30.04.2021
Pioniere der Erneuerbaren Energien 4: Johannes Juul
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Erneuerbaren Energien sind weder plötzlich vom Himmel gefallen noch sind sie das Produkt unbekannter Erfinder nach einer durchzechten Nacht. Sie sind das Ergebnis unzähliger Einzelinnovationen von einer Vielzahl von Menschen, die heute – stets zu Unrecht – mehr oder minder vergessen sind. Diese Pioniere der Erneuerbaren Energien aus dem Halbschatten der Geschichte ins fachöffentliche Bewusstsein zu ziehen, ist der Sinn dieser Serie. Die entsprechenden Beiträge werden in unregelmäßigen Abständen und ohne chronologische Reihenfolge der Personen erscheinen. Auch stellt die Reihenfolge keine Rangfolge der technisch-wissenschaftlichen Leistungen der entsprechenden Personen dar.
Johannes Juul (1887–1969)
Wäre Johannes Juul mit 60 Jahren als damals schon alter Mann gestorben, kaum jemand außer dem näheren Umfeld und den Geschäftspartnern hätte davon Kenntnis genommen – ein tüchtiger, erfolgreicher dänischer Ingenieur, mehr nicht. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Mann noch in seinem letzten Lebensquartal die Windenergie revolutionieren und die Grundlagen zum heutigen Windkraftanlagen-Design legen würde.
Juul wurde am 27. Oktober 1887 in Ormslev nahe Aarhus auf dem dänischen Festland geboren. Schon früh interessierte er sich für Physik, was auch von seiner Familie gefördert wurde. Die Familie gehörte zu Bewegung des Pfarrers und Volkspädagogen Nikolai Frederik Severin Grundtvig, der mit seiner Volkshochschulbewegung auf eigenständiges Lernen und Bildung als wichtige Persönlichkeitsbestandteile neben der Frömmigkeit gelegt hatte. So war es naheliegend, dass Juul 1904 seine technische Ausbildung an der Volkshochschule in Askov begann, einem kleinen Ort auf Jütland zwischen Kolding und Esberg, wo unter Anleitung von Paul La Cour die ersten Anlagen zur Windelektrizität entstanden waren. Juuls weitere Ausbildung zum Elektrotechniker setzte er in Kopenhagen und Helsingør fort. Von 1915-1926 betrieb er sein eigenes Elektroinstallations-Unternehmen in Køge, 20 km südlich von Kopenhagen. 1926 wurde er von der Süd-Seeländischen Elektrizitäts AG (SEAS) angestellt, durfte jedoch seine privaten Forschungen nebenher fortsetzen. Anfang der 1930er Jahre entwickelte Juul einen elektrischen Niederspannungs-Ofen, der 1934 patentiert und von einer Firma in größeren Stückzahlen gebaut wurde – ein großer wirtschaftlicher Erfolg.
Doch was die Windenergie anbelangte, so schien nichts Juuls Interesse in diese Richtung entfachen zu können: weder 1. Weltkrieg noch Weltwirtschaftskrise, noch Weltkohlekonferenzen (eine frühe Form der Black-out-Phobie). In der Tat hatte die Windenergie in der Zeit zwischen den Weltkriegen insbesondere auch in Dänemark ihr „Dunkles Zeitalter“: Das Stromnetz wurde ausgebaut und zentral durch große Kraftwerke versorgt, Wechselstrom statt Gleichstrom kam in die Haushalte, die alten Windmühlen verschwanden und wurden durch Motormühlen ersetzt. 1940 war alles anders: Dänemark wurde von NS-Deutschland besetzt und anschließend ausgeplündert; insbesondere von den knappen Energieressourcen blieb wenig im Land. Torf musste nun als Brennstoff für den heimischen Ofen und Treibstoff für das Holzvergaser-Auto dienen. Und beim Strom? Da gab es eine Renaissance der Windelektrizität, zum einen mit den vierflügeligen „Mühlen“ des traditionellen Herstellers Lykkegaard, zum anderen die auf Betontürmen errichteten Windkraftanlagen – meist Zweiflügler, selten Dreiflügler – des Kopenhagener Unternehmens F.L. Smidth, das aus der Betonwirtschaft kam. Doch der Windenergie-Ausbau blieb durch die Kriegs- und Besatzungswirtschaft in engen Grenzen.
Nach dem Ende des Krieges wollte man auch in der Energiewirtschaft möglichst schnell zurück zu den früheren, „normalen“ Verhältnissen – ein Phänomen, dass man derzeit auch in der Corona-Pandemie beobachten kann. Nur Johannes Juul hatte aus der Geschichte, auch seiner eigenen, gelernt und war nicht bereit die Windenergie wieder aufzugeben. Er konnte seinen Arbeitgeber, die SEAS, überzeugen, ihn dabei zu unterstützen, wobei ihm der Erfolg mit seinem Niederspannungs-Ofens sicherlich argumentativ geholfen haben dürfte. Juul begann mit Forschungen und Publikationen zur Windenergie, stellte an unterschiedlichsten Orten Dänemarks Messungen zur Windgeschwindigkeit an. 1950 errichtete er seine erste Anlage in Vester Egesborg in Süd-Seeland. Die Anlage ruhte auf einem mit der Spitze nach unten gestellten, rund 12 Meter langen Gittermast, der drehbar war, und etwa in der Mitte von einem Ring mit mehreren Abspannseilen gehalten wurde. Als Luvläufer errichtet (Rotor auf der dem Wind zugewandten Seite des Turms), hatte die Windturbine zwei sich gegenüberliegende ganze und zwei halbe Flügel und einen maximalen Durchmesser von 8 Metern. Die Turbine war stallgeregelt, d.h. bei zu hoher Windgeschwindigkeit, die die Anlage zerstören konnte, riss die Strömung an den fest in der Nabe verankerten Flügeln ab, so dass der Rotor sich wieder langsamer drehte. Als Experiment und Messstation sicher interessant, aber konnte so die Zukunft der Windenergie aussehen, zumal schon 1950 ein Rotorblatt brach?
1952 konnte Juul auf der Insel Bogø südlich von Seeland mit einer Turbine experimentieren, die 1942 von F.L.Smidth dort errichtet worden war – SEAS hatte die Energiegesellschaft von Bogø übernommen, und überließ Juul die Windturbine. Juul baute den dreiblättrigen, Gleichstrom erzeugenden Leeläufer (Rotor auf der dem Wind abgewandten Seite des Mastes) auf dem F.L.Smidth-typischen Betonturm zu einem dreiblättrigen, Wechselstrom erzeugenden, stallgeregelten Luvläufer um. Zudem erfand Juul ein System aerodynamischer Bremsen an den Blattspitzen, das er sich 1952 patentieren ließ. Die Turbine in Bogø mit einer Leistung von 45 kW saß auf dem 22-Meter-Turm.
Nach weiteren Berechnungen und Publikationen konnte Juul 1956/57 endlich eine – für damalige Verhältnisse – große Anlage bauen, und zwar in Gedser, einem der windhöffigsten Gebiete der dänischen Ostsee. Auch hier dient wiederum ein vorhandener Betonturm als Basis. Die Anlage hatte eine installierte Leistung von 200 kW, und zeigte das dann später zur Konstruktionstradition gewordene typisch dänische Windkraftanlagen-Design: drei Flügel, Luvläufer, Wechselstromgenerator, elektromechanische Windausrichtung, Blattspitzenbremse, Stallregelung (wobei die letzten beiden Techniken später aufgegeben wurden). Wie schon die Turbine auf Bogø lief auch Gedser-Anlage über Jahre hin problemlos und fast ohne Wartung.
1962 verfasste der Dänische Windkraft-Ausschuss des Dänischen Elektrizitätswerke Verbandes (DEF) einen Untersuchungsbericht, in dem er zwar einerseits die Zuverlässigkeit und Mustergültigkeit der Gedser-Anlage hervorhob, sie andererseits aber als mit zu hohen Stromproduktionskosten behaftet hinstellte. Der inzwischen 75jährige Johannes Juul widersprach zwar, indem er nicht nur die Brennstoffkosten der Kraftwerke, sondern deren Gesamtkosten berechnete, und auf die technischen Entwicklungspotentiale der Windkraft verwies, aber er fand kein Gehör. Die Gedser-Anlage wurde noch bis 1966 weiter betrieben; Juul selbst starb 1969 ohne Hoffnung auf eine Renaissance der Windkraft.
Dänemark musste erst in der Energiekrise von 1973 – und damit zum 2. Mal nach 1940 – die Erfahrung machen, dass ein Land, welches seine eigenen Energieressourcen nicht nutzt und sich auf Lieferungen aus dem Ausland verlässt, auch ökonomisch ziemlich unklug handelt. Die Renaissance der Windenergie und die umfangreiches Nutzung der Solarthermie zeigen, dass man diese Lektion inzwischen nachhaltig gelernt hat. Auch wenn er es selbst nicht mehr erlebte, so hat Johannes Juul an dieser Entwicklung einen entscheidenden Anteil.
In unserer Serie „Pioniere der Erneuerbaren Energien“ sind bereits erschienen:
- Teil 1: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus www.dgs.de/news/en-detail/180920-pioniere-der-erneuerbaren-energien-1-ehrenfried-walther-von-tschirnhaus/
- Teil 2: Augustin Mouchot www.dgs.de/news/en-detail/301020-pioniere-der-erneuerbaren-energien-1-augustin-mouchot/
- Teil 3: Poul la Cour https://www.dgs.de/news/en-detail/190221-pioniere-der-erneuerbaren-energien-3-poul-la-cour/