30.09.2022
Angesichts des Anthropozän: Restbudget als Grenze
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Wissenschaftler:innen haben vor einigen Jahren ermittelt, welche Menge an Emissionen an Kohlenstoffdioxid vereinbar ist mit den Temperaturzielen, die im Übereinkommen von Paris beschlossen wurden. Auf diesen Budgetansatz, für Deutschland, hatte sich das Bundesverfassungsgericht im historischen Beschluss zur Klimaschutzgesetzgebung vom 24. März 2021 bezogen und „verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt“ (die DGS-News berichteten) Diesen Sommer hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) die Berechnung der „CO₂-Budgets“ auf der Grundlage des neuesten wissenschaftlichen Stands aktualisiert.
Zuvor, im Umweltgutachten 2020, ermittelte der Sachverständigenrat für das Ziel, den Anstieg der mittleren Erdtemperatur mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % auf 1,75 °C zu begrenzen, dass auf Deutschland ab 2020 ein „verbleibendes konkretes nationales CO2-Restbudget“ von 6,7 Gigatonnen (Gt) entfällt. So steht es auch in den Leitsätzen zum Beschluss des Ersten Senats. Zwischenzeitlich gibt es Initiativen in verschiedenen Bundesländern, die sich mit der Frage nach CO₂-Budgets für einzelne Bundesländer beschäftigen.
Budget aktualisiert
Bei der Aktualisierung wurden sämtliche methodischen und wissenschaftlichen Aspekte der Analyse des IPCC-Sonderberichts zum 1,5 °C-Ziel des Pariser Abkommens „überprüft und teilweise erheblich verbessert“, wie der SRU erläutert („Wie viel CO₂ darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO₂-Budget“). Neben einem Abgleich der mittels Klimamodellen berechneten Erwärmung mit den historisch beobachteten Werten, gehörte eine neue Bestimmung der bisherigen Erwärmung der Erde dazu – sie wurde etwas geringer angesetzt als zuvor.
Das Ergebnis lautet: Aktualisiert beträgt das Budget ab 2022 für Deutschland 6,1 Gt CO₂ um die Erhitzung der Erde auf 1,75 Grad zu begrenzen (mit 67 % Wahrscheinlichkeit, 775 Gt globale Emissionen). Für das 1,5-Grad-Ziel (50 % Wahrscheinlichkeit, 500 Gt globale Emissionen) müsste Deutschland seine Emissionen auf 3,1 Gt CO₂ begrenzen bzw. 2,0 Gt CO₂ für das 1,5-Grad-Ziel (67 % Wahrscheinlichkeit, 400 Gt globale Emissionen). Die vorgeschlagenen maximalen CO₂-Budgets stellen eine Obergrenze dar, die nicht überschritten werden sollte, argumentiert der SRU.
Wann wären diese Budgets aufgebraucht
Im Sinne der Bestimmung einer Obergrenze seien diese Budgets hinsichtlich wissenschaftlicher Unsicherheiten und normativer Entscheidungen großzügig zugunsten Deutschlands gewählt, erklärt der Sachverständigenrat in seiner Stellungnahme. Konkret gemeint ist damit: Bei den Temperaturzielen wird auch das Ziel von 1,75 °C berücksichtigt, und nicht nur das Ziel von 1,5 °C, und die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung umfasst 67 % bzw. 50 %, und nicht den vom IPCC verwendeten höchsten Wert von 83 %.
Die Budgets wären, bei linearer Emissionsreduktion ab 2022, in den Jahren 2040, 2031 bzw. 2027 aufgebraucht, so der SRU. Aus den Enddaten lassen sich zudem prozentuale Reduktionsraten ableiten (bei linearer Reduktion): „Für den Wert 1,75 °C (67 %) beläuft sich die prozentuale lineare Reduktion pro Jahr ab 2022 auf 5,4 %, was eine 65%ige CO₂-Reduktion bis 2030 gegenüber 1990 darstellt.“
CO₂ als Leitgröße für Emissionsminderungen
In der Atmosphäre beträgt die CO₂-Konzentration über 420 ppm (siehe auch: Mauna Loa Monthly Averages), die höchste seit rund drei Millionen Jahren (die DGS-News berichteten). Ein weiteres Indiz für das Anthropozän: Im Mittel verbleiben etwa 45 % der menschlich verursachten CO₂-Emissionen dauerhaft in der Atmosphäre, teilt der SRU in seiner Stellungnahme mit. Da CO₂ in Deutschland 88 % der Klimawirkung aller Treibhausgase ausmacht, eignet es sich hierzulande als Leitgröße für notwendige Emissionsreduktionen, erklären die Wissenschaftler:innen.
Sie fordern, dass die Politik deutlicher kommunizieren sollte, „dass der Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern und CO₂-Neutralität global vor der Treibhausgasneutralität erreicht werden muss (in Deutschland allerdings nur wenige Jahre).“ Im politischen Diskurs um Klimaneutralität werde meist nicht berücksichtigt, dass CO₂-Emissionen nach gängiger Berechnung schon vor dem Zeitpunkt der Treibhausgas- oder Klimaneutralität Netto-Null erreichen müssten, ergänzen sie.
Aktuelle Lage an der Ostsee
Mit Blick auf den Einfluss der ersten drei Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf die Atmosphäre, hat das Umweltbundesamt (UBA) seine Berechnungen veröffentlicht:
Insgesamt werden voraussichtlich 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Methan ist deutlich klimaschädlicher als CO₂. Auf einen hundertjährigen Zeitraum gesehen erwärmt eine Tonne Methan die Atmosphäre genauso wie 25 Tonnen CO₂. Daher muss der Klimaeffekt der Lecks mit etwa 7,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten beziffert werden.“ Da es keine Abschottungsmechanismen an den Pipelines gebe, nimmt die Umweltbehörde an, dass der gesamte Inhalt der Röhren entweichen werde. Sollte sich herausstellen, dass die Lecks in internationalen Gewässern liegen, „werden die Emissionen in keiner Emissionsberichterstattung erfasst, bleiben aber genauso klimaschädlich“, so das UBA. Aktuelle Informationen zeigen, dass „zumindest eines der Lecks nach bisherigen Informationen auf dänischem Hoheitsgebiet“ liege, deshalb „werden die Emissionen in der Klimaberichterstattung voraussichtlich Dänemark zugerechnet werden“, ergänzt die Behörde (Pressemitteilung vom 28.09.2022).