30.04.2021
Was haben Atombomben mit Windrädern zu tun?
Ein Bericht über Auswirkungen einer falschen Infraschallberechnung von Heinz Wraneschitz
Am 6. Januar 2016 um 2:30 Uhr hiesiger Zeit wurde in der nordkoreanischen Provinz Nord-Hamgyong vermutlich ein unterirdischer Kernwaffentest durchgeführt. 11 Minuten 38 Sekunden später schlugen nahe Haidmühle im Landkreis Freyung-Grafenau hochsensible Messgeräte Alarm: Hier steht die deutsche Überwachungsstation für weltweite Kernwaffentests.
Der Betrieb dieser 1992 eröffneten, GERES genannten Einrichtung mitten im Bayerischen Wald ist eine wichtige Aufgabe der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Sitz Hannover. Um selbst kleinste Ausschläge registrieren zu können, darf es rund um GERES möglichst keine Störungen geben. Wellen aller Art sind schädlich für die Messungen - im Boden wie in der Luft. "Der Bayerische Windenergieerlass enthält deshalb ausdrücklich Regelungen für Abstände von Windkraftwerken (WKW) zu seismischen Messstationen der GBR", heißt es aus dem zuständigen Umweltministerium.
Die ständig drehenden Rotoren der WKW verursachen bekanntlich Lärm - hörbaren wie sogenannten Infraschall in der Frequenz unter 20 Hertz. Mit dem Start des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG im Jahre 2000 sind immer mehr WKW auch in Bayern entstanden. Ab dem 1. April 2004 hat die BGR Untersuchungen zu deren Emissionen angestellt. Dabei wurden ziemlich hohe Infraschall-Werte festgestellt.
"Bei den Infraschall-Stationen, deren Messungen durch hochempfindliche Mikrobarometer vorgenommen werden, sind WKW eine maßgebliche Quelle von Störsignalen", stellt BGR-Pressesprecher Andreas Beuge klar. 2009 machte die BGR diese Ergebnisse öffentlich. Und seitdem wurden diese immer wieder genutzt, um gegen die Genehmigung von WKW zu argumentieren.
Das kennt man auch beim bayerischen Ableger des Bundesverbands Windenergie (BWE): "Das Thema Infraschall ist wichtig für die Akzeptanz der Windenergie und wird praktisch in jedem neuen Projekt diskutiert."
Bayerns Umweltministerium stellt aber klar: "Einwirkungen des von Windenergieanlagen ausgehenden Infraschalls sind für das Genehmigungsverfahren und die Genehmigungsfähigkeit von WKW nicht zu berücksichtigen." Trotzdem behaupten Windkraftgegner bis heute: Infraschall von WKW gefährdet die Gesundheit.
Doch bei jenen "Untersuchungen ist es nicht um Auswirkungen von Infraschall-Emissionen auf Menschen gegangen", darauf habe die BGR laut Beuge immer wieder hingewiesen. Dennoch nahm seine Bundesanstalt im vergangenen Jahr "kritische Hinweise sowie neuere wissenschaftliche Untersuchungen entsprechend der Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis zum Anlass, die eigenen Ergebnisse intern zu überprüfen".
Das Resultat ist nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten desaströs: Die zuletzt 2016 veröffentlichten "Schalldruckpegel enthalten einen systematischen Fehler und sind 36 Dezibel zu hoch", ist im achtseitigen Papier "Infraschall und Windenergie" zu lesen. Das gab die BGR am 12. April 2021 heraus, um es aber am 27. April schon wieder zu revidieren.
Wenn WKW nicht 100, sondern lediglich 64 Dezibel Infraschall emittieren, bedeutet das: mehrtausendmal weniger unhörbare Lärmemissionen. "Es tut mir sehr leid, dass falsche Zahlen über einen langen Zeitraum im Raum standen", entschuldigte sich daraufhin sogar Bundes-Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Die Behörde BGR ist seinem Ressort unterstellt.
Auch wenn den BWE Bayern freut, "dass die Berechnungen der BGR, auf die sich die Windkraft-GegnerInnen dabei immer wieder berufen, nun endlich korrigiert werden": Die BGR versäumt selbst nach dem Bekenntnis zum massiven Rechenfehler nicht, die eigene Schuld zu verbrämen. "Kritische Hinweise im Verlauf des Jahres 2020" hätten zum Nachrechnen veranlasst, schreibt ihr Sprecher. Der verweist vor allem auf solche der PTB, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig.
Die PTB sieht das augenscheinlich anders. "Wir haben niemanden darauf aufmerksam gemacht. Wir sind ganz spät dazu aufgefordert worden: Die BGR hat uns um Mithilfe gebeten. Und es gab Anforderungen aus der Gesellschaft", macht am Telefon Christian Koch deutlich. Er leitet an der PTB den Fachbereich Schall: "Wir haben dargestellt, wie man die Schallberechnung normgerecht machen würde. Es geht dabei um Schalldruckpegel und weitere Messgrößen."
Warum die BGR nicht von Anfang an bei der fachkundigen PTB um Rat bei der Infraschallbewertung rund um die Atomtest-Messstation gebeten hat, ist nicht bekannt. Nun aber hat laut Koch "ein wissenschaftlicher Diskurs begonnen, denn es gibt tatsächlich viele offene Fragen. Wir nehmen an diesem wissenschaftlichen Disput teil." Worum es dabei genau gehen müsse, erklärt Christian Koch so: "Nach meinem Verständnis sind es zwei völlig verschiedene Fragestellungen. Einerseits geht es um die Frage: Wie nah darf eine Windkraftanlage an der Messstation sein? Die zweite Frage ist: Macht eine Windkraftanlage den Menschen schädigende oder störende Geräusche?"
Im Landkreis Freyung-Grafenau "hat der 15 km Abstand bis jetzt noch keine Windkraftanlage verhindert. Es wurde hier noch kein Antrag auf Errichtung einer größeren Windkraftanlage gestellt", heißt es aus dem dortigen Landratsamt. Bayerns Umweltministerium kennt lediglich einige WKW, die wegen naher Erdbebenmessstationen auf der Frankenalb "keine Genehmigung der zuständigen Behörden vor Ort fanden".
Zu Berichten mehrerer Medien, dass es im Zusammenhang mit Infraschall bei Speichersdorf im Landkreis Bayreuth Windkraft-Genehmigungsprobleme gebe, schreibt uns das dortige Landratsamt: "In den bisherigen Verfahren wurde die Problematik Infraschall zwar gewürdigt, es kam deswegen jedoch nicht zu merklichen Verzögerungen. Derzeit laufen im Raum Speichersdorf keine Verfahren zur Genehmigung von WKW."
Doch trotz aller neuen Erkenntnisse, ob von der PTB und aus dem eigenen Haus bleibt die Atombomben-Uberwachungsbehörde BRG laut Pressesprecher Beuge auch Ende April 2021 dabei: "Die gültige Abstandsempfehlung für WKA zum ungestörten Betrieb der Infraschall-Station im Bayerischen Wald bleibt bestehen. Der bei der Programmierung des Algorithmus entstandene systematische Fehler wirkt sich nicht auf den für Störsignale relevanten Entfernungswert von 15 km aus."