29.09.2023
Potentiale der E-Mobilität, Teil 1: Problemzonen
Ein Bericht von Götz Warnke
Reichweitenangst, brennende Batterien, Rohstoff-Ausbeutung und riesiger CO2-Fußabdruck – wenn man die Horrorszenarien der Gegner der E-Mobilität hört, könnten man meinen, Dantes Inferno sei angebrochen. Diese Narrative sind zum großen Teil kompletter Unsinn, aber natürlich gibt es im Zuge einer solchen Antriebswende mehrere Problemzonen, die nicht unbedingt aus der E-Mobilität stammen, aber dennoch hierfür eine Rolle spielen. Die wichtigsten sollen im Folgenden besprochen werden.
Akkus/Batterien
Die Technik/Chemie der meist fälschlicher Weise als Batterien bezeichneten Akkus (Batterien lassen sich nicht wieder aufladen, Akkus schon) ist noch recht jungen Datums: Die Lithium-Ionen-Akkus, d.h. kompakte Akkus mit großer Ladekapazität und vielen Ladezyklen, erst 1985 vom späteren Nobelpreisträger Akiro Yoshino erfunden wurden ab 1991 von Sony produziert. Vorher, im ganzen Industriellen Zeitalter, hatte es praktisch keinen Bedarf für entsprechende Akkus gegeben. Einzige Ausnahme: die U-Boote, die für ihre E-Motoren bei Tauchfahrt elektrischen Strom, der vorher bei der Überwasserfahrt von den Dieselmotoren erzeugt worden war, in zu „Batterie-Bänken“ zusammengefassten Blei-Akkus besaßen. Diese hatten ein Gewicht, dass im wahrsten Sinne des Wortes nur in einem Wasserverdrängungskörper wie ein U-Boot tragbar war.
Auch wenn die Entwicklung leistungsfähiger Akkus spät gestartet ist, so schreitet sie doch sehr schnell voran. Es stimmt, dass heute die Lithium-Ionen-Akkus für E-Fahrzeuge aus Materialien mit einer teilweise – auch übertrieben – problematischen Gewinnungsgeschichte produziert werden, doch diese Materialien werden seit Jahrzehnten auch für andere Verwendungen abgebaut und eingesetzt: Lithium für Metalllegierungen, Kobalt bei der Entschwefelung von Erdöl für Treibstoffe, Nickel für Edelstahltöpfe und Flugzeugturbinen, alle zusammen für Smartphone-Akkus. Wie komisch allerdings, dass der Einsatz dieser Stoffe immer nur dann problematisiert wird, wenn es um E-Fahrzeug-Akkus geht!
Pech für die E-Mobilitäts-Gegner: moderne LFP-Akkus benötigen weder Kobalt noch Nickel, die ganz neuen Natrium-Ionen-Akkus naturgemäß nicht mal mehr Lithium, obgleich gerade in den USA Lithium-Vorkommen für Milliarden E-Fahrzeuge gefunden wurden.
Schon aus Kostengründen werden sich jedoch die Natrium-Ionen-Akkus in vielen Bereichen durchsetzen, da Natrium als Natriumchlorid im Meer (Meersalz) in großen Mengen vorhanden ist, und sich dort mit einem geringen CO2-Fußabdruck gewinnen lässt. Sie sind zwar schwerer als Lithium-Ionen-Akkus und haben eine geringere Energiedichte, aber sie sind kostengünstig, schnellladefähig, kälteunempfindlich und nicht brennbar.
Welche weiteren Akku-Chemien künftig in der E-Mobilität eine Rolle spielen können – z.B. als Energiespeicher von Schnellladesäulen – wird sich noch erweisen.
Laden
„Wo nur sollen all’ die E-Autos laden?“ ist ein beliebter Einwand der E-Auto-Zweifler. Antwort: Am Arbeitsplatz oder zu Hause! Denn bei Einzel-, Doppel- und Mehrfamilienhäusern bietet sich ein Stellplatz mit Wallbox neben dem Gebäude oder in der Tiefgarage geradezu an. Hat das Gebäude zudem eine PV-Anlage, die privat oder als Mieterstrom genutzt werden kann, wird das Laden zudem finanziell sehr günstig. Und für die fünf Mal pro Woche abgefahrene durchschnittliche Pendlerstrecke von unter 40 km reicht bei den meisten heutigen E-Fahrzeug-Akkus das einmalige Laden pro Woche aus. Dass das Thema „Laden“ die Elektromobilität nicht behindert, zeigt der Elektromobilitätsmonitor des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.: Die öffentliche Ladeinfrastruktur in Deutschland ist längst noch nicht ausgelastet.
Dabei werden künftig noch weitere Lademöglichkeiten hinzu kommen. Da ist zum einen das solare Laden mittels fahrzeugintegrierter PV (Vehicle Integrated PV/VIPV), das im Laufe eines sonnigen Tages den solaren Gewinn einer Pendlerstrecke ermöglicht. Auch wenn Solarauto-Firmen wie Sion oder Lightyear vorerst gescheitert sind, so ist das Thema noch lange nicht vom Tisch. Die TU Eindhoven arbeitet weiter engagiert an neuen Solarfahrzeugen, und in der Freizeitschifffahrt spielen PV-Module schon heute eine immer größere Rolle. Allein die deutschen Autohersteller verschlafen mal wieder einen Trend.
Ähnlich sieht es bei der zweiten Ladetechnik aus, dem Wechselakku. Obgleich das System viel Vorteile bietet, und z.B. in China weit verbreitet ist, schaffen es die „Top“-Manager der deutschen Autoindustrie nicht, sich auf einen Standard zu einigen, der z.B. auch unterschiedliche Zell-Chemien zulässt. Und so wird die Standardnorm wohl auch China kommen; Nio mit seinen Wechselakku-Stationen hat ja bereits ein Bein bei uns im Land.
Wahnsinn Wachstum
Seit Jahren wachsen unsere Fahrzeuge in Größe und Gewicht. Das lässt sich nicht nur beim Auto beobachten, sondern betrifft alle Fahrzeugkategorien: manche Pedelecs sind so schwer geworden, dass der Durchschnittsbürger sie nicht mehr die Bahnhofstreppe hochtragen kann. Sowohl motorende als auch segelnde Freizeitschiffe legen in Länge und Breite immer mehr zu; in älteren Häfen reicht die Boxengröße und der Tiefgang für viele neuere Schiffe nicht mehr aus, und wer vor 20 Jahren mit einer 9,50-Meter-Segelyacht ein respektables Schiff hatte, verschwindet heute neben den neuen Yachten. Im Flugverkehr legen die durchschnittlichen Sitzplatzzahlen der Verkehrsjets zu. In der Containerschifffahrt werden die Giganten immer noch länger und höher, so dass in den Häfen die zu niedrigen Brücken abgerissen und neu gebaut werden müssen (CO2-Emissionen!). Und in der Passagierschifffahrt werden immer größere Kreuzfahrer für noch mehr Passagiere auf Kiel gelegt, so dass sich die Schiffe bei einer Havarie kaum noch rechtzeitig evakuieren lassen.
Diese Dinosaurier-Tendenz aus dem fossilen Überfluss-Zeitalter ist ein Problem und wird umso mehr zum Thema, wenn diese Fahrzeuge auf einen Energie sparenden Antrieb umgestellt werden sollen. Und das ist der E-Motor ja, der z.B. im Mittelklasse-E-Auto innerstädtisch 18 kWh auf 100 km verbraucht, was umgerechnet einem Treibstoffverbrauch von zwei Litern entspricht.
Arbeitsplätze
Elektromobilität vernichtet Arbeitsplätze – so lautet ein Narrativ der Gegner. Und das stimmt ja auch: überall in der Motoren-Wartung und -Reparatur werden Arbeitsplätze wegfallen – bei Autos, Schiffen, Flugzeugen –, denn der E-Motor ist weniger wartungsbedürftig und einfacher zu bauen. Insbesondere bei Autos wird es daher auch bei den Motorenherstellern, sprich: der Autoindustrie, nicht unerhebliche Arbeitsplatzverluste geben. Doch diese Entwicklung zur Elektromobilität ist im wahrsten Sinne des Wortes alternativlos: aus Gründen des Klimaschutzes, des Umweltschutzes, der zunehmenden Ressourcenknappheit und weil die wichtigsten der für die exportorientierte deutsche Industrie relevanten Märkte längst auf dem Weg zur Elektrifizierung sind.
Arbeitsplatzverluste in einigen Wirtschafts-Bereichen sind zudem kein „Weltuntergang“, da es in vielen anderen Bereichen an Arbeitskräften fehlt, z.B. bei den Erneuerbaren Energien. Wir müssen uns nur von ideologischen Narrativen verabschieden:
1. vom angeblich höherwertigen Status des Industriearbeitsplatzes, der Dinge produziert, gegenüber dem Arbeitsplatz in Handwerk und Dienstleistung, der Dinge „nur“ repariert. Dieser Statusdünkel verhindert Arbeitsplatzflexibilität und ist auch einem Zeitalter der Circular Economy völlig unangemessen.
2. vom ungeschriebenen, lebenslangen Recht auf immer den selben Arbeitsplatz oder zumindest doch auf eine Tätigkeit in der gleichen Sparte. Diese Einstellung ist sehr typisch deutsch, und unterscheidet sich deutlich von den Einstellungen anderer Länder wie z.B. der USA. Dieser Arbeitsplatz-Besitzanspruch ist quasi ein Nachhall der mittelalterlichen Pfründe, und passt nicht in die heutige, viel flexiblere Zeit.
Politik
Politiker schauen in erster Linie nach Wählerstimmen und weniger auf ihre historische Verantwortung; und bei den Wählern sind nun mal diejenigen mit einer Bereitschaft für rationale Veränderungen/Verbesserungen oft nicht in der Mehrheit. Deshalb hat Merkel gegen Chinas Elektro-Auto-Quote und damit für die deutsche Autoindustrie gekämpft, andererseits die deutsche Solarindustrie abstürzen lassen. Deshalb subventioniert Deutschland trotz aller wortreichen Bekenntnisse zur Energiewende die fossilen Energien weiterhin mit Milliarden und denkt an einen subventionierten Industriestrompreis. Und Politiker wie Hubert Aiwanger oder Bundesminister Volker Wissing reden gern und viel von Wasserstoff und E-Fuels, ohne den Wählern zu sagen, dass dafür die Erneuerbaren Energien etwa vier Mal so stark ausgebaut werden müssten, wie man es heute geplant hat – ein Ausbau, den in Wirklichkeit weder diese Politiker noch ihre Wähler wollen. Durch solche Fake-News wird die Verkehrswende ausgebremst, und damit unnötig teuer.
Es muss also künftig verstärkt darum gehen, die Fakten gut verständlich aufzubereiten, und sie vor allem dann zu präsentieren, wenn es für die schwadronierenden Politiker peinlich wird – also in Fernsehdiskussionen, bei Pressekonferenzen und Bürgerdialogen.
Teil 1: Problemzonen
Teil 2: Perspektiven Landfahrzeuge
Teil 3: Perspektiven Schifffahrt
Teil 4: Perspektiven Luftfahrt