30.06.2023
1,5 °C: Dieses Jahrzehnt ist entscheidend
Beobachtungen von Tatiana Abarzúa
Solange wir Treibhausgase ausstoßen, werden die Temperaturen weiter steigen. Das Thema ist bekannt, und wurde bereits in zahlreichen Artikeln in den DGS-News oder ach in der SONNENENERGIE angesprochen. Hier soll es um neue Zugänge zum Thema gehen, wie eine Klima-Uhr und ein Spielfilm über US-Klimaaktivisten.
Diese Woche wurde in London öffentlichkeitswirksam eine Klima-Uhr errichtet (siehe Foto). Diese soll darauf aufmerksam machen, dass es inzwischen weniger als sieben Jahre sind, die noch bleiben um die globalen Emissionen an Treibhausgasen wirksam zu reduzieren, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Aktivist:innen aus New York hatten die erste dieser Uhren im September 2020 am Union Square aufgebaut. Nach Angaben der Initiator:innen hat diese Uhr „weltweit einen Nerv getroffen und sich schnell als ikonischer Bezugspunkt für die dringende Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen etabliert“.
Hintergrund zum 1,5-Grad-Ziel
Die Erwärmung durch anthropogene Emissionen seit vorindustrieller Zeit bis heute wird weiterhin das Klimasystem verändern, und zu Erderwärmung, Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg führen. Sollte die globale Erwärmung mit der bisherigen Geschwindigkeit weiter zunehmen, wird die globale oberflächennahe Temperatur den Schwellenwert von 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052 erreichen. Das ist seit mindestens 2018 wissenschaftlich unumstritten (die DGS-News berichteten). Vor einem Jahr teilte der britische Wetterdienst Met Office mit, dass dieses 1,5-Grad-Ziel von Paris mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % bereits bis zum Jahr 2026 gerissen wird (die DGS-News berichteten). Die ermittelte Menge an CO₂-Emissionen, die mit der im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Begrenzung der Erderwärmung vereinbar ist, beträgt für Deutschland 400 Gigatonnen (1,5 Grad, 67 % Wahrscheinlichkeit) bzw. 500 Gt (1,5 Grad, 50 %, Wahrscheinlichkeit), wie der SRU in einer Stellungnahme erläutert hat. Bei einer Begrenzung auf 1,75 Grad (67 % Wahrscheinlichkeit) sind es 775 Gt.
Climate Clock
Zur New Yorker Klima-Uhr-Crew gehört auch Buchautor Andrew Boyd. Im Rahmen einer „Stand-Up-Tragedy“ stellte er vor Kurzem in Berlin neben dem Projekt „Climate Clock“ auch Aspekte aus seinem aktuellen Buch vor. Der langjährige Aktivist sagt, dass er sein Buch innerhalb eines Zeitraums von neun Jahren geschrieben hat. Dabei sei ihm aufgefallen, dass viele Erwachsene angesichts der Klimakrise sagen, dass sie sich manchmal klein fühlen. Er selbst hätte eine Hoffnungskrise gehabt – „a crisis of hope“. Er möchte nicht als Spielverderber dastehen, jedoch haben die Menschen das sechste Massenaussterben verursacht, so Boyd. All diese Gedanken brachten ihn dazu das Buch zu schreiben, ergänzt er.
Status: Super heikel
Bei seinem Vortrag ging es vor allem um ein umfangreiches, teilweise sehr humorvolles, Diagramm, das auch im Internet verfügbar ist. Laut Boyd soll es dabei helfen, durch die Klimakrise zu navigieren. Als Beispiel nennt er die Frage, ob wir Menschen vor einem Problem oder einer Notlage („predicament“) stehen. Es sei eine Notlage, da das Problem nie lösbar sein werde, sagt der Autor. Eine Notlage bedürfe einer anderen Herangehensweise. Denn die Lage wird sich weiterhin ungelöst anfühlen. „Optimismus wird uns nicht weiterbringen“ warnt er. In seiner Rede erwähnt er aktuelle Umfragewerte, etwa, dass 39 % aller US-Amerikaner:innen denken, „dass Gott schon intervenieren werde, bevor die Situation allzu schlimm werde“. Die wichtigste Frage für Boyd dabei ist: „Wer ist ,wir' ?“ Damit möchte er betonen, dass es Menschen gibt, die „an vorderster Front“ direkt betroffen sind („front line communities“) und Gruppen, die der Klimakrise weniger stark ausgesetzt sind. Viele würden weiterhin glauben, dass andere betroffen sein werden, und sie selbst nicht. Ein klarer Fall emotionaler Ablehnung („emotional denial“), so Boyd. Sein Zwischenfazit: „Wir sind im selben Sturm, doch wir sitzen in verschiedenen Booten.“
Seine Antwort auf die Frage, ob es einen Grund gibt, optimistisch zu sein, ist: „Ja und Nein“. Beides sei wahr, so Boyd. „Und jetzt“, mit dieser Erkenntnis, „kommen wir weiter“, betont er. Wir müssen so handeln, wie es für einen Notfall angebracht ist („emergency“). Wir haben hier mit einem super heiklen Problem zu tun („a wicked problem“). Außerdem versuchen ausgerechnet die Menschen, die das Problem verursacht haben, es zu lösen. Seiner Meinung nach gibt es viele Strategien, um die Ursachen der Lage anzugehen. In den USA hat die Divestment-Bewegung erreicht, dass viele Investitionen aus der Fossilindustrie abgezogen werden, Auch das Projekt Drawdown sei ein gutes Beispiel, da es hundert Lösungen veranschaulicht „um die Klimaerwärmung umzukehren“.
Fiktion in Zeiten der Klimakrise
Die Divestment-Bewegung ist auch der Einstieg in den aktuellen Spielfilm „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“, der letztes Jahr die Filmpremiere in Toronto hatte. Zwei der Protagonist:innen lernen sich über die Divestment-Gruppe ihrer Uni kennen. Während Nachrichten über globale Klimafolgen über Bildschirme laufen, setzen sich junge Menschen damit auseinander was getan werden muss. Der Film basiert auf einem Buch des schwedischen Autors Andreas Malm, in welchem sich der Humanökologe und Klimaaktivist für eine Strategie der Sabotage ausspricht. Dabei stehe für ihn jedoch immer der Schutz der Menschen an erster Stelle. Seiner Meinung nach wollen „die herrschenden Klassen auf diesem Planeten“ das, was übrig sei, so schnell wie möglich verbrennen, „und nichts – gar nichts – hat sie bisher davon abgehalten“. Sie seien „vollständig und auf eine infernalische und dämonische Art und Weise außer Kontrolle“.
In der Anfangssequenz des Spielfilms wird das notwendigste visuell berichtet, um Xochitl, Shawn, Dwayne, Theo, Alisham Rowan und Logan vorzustellen, die in Texas eine Öl-Pipeline zur Explosion bringen wollen – ohne dass dabei ein Tropfen Öl fließt. Bei einer anderen Aktivistin ist das Thema Wut zentral, das wird gleich zu Anfang gezeigt, und wird auch verständlich angesichts der Krankheit, der sie sich stellen muss. Diese ist möglicherweise eine direkte Folge auf die Abgase der Raffinerien, denen sie sich ihr ganzes Leben lang ausgesetzt hat. Ein Protagonist ist Farmer und wurde beim Bau der Pipeline enteignet. Die Zuschauer:innen sind von Anfang an mit dabei in der spannenden Erzählung, die mit Blick auf einen autodidaktischen Bombenbastler eine Hand-on-Mentalität aufzeigt, jedoch nicht das ist was der Titel suggeriert. Der Plan der jungen Leute ist sehr kompliziert und raffiniert, und die ganze Zeit sieht es so aus, dass gleich etwas schiefgehen kann.
Filme wie dieser sind ein weiterer Schritt, um das Thema Klimakrise, und wer dafür verantwortlich ist, mehr ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Dieses Thema wird noch sehr lange aktuell bleiben.
Das Zeitfenster bewusst machen
Für Deutschland ist, seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klima-Abkommens nicht nur völkerrechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich als verbindlich zu betrachten (die DGS-News berichteten). In einer Zeit in der die regierende „Ampel“ sehr oft auf „gelb“ und „rot“ steht, etwa beim Wegfall der Sektorenziele im Klimaschutzgesetz, und nicht auf „grün“, sind Künstler:innen und die Zivilgesellschaft gefragt, zu handeln. Wenn die Politik das zeigt was derzeit möglich ist, dann machen die Kreativen darauf aufmerksam, dass es auf die nächsten fünf bis zehn Jahre ankommt und erweitern den Handlungsraum. Denn wir alle, die wir den „Sturm“ der Klimakrise ausgesetzt sind, sind aktuell die letzte Generation, die etwas verändern kann.