29.05.2020
Das Geheimnis der E-Autos
Liebe E-Auto-Hasser, Fossil-Fans, Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-AfDler und Petrol-Heads: Ihr müsst jetzt ganz, ganz tapfer sein, auch wenn Euch das nicht rettet! Denn Eure alte Welt aus Protz-SUVs und Clean-Diesel-Fake-Fahrzeugen schwindet immer mehr. Das E-Auto wird sich nicht mehr von der Straße drängen lassen, seine Zulassungszahlen wachsen. Da helfen Euch auch keine alte – und inzwischen längst widerlegten – „Schweden-Studie“ und ähnliches mehr; das Elektroauto erweist sich selbst mit einem hohen Anteil von aus Kohle produziertem Produktions- sowie Fahrstrom als deutlich klima- und umweltfreundlicher als die konventionellen Abgas-Autos. Das zeigt eine neue, wissenschaftliche Studie. Die stammt nicht etwa vom bösen Elon Musk, um hier gleich mal allen Verschwörungs-Schwurblern entgegen zu treten, sondern von der Organisation „Transport & Environment“.
Transport & Environment (T&E) mit Sitz in Brüssel ist eine europäische Dachorganisation und „Denkfabrik“ verschiedenster nationaler Umwelt- und Klima-NGOs, die sich seit Jahren mit Themen des umweltfreundlichen Verkehrs beschäftigt. Dazu hat sie verschiedene, international beachtete Studien publiziert. In diesem Zusammenhang erschien im April diesen Jahres mit „How clean are electric cars?“ eine Lebenszyklus-Analyse der CO2-Emissionen von Elektro-Autos. Und die hat es in sich!
Auf insgesamt 33 Seiten – wovon allein 10 Seiten der Dokumentation der Ausgangsdaten und der wissenschaftlichen Methodik der Studie, und damit insbesondere auch ihrer Transparenz dienen – analysiert die Studie den Lebenszyklus von E-Autos, d.h. von der Produktion des Fahrzeugs und des Akkus inklusive der dafür benötigten Energien sowie bis zur Nutzung über einen längeren Zeitraum. Und sie berechnet die dabei entstehenden CO2-Lasten für den Strommix der verschiedenen Länder Europas. Zum Vergleich werden auch die Lebenszyklus-CO2-Emissionen von Benzin- und Dieselfahrzeugen berechnet, natürlich auch inklusive der Vorketten wie Treibstoffherstellung, -Transporte etc.
Nun ist ein Auto kein kurzlebiges Konsumprodukt. Das seit Jahrzehnten in Deutschland kontinuierlich steigende durchschnittliche Alter der zugelassenen Fahrzeuge hat 2020 schon 9,6 Jahre erreicht, nachdem es noch bei 8,1 Jahren lag; nicht anders sieht es in Europa aus. Insofern ist davon auszugehen, dass die Masse der heutigen E-Autos auch in 10 Jahren noch auf der Straße sein werden, dann aber mit einem höheren Anteil Erneuerbarer Energien im Strommix, und damit klimafreundlicher fahren können. Auch bei der immer noch energieaufwändigen Batterieproduktion hat sich in den letzten Jahren der Strommix positiv verändert, während zugleich der Energieaufwand gesunken ist. Dazu kommt, dass die Batterien in der Praxis eine wesentlich höhere Lebensdauer/Laufleistung erreichen, als man noch vor wenigen Jahren in Studien angenommen hat.
Daher haben die Studienautoren die entsprechenden CO2-Lasten der E-Autos nicht nur für verschiedene europäische Länder, sondern auch für den in unterschiedlichen Jahrzehnten zu erwartenden Strommix durchgerechnet.
Die Ergebnisse (S. 11 ff.) der mit vielen Schaubildern versehenen Studie sind mehr als eindeutig: selbst im ungünstigsten Fall sind die lebenslangen CO2-Emissionen der E-Autos immer noch 22% bzw. 28% besser als die von Diesel- bzw. Benzin-Fahrzeugen. Der ungünstigste Fall tritt ein, wenn das E-Auto in der EU und seine Batterien in China produziert wurden, und es anschließend mit dem polnischen Strommix gefahren wird. Der beste Fall hingegen: Das Auto kommt aus der EU, die Batterien aus Schweden, und es wird auch mit dem schwedischen Strommix (hoher Wasserkraftanteil) gefahren. Dann liegen die E-Auto-Emissionen sogar um 80% bzw. 81% unter denen der neuen Abgas-Autos. Wohlgemerkt, diese Berechnungen gelten nicht für die nahe oder ferne Zukunft, sondern für Fahrzeuge, die in diesem Jahr zugelassen werden.
Und noch besser: schon heute emittiert das durchschnittliche E-Auto in der EU nur ein Drittel der CO2-Mengen während seiner Nutzungszeit wie Benziner und Diesel; aber die energieeffizientesten E-Auto-Länder der EU wie Schweden oder Frankreich werden bis 2030 ihre CO2-Emissionen bei E-Autos nochmals stärker senken, als es bei den Fossil-Fahrzeugen möglich ist. (S.13)
Entgegen den Mythen der Abgas-Auto-Anbeter sind E-Autos besonders CO2-sparsam bei Fahrzeugen der oberen Mittelklasse, der Luxusklasse und den Shared-Fahrzeugen (Taxen, Mietwagen, Carsharing) mit ihren hohen Kilometerleistungen; hier liegen die Einsparungen bei 50% und mehr. (S.14) Auch das Märchen, E-Autos könnten die CO2-Last der Batterieproduktion in ihrem Autoleben nie wieder ausgleichen, erweist sich als haltlos: Je nachdem, woher der Strom für das Produzieren und Fahren kommt, sind E-Autos nach 13.000 bis 23.000 km (also ca. 2 Jahren) gleichauf mit Benzinern und Dieseln. (S.15)
Hoch anzurechnen ist den Studienautoren ihr Bemühen um möglichst exakte Daten sowie die Offenlegung der gemachten Annahmen und Unsicherheiten. So verwendet T&E bei der Bemessung des Fahrverbrauchs nicht etwa der Einfachheit halber die Daten des aktuellen WLTP-Testverfahrens – das im übrigen die Alltagsrealität immer noch deutlich schönt – , sondern die aus der Praxis stammenden Werte der deutschen Website Spritmonitor. (S.8) Im Zusammenhang mit den Unsicherheiten werden bestimmte Probleme bei den Lebenszyklus-Analysen (Lifecycle Analyses/LCA) offen benannt. T&E bietet zudem noch ein Web-Tool, wo der Leser selbst unterschiedliche Fahrzeuge miteinander vergleichen kann.
Es ist wahr: Mit > 30g CO2/km im Lebenszyklus sind auch E-Autos nicht CO2-frei – was sie im Übrigen mit Fahrrädern und Pferdefuhrwerken gemein haben. Aber sie sind damit deutlich besser als die 95g CO2/km, die die EU ab diesem Jahr für Fahrzeuge allein im Fahrzyklus fordert. Und, das ist – noch – das Geheimnis der vielgeschmähten E-Autos: sie sind bereits heute deutlich klimafreundlicher als alle Abgas-Autos und werden diesen Vorsprung in den kommenden Jahren immer weiter ausbauen.
Wer sich heute ein neues Auto kauft und kein „Klimaschwein“ sein will, der sollte schon sehr, sehr gute Argumente haben, wenn er kein E-Auto wählt.
Götz Warnke
Dazu passend:
Well-to-Tank: Vom Bohrloch zum Tank (SONNENENERGIE 1/2018)