folgenlos verschwenderisch nutzen.
Strukturelles Recycling: Hierbei werden nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die Strukturen der Produkte – und damit auch der in die Formung investierten Energien – möglichst weitgehend erhalten. Die trotz allem dabei entstehenden stoffliche Abfälle sollten dem stofflichen Recycling zugeführt werden. Als Beispiele können genannt werden: aus Weinflaschen Trinkgläser machen, aus Tischen Stühle bauen und aus Sesseln Beistelltische. Aber auch die Aufarbeitung und bauliche Wiederverwendung von altem Fachwerk gehört hierher.
Second use: Eine weit verbreitet Plattform hierzu sind die Flohmärkte. Im privaten Bereich gehören hierhin u.a. die Weinflasche als Kerzenständer, im industriellen Bereich der ausgediente E-Auto-Akku, der in der großen Speicherfarm ein zweites „Leben“ hat. Und natürlich die Mehrweg-Systeme - diese Option betrifft vor allem den Verpackungs-Bereich. Dazu gehören zum die Klassiker wie der Henkelmann, die Mineralbrunnen-Flasche oder der Eierkarton, aber auch Bier- und Hartplastik-Flaschen sowie die Styropur-Isolierkästen z.B. für Apotheken-Lieferungen. Daneben gibt es neue firmengebundene Recyclingsysteme wie die Memo-Box, eine aus Recyclingplastik bestehende Mehrwegkiste, oder das System der finnischen Firma Repack, bei der man die Kunststoff-Mehrwegbeutel per Brief zurücksenden kann. Mehrweg wird heute wieder vermehrt privat praktiziert, indem Kunden ihre eigenen Verpackungen zu Kauf von Lebensmitteln in die Läden mitbringen. Dennoch muss dieser Bereich aus Gründen des Ressourcenschutzes künftig noch erheblich ausgeweitet werden.
Entscheidend bleibt, dass hier im Gegensatz zum strukturellen Recycling keine Umarbeitungen vorgenommen werden. Allerdings hat das Reparieren hier durchaus seine Bedeutung, zumal es um eine dauerhafte Zeitnutzung und gegen die geplante Obsoleszenz geht. In diesem Zusammenhang zeigt sich die Bedeutung der Designregel der Segmentierung.
Das schon oft geforderte Recht auf Reparatur ist gerade durch die neuen Ökodesign-Verordnungen der EU gestärkt worden. Dass dieser im Prinzip gute Ansatz durchaus noch ausbaufähig wäre, soll hier nicht verschwiegen werden.
Upcycling: Dies bedeutet u.a., nicht haltbare, nicht norm- und kundengerechte Nahrungsmittel zu konservieren statt wegzuwerfen. Dafür gibt es traditionell bis aktuell eine Vielzahl an Beispielen, etwa das häusliche Einkochen, die Dithmarschener Sauerkrautproduktion, oder die Likörproduktion (Ginjinha) aus leicht verderblichen Sauerkirschen. Im Nicht-Lebensmittelbereich sind hier beispielhaft die dauerhaften Möbel aus Pappe (s.o.) oder aus gebrauchten Gemüsekisten, oder Haare aus der Unterwolle von Hunden (Abfallprodukt) für die Herstellung von Pullovern zu nennen. Upcycling stellt zweifellos die schwierigste Form des Recyclings dar.
Grundsätzlich, aber nicht ausnahmslos gilt, dass der höherwertige Recyclingtyp dem niederwertigeren vorzuziehen ist, also z.B. ein strukturelles Recycling besser ist als ein nur stoffliches. Welche erheblichen negativen Folgen es hat, wenn man diese Regel ignoriert, zeigt ein Beispiel, auf das wir alle seit Jahrzehnten völlig zu Unrecht stolz sind: das Altglasrecycling.
Bei dieser „Urform moderner Kreislaufwirtschaft“ werden ausrangierte Parfüm-, Wein- und ähnliche Flaschen in Altglascontainern gesammelt, in Fabriken zerkleinert, von Fremdstoffen wie Metallen gereinigt, eingeschmolzen und zu neuen Flaschen geformt. Das spart den Abbau der Rohstoffe Quarzsand, Soda und Kalk sowie die deutlich höheren Temperaturen in der Rohstoff-Einschmelze; für jedes Prozent Altglas im Schmelzofen sinkt der Energiebedarf um etwa 0,2 bis 0,3 %. „Einschmelzen von Altglas schützt so das Klima...“, erzählt uns das Umweltbundesamt, und damit wie so viele nur die halbe Wahrheit. Denn erstens liegen auch beim Altglas die Schmelztemperaturen noch bei etwa knapp über 1.000°C (gegenüber ca.1500° C bei der Rohstoff-Einschmelze), sind also z.B. mit Solarenergie in unseren Breiten nicht kontinuierlich zu erreichen. Zweitens ist es eine ziemlich dumme Idee, eine Flasche nach Genuss von 6 Gläsern Wein oder wenigen Portionen Ketchup bei über 1.000°C einzuschmelzen (stoffliches Recyceln), nur um in der nächsten Runde wieder ein bisschen Wein, Ketchup etc. damit transportieren zu können – mit Klimaschutz hat das so gar nichts zu tun!
Was wir brauchen, ist eine DIN-Norm für Flaschen, die auf breiter Front ein pfandpflichtiges Mehrwegsystem (Second Use) ermöglicht, wie es das heute bereits bei der Mineralbrunnen-Flasche. Die Basis wären dann rund drei Dutzend Normflaschen verschiedener Größen, Farben und ggf. Formen, und die gesetzliche Verpflichtung auch der Hersteller von (halb)flüssigen Lebensmitteln (Würzsaucen, Parfums, Säften, Speiseölen etc.), nur noch hierin abzufüllen. Die Flaschen würden nach Verbrauch des Inhalts zurückgegeben, in jeweils städtischen Spülanlagen gereinigt (Reststoffe/Abwasser → Biogasanlage), und erneut zu den Abfüllern transportiert. Durch die Normung wären die Transportwege meist kurz; überregionale Gefälle wie zwischen Großstädten und Weinbauregionen ließen sich energieeffizient mit Bahntransporten ausgleichen. Auch die Frage zur häufig behaupteten besseren Umweltbilanz anderer Getränkeverpackungen auf Grund ihres geringeren Gewichts bei den meist weiten Transportentfernungen wäre damit endgültig beantwortet.
Allein die Interessen der Glasindustrie und einiger Parfümhersteller (Image als Alleinstellungsmerkmal) ständen dem wohl entgegen.
Götz Warnke
Teile der Serie Von der Energiewende zur Ressourcenwende
Teil 1 Grundlagen
Teil 2 Einsparen+Effizienz
Teil 3 Recyclen+Reparieren
Teil 4 Alte und neue Materialien