29.11.2019
Autos? Kleiner, leichter – besser!
Seit ungefähr zwei Jahrzehnten huldigt die deutsche Autoindustrie dem SUVismus – größer, schwerer, protziger. Das hat natürlich zum einen mit den von der Industrie befeuerten Käuferwünschen der alternden, narzistischen Massengesellschaft zu tun: „ich will von allen gesehen werden“ und „ich will bequem einsteigen können“. Insofern ist der SUV – anders als der Name es ausdrückt – eher ein Seniorenauto als ein Sportwagen. Andererseits stehen auch die Gewinn-Interessen der Autoindustrie hinter dem Gedanken, große Autos für möglichst viel Geld zu verkaufen: die Handling-Kosten wie technische Ausgangskontrolle und Dokumentation sind praktisch gleich, ob man nun ein Auto für 25.000 € oder für 75.000 € verkauft. Und da kann man als Hersteller bei einem SUV mit viel – sinnlosem – Metall für viel Geld argumentieren. Daher versuchen die Autokonzerne auch, den SUVismus in das Zeitalter der E-Mobilität hinüber zu retten: der Audi e-tron (ca. € 80.000) und der Mercedes EQC (ca. € 71.000) sind Ausdruck dieses Denkens.
Dabei hatten die E-Autos in den 1990ern mal klein und leicht angefangen. Die bis zu viersitzigen Fahrzeuge waren nicht nur Elektrifizierungen von konventionellen Serienfahrzeugen, sondern z.T. durchaus weitgehend eigenständige Modelle wie der Optima E-25 GLS von Ligier, der Kewett El-Jet oder der Hotzenblitz. Und sie waren schon damals nicht unsicher: bereits Anfang 1993 schrieb ich in AutoBild („Hier fahren Sie ohne Sprit“): „Vorurteil: Kleine, leichte E- und Solarautos sind fahrende Särge. Irrtum. Der Kewett El-Jet zeigt bei einem Crash-Test mit 50 Stundenkilometern: Kleine Flitzer sind oft stabiler als manch‘ aufgeblasener Riese.“ Neben den hohen Fahrzeugpreisen, die den geringen Stückzahlen der Vor- und Kleinserien geschuldet waren, spielte immer auch die geringe Kapazität der Blei- und NiMH-Akkus eine Rolle. Die lag daran, dass bis es zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum einen Bedarf für leichte Fahrzeugakkus und damit auch keinen für die entsprechende Forschung gab: praktisch waren die einzigen E-Fahrzeuge mit größeren Akkus zwischen 1914 und 1990 U-Boote, bei denen das Gewicht der Blei-Akkus keine Rolle spielte. Nachdem die E-Kleinfahrzeuge der 1990er vom Markt verschwunden waren, setzte die deutsche Autoindustrie auf ihren o.a. ökologischen Irrweg, der Energie und Rohstoffe verschwendet, Parkplätze und Ladezeiten kostet.
Doch andere Länder, andere Sitten: in Japan gibt es z.B. traditionell die Kei-Cars. Diese Kleinfahrzeuge dürfen maximal 3,40 Meter lang und 1,48 Meter breit sein, nicht mehr als 660 Kubikzentimeter Hubraum und 64 PS haben – ideal für die kleinen und verstopften Straßen des Landes. Dafür sind die Klein-Autos maut- und steuerbegünstigt, und müssen in Städten keinen Stellplatz für eine Zulassung nachweisen. Für europäische Motorjournalisten fast unvorstellbar, sind Kei-Cars auf der alle zwei Jahre stattfindenden, traditionsreichen Tokyo Motor Show die Stars; immerhin erreichen diese Fahrzeuge in Japan einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Auf der diesjährigen Tokioter Automesse, die vom 24.10 bis 4.11. stattfand, wurden neben „Showcars“ erstmals serienreife E-Kei-Cars vorgestellt: der Nissan iMk und der Toyota Ultra Compact BEV. Die wegen der beschränkten Außenmaße hochbauenden Stadt-Fahrzeuge eigenen sich hervorragend für den Akku-Einbau im Unterboden. Und die hohen Produktionsstückzahlen dürften dieses E-Auto-Segment schnell kostengünstig machen.
Ähnlich ist die Situation in China: während man in Europa meist die (SUV-)Luxus- und Mittelklasse-Marken wie Nio, Byton, Airways, BYD, und SAIC wahrnimmt, gibt es in dem Land eine Vielzahl von elektrischen Kleinwagen wie u.a. den BAIC EC180/200, den ORA R1 oder den Chery EQ 1. Selbst in den USA, dem Land der Straßenkreuzer und Pickups, gibt es ein eigenes Kleinwagen-Segment: die Neighborhood Electric Vehicles. Und auch außerhalb des Segments wurden schon E-Fahrzeuge wie der Corbin Sparrow gebaut, lange bevor die Automarke Tesla das Licht der Welt erblickte. Schließlich scheint auch das „alte Europa“ aufzuwachen zu wollen mit neuen oder erneuerten Fahrzeugen wie dem Uniti One aus Schweden, dem Bolloré Bluecar aus Frankreich, sowie dem e.GO Life und dem E-Smart aus Deutschland.
Alle diese Fahrzeuge sind parkplatz-freundlich klein und energie- und rohstoff-sparsam leicht. Sie berücksichtigen damit die Tatsache, dass die durchschnittliche Fahrstrecke zum Arbeitsplatz und zurück nur ca. 40 km beträgt und die Fahrzeuge im Alltag nur mit ein bis zwei Personen besetzt sind. Für diese Anforderungen reichen sie allemal aus. Es sind eben keine Autos für den Protz, sondern für die Praxis; dennoch bleiben sie zumindest nach der EU-Fahrzeugklassifizierung gewöhnliche Autos der Klasse M1.
Noch leichter sind die Fahrzeuge der Klasse L7e, insbesondere der Unterklasse L7e-CP zur Personenbeförderung, die wie folgt definiert ist: ein vierrädriges Kraftfahrzeug mit einem Leergewicht bis 450 kg (d.h. ohne Batterien bei E-Fahrzeugen) und Leistung bis zu 15 kW. In diese Leicht-Elektrofahrzeug-Kategorie würden einige der o.a. US- Neighborhood Electric Vehicles gehören, aber auch der Renault Twizy, der Microlino aus der Schweiz, die E-Fahrzeuge von Aixam, oder der als „Buddy“ wiederauferstandene Kewett El-Jet der 1990er. Aber auch ultraleichte Fahrzeuge wie das mö von evovelo oder die Konzeptfahrzeuge der TU Eindhoven gehören in die L-Kategorie. Vorteile dieser Fahrzeuge sind, dass sie keine Ladestation/Wallbox für ihren kleinen Akku benötigen, sondern an einer Haushaltssteckdose in vertretbarer Zeit geladen werden können, und dass sie wenig Fläche in Anspruch nehmen. Nachteil ist allerdings, dass viele der L-Klasse-Fahrzeuge in Punkto Sicherheit nicht mit den Autos (M1) mithalten können.
Zu der Frage, ob solche Leichtfahrzeuge eine sinnvolle Ergänzung des Verkehrssystems in Ballungszentren seien können, hat gerade die e-mobil BW GmbH, die Landes-Mobilitätsagentur von Baden-Württemberg, eine aufschlussreiche Studie vorgelegt. Ergebnis: in vielen Bereichen wie privaten Kurzstreckenfahrten, Nah-Transporten von Lasten, sowie in Sharingsystemen können die Leicht-Elektrofahrzeuge, je nach Fahrzeugmodell, ökologisch sinnvoll eingesetzt werden, benötigen aber trotz des potentiell großen Marktes eine staatliche Anschubförderung.
Auch in diesem Teil der Verkehrswende bleibt es weiterhin spannend.
Götz Warnke