30.09.2022
WindEnergy: diesmal mit Rückenwind
Ein Bericht von Götz Warnkke
Als sich Ende September 2018 die Tore der Hamburger Messehallen für die „WindEnergy“ schlossen, konnte noch niemand ahnen, dass es für die größte Windmesser der Welt vier Jahre bis zum Wiedersehen dauern würde. Doch die WindEnergy Hamburg 2020 musste coronabedingt in Präsenz ausfallen, und so kommt die internationale Windenergiebranche in Hamburg erst in dieser letzten Septemberwoche auf der WindEnergy Hamburg 2022 wieder zusammen.
Und zwischen dem Jahr 2018 und heute liegen Welten: in den letzten Jahren der Merkeladministration hatte es insbesondere die deutsche Windkraftindustrie schwer. Trotz aller Lippenbekenntnisse zur Energiewende wurde zwischen Flensburger Förde und Bodensee ab 2018 kaum noch nennenswerte Windkraftleistung hinzu gebaut. Und nicht nur die Rotorblattfertigung ist inzwischen aus Deutschland verschwunden, auch dringend benötigte, große deutsche Windanlagenbauer wie der Offshore-Spezialist Senvion wurden durch die Politik so „gemeuchelt“. Denn wer kaum Anlagen in seinem Heimatmarkt errichtet, hat international ein Argumentationsproblem.
Kein Wunder also, dass die Branche in Deutschland große Hoffnungen auf die neue Bundesregierung setzt, auch wenn durch den Ukrainekrieg und die notwendigen neuen Gesetze sich im 1. Halbjahr 2022 die Ausbauzahlen noch nicht wesentlich gebessert haben. Jedenfalls ist die Stimmung bei den Branchenunternehmen, aber bei den entsprechenden Betriebsräten und Gewerkschaften inzwischen deutlich besser, was sich natürlich auch auf der WindEnergy niederschlägt. Die ist zwar mit ihren rund 1.400 Ausstellern aus ca. 40 Ländern international, und wird neben deutschen Organisationen wie dem Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE) und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) auch getragen vom Global Wind Energy Council (GWEC), der World Wind Energy Association e.V. (WWEA), sowie dem WindEurope-Verband. Sie ist aber dennoch ein Schaufenster der weiterhin technisch starken deutschen Windindustrie. Eröffnet wurde sie übrigens am Dienstag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Partnerland der WindEnergy 2022 sind die Niederlande. Auch wenn unser westlicher Nachbar derzeit eher durch seine Gasvorräte im politischen Bewusstsein ist, so gibt es dort – entgegen dem deutschen Eindruck der grün-harmonischen Naturlandschaft Hollands – eine lange Windkrafttradition. Neben den bereits existierenden großen Onshore-Windparks wie Zeewolde oder De Drentse Monden en Ostermeer setzt das Land mit seiner langen Küstenlinie und der entsprechend großen maritimen Wirtschaftszone künftig verstärkt auf Offshore-Windparks.
Zentrales Thema der Messe ist ja die Offshore-Windenergie. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen gibt es hier ein erhebliches Ausbaupotential – die heutige weltweite Offshore-Kapazität von rund 56 GW macht gerade einmal sieben Prozent der installierten Windenergiegesamtkapazität aus. Zum zweiten liegt es am ca. doppelt so hohen Preis der Offshore-Anlagen, d.h. den deutlich höheren Verdienstmöglichkeiten und der Einbindung weiterer Wirtschaftszweige wie Schifffahrtsunternehmen, Werften, Kabelhersteller etc. Und drittens ist es die schiere Größe der Windparks bzw. die Anzahl der dort errichteten Turbinen, die die Handlingkosten pro einzelne Anlage deutlich sinken lässt.
Messen sind natürlich immer auch ein „Schaulaufen“ der Neuheiten und der Neuigkeiten; das ist bei der WindEnergy Hamburg 2022 nicht anders:
> Die Windkraftanlagenhersteller: Die Hersteller sind quasi das Herz der Windenergiemesse, auch wenn die Anlagen selbst nur als Modell oder Abbildung auf die Messe passen. Enercon aus dem ostfriesischen Aurich, größter deutscher Windkraftanlagen-Hersteller, stellt sein neues Topmodell E-175 EP5 vor: eine Schwachwind-Onshore-Anlage mit über 175 Meter Rotordurchmesser und 6 MW Nennleistung. Konkurrent Nordex aus Hamburg hat mit der N175/6.X ebenfalls eine 175-Meter-Anlage vorgestellt, die sogar bis zu 7 MW liefern soll. Alle Anlagen dürften aber erst 2024 auf dem Markt erscheinen. Andere Hersteller zeigen auch bereits bekannte Anlagen und hoffen, dass der Markt schnell hoch läuft.
> Die Windparkeinrichter und -Versorger: Fred Olsen, einer der großen Windparkeinrichter und Betreiber einer entsprechenden Schiffsflotte, hat sich mit dem niederländischen Kranspezialisten Huisman zusammen getan, um einen 150-Tonnen-Schraubkrans für die schnellere und kostengünstigere Errichtung von schwimmenden Windkraftanlagen bis 15 MW zu entwickeln.
> Die Windparkbetreiber: Shell, bisher überwiegend bekannt aus der Fossilwirtschaft, hält einen großen Anteil am niederländischen Offshore-Windpark Hollandse Kust (noord), der 2023 ans Netz gehen soll; mit dem Strom daraus möchte der Ölmulti ab 2025 seinen 200-MW-Elektrolyser Holland Hydrogen I in Rotterdam betreiben. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall zeigt Recyklingmöglichkeiten von großen Rotorblättern, und was man mit dem Recyklingmaterials so alles machen kann – z.B. mit Hilfe von CO2-freiem Stahl 2025 das erste auch in der Produktion emissionsfreie Motorrad bauen.
> Die Dienstleister: Die französische Klassifikations- und Zertifizierungsgesellschaft Bureau Veritas zeigt u.a. auf ihrem Stand eine „Hackbox“, einen Simulator für Cyberangriffe simuliert werden können, der die Verletzlichkeit von Offshore-Windparks gegenüber digitalen Angriffen verdeutlicht. Manch’ Bekanntes bekommt eine neue Bedeutung: so hat die Klassifizierungsgesellschaft DNV GL festgestellt, dass die Spezialanstriche des norwegischen Farbenherstellers Jotun die Unterwasser-Segmente von Offshore-Plattformen über 30 Jahre so gut gegen Korrosion schützen, dass beim Stahl keine Reservedicke gegen Rost eingeplant werden muss; das spart wiederum Stahl und CO2-Emissionen.
> Die Forschungseinrichtungen: Neben den großen Institutionen wie die Fraunhofer-Institute IWES etc. und dem DLR gibt es auch hochinteressante Vorstellungen von kleineren Einrichtungen: Die Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) präsentiert ein Multirotorsystem, das durch die veränderte Blattstellung der äußeren Rotoren in den Wind gedreht werden kann. Die Westfälische Hochschule am Standort Bocholt hat zusammen mit Industriepartnern im Rahmen des Projekts AeroBlade eine schlaufenförmige Beschichtung für die Vorderkanten dicker Rotorblätter entwickelt, die für einen späteren Strömungsabriss und so für mehr Leistung sorgt.
> Die Startups: Den jungen und innovativen Unternehmen wurde in Halle 7 ein Gemeinschaftsstand eingeräumt. Neben den überwiegend im Dienstleitungsbereich tätigen Firmen finden sich mit msquare aus Stuttgart, die neue Reparaturverfahren für Rotorblätter entwickelt, und der Anker Foundations, die – Nomen est Omen – Beton-Fertigteil-Fundamente für Turmbauwerke produziert, hier auch einzelne „Hardware“-Hersteller. Das zeigt einmal mehr, dass Innovationen in der Windenergie nicht ausschließlich der Bereich der großen Hersteller sind.
Insgesamt werden auf der WindEnergy Hamburg 2022 über 35.000 Fachbesucher aus rund 100 Ländern erwartet; damit dürfte sie erfolgreich an die WindEnergy des Jahres 2018 anknüpfen.