29.11.2019
Das Drama der deutschen Windindustrie
Mit dem Kohleausstiegsgesetz bereitet die Bundesregierung gegenwärtig einen Frontalangriff auf die einheimische Windindustrie vor. Die Anzahl der Windräder an Land soll nicht nur eingefroren, sondern reduziert werden. Mit der Abstandsregel 1.000 Meter selbst zu kleinsten Wohnsiedlungen hat die GroKo ein wirksames Instrumentarium ins Gesetz geschrieben, das zuvor schon die bayerische Landesregierung eingeführt und ausprobiert hatte. Die Krise, in der sich die deutsche Windindustrie befindet, hatte aber ihre Vorgeschichte mit den Ausschreibungen.
In der Öffentlichkeit ist aktuell die Lage der Firma Enercon diskutiert worden, die in ihren inländischen Werken eine vierstellige Zahl von Arbeitsplätzen abbauen muss. Aber bei anderen Unternehmen sieht es nicht besser aus. Enercon wird sich aus Deutschland teilweise zurückziehen und auf die internationalen Märkte konzentrieren. Damit dürfte das Unternehmen, das zu den führenden seiner Branche gehört, überleben, auch wenn insgesamt von der einst blühenden deutschen Windenergiebranche nicht mehr viel übrig bleiben dürfte. Neben den gesetzgeberischen Maßnahmen der GroKo haben auch die stark angewachsenen Bürgerinitiativen gegen die Windkraft eine Rolle gespielt. Sie bilden eine unheilige Allianz von fossiler Energiewirtschaft, Politik und aufgestacheltem Kleinbürgertum, die sich das Aus für die Windkraft auf die Fahnen geschrieben hat. Ob es zu einem solchen Aus kommt, ist eine andere Frage.
Was hierzulande kaum jemand weiß, dies wäre nicht der erste Zusammenbruch einer deutschen Windindustrie. Bereits in der Kaiserzeit, in den Jahren 1895 bis 1905 war an der Nordseeküste eine florierende Windbranche entstanden. Betriebe im Raum Emden und Aurich gehörten neben Wettbewerbern aus Holland und Dänemark zu den Größen der Branche. Sie überlebten den ersten Weltkrieg und hatten einen beträchtlichen Anteil an der Elektrifizierung im ländlichen norddeutschen Raum, besonders an der Küste. In einer dänischen Chronik wird die Zeit bis Anfangs der 1930 er Jahre als "goldenes Zeitalter" der Windindustrie beschrieben.
Während in den beiden Nachbarländern die Großtechnologien der Kohleverstromung und der Übertragungstechnik der dezentralen Windkraft das Leben schwer machten, konnte sie dennoch überleben. Ganz anders in Deutschland. Nach dem Wahlsieg der NSDAP im Jahre 1933 begann eine Förderung der Kohleverstromung auf großer Stufenleiter. Gewissermaßen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, hatten ja namhafte Kohlebarone von der Ruhr, etwa Hugo Stinnes, die Nazipartei massiv bei deren Aufbau unterstützt.
Das sogenannte Dritte Reich wurde als starker Staat aufgebaut, der auch in der Industrie im Rahmen der Kriegsvorbereitungen das Ruder in die Hand nahm. Beispiele sind die Reichspost, die Reichsbahn oder die Reichsautobahnen. Beim Hochspannungsnetz der deutschen Stromerzeuger gingen die Uhren aber anders. Das „öffentlich“ genannte Hochspannungsnetz war so wenig öffentlich wie die Goldreserven der Deutschen Bank. Es war im Besitz der neun Mitglieder von Deutschlands exklusivsten Club, der deutschen Verbundgesellschaft e.V. und durfte ausschließlich von diesen benutzt werden.
Dies ließen sich die Stromriesen in einem Gesetz festschreiben, dessen Name auch heute noch existiert: dem am 13. Dezember 1935 in Kraft getretenen Energiewirtschaftsgesetz. In dessen Paragraphen war auch der Anschlusszwang festgelegt, wonach jeder Haushalt und jeder Betrieb seinen Strom aus dem "öffentlichen" Netz über die darunter angesiedelten Gesellschaften und Stadtwerken zu beziehen hatte. Großkonzerne mit Eigenerzeugung ausgenommen. Private Stromerzeugung mit Wasser- und Windkraft war damit verboten.
Für die junge Branche der Windkraft war dies der Todesstoß. Die rund 20.000 Windräder an der Nordseeküste mussten abgebaut werden. Wie das vor sich ging, zeigte eine Ausstellung im schleswig-holsteinischen Landesmuseum bei Kiel, die in den 1980er Jahren dort gezeigt worden war, heute aber verloren gegangen zu sein scheint. Vor einer großen Fotoleinwand lag eines der für die damalige Zeit typischen Windräder, ein rund 10 m hoher Gittermast mit eng gestaffelten, breiten Rotorblättern, wie sie aus alten Wildwestfilmen bekannt sind.
Dort war auch ein solches Rad in einem Bauernhof zu sehen, das gerade mit einem Stahlseil, welches ein Polizist mit Tschako oben befestigt hatte, "gelegt" werden sollte. In der Bildlegende konnte man lesen, dass der "störrische Bauer" unter Polizeiaufsicht den Stromvertrag mit der Schleswag AG unterschreiben musste. So, die Bildlegende weiter, sei es 20.000 Betreibern solcher Windräder ergangen. Müßig zu erklären, dass die damalige Windindustrie in kürzester Zeit verschwunden war. Bis zur Wiedererstehung einer deutschen Windindustrie sollte es, im Unterschied etwa zu Dänemark, Jahrzehnte dauern.
Nun darf man die heutige Bundesregierung nicht mit den Nazimachthabern in einem Atemzug nennen. Gleich geblieben ist aber die Kumpanei der großen EVUs mit dem Bundeswirtschaftsministerium und deren gemeinsame Abneigung gegen die kostenfrei zu erzeugende Primärenergie Wind. Auch wenn heute kein "Ordre de Mufti" von Minister Altmaier ausgesprochen werden kann, sondern der wirtschaftliche Wettbewerb mit mehr oder weniger Einfluss von Lobbyverbänden auf Parteien, Ministerialbürokratie und Öffentlichkeit abläuft, sollte man die Unvereinbarkeit von erneuerbaren Energien und fossilen Brennstoffen nicht vergessen. Ökonomisch verhält sich beides zueinander wie Feuer und Wasser, auch wenn auf bunten Plakatwänden und mit einer überbordenden Internetwerbung ein gegenteiliger Eindruck vermittelt werden soll. Die ganze Geschichte der Windenergie und ihre historischen Erfahrungen darf man nicht leichtfertig beiseite wischen.
Klaus Oberzig
Literatur
Nikolaus Eckhardt, Margitta Meinerzhagen, Ulrich Jochimsen, DIE STROM DIKTATUR, von Hitler ermächtigt - bis heute ungebrochen, Verlag Rasch und Röhring, Hamburg 1985
Povl-Otto Nissen et al., WIND POWER - the Danish way, The Poul la Cour Foundation - Askov 2009